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Wirtschaft: Rasanter Euro-Anstieg belastet Konjunktur

Fast neun Cent plus gegenüber dem Dollar in einem Monat - Europäische Zentralbank könnte die Zinsen dennoch im Juni erhöhen

Frankfurt am Main - Devisenhändler und Analysten sind über den scharfen Kursanstieg des Euro gegenüber dem Dollar beunruhigt. Sie warnen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bereits am kommenden Donnerstag ihr Schweigen brechen und sich zumindest verbal gegen eine weitere Aufwertung der europäischen Währung stemmen könnte. Innerhalb von nicht ganz einem Monat ist der Euro um fast neun Cent gestiegen und hatte am vergangenen Freitag fast die Marke von 1,30 Dollar erreicht. Er notierte damit auf dem höchsten Stand seit gut einem Jahr.

„Ich schätze, dass die EZB zwischen 1,30 und 1,32 Dollar anfangen wird, sich besorgt zu äußern", schreibt der Chef-Devisenstratege von Morgan Stanley, Stephen Jen, in seinem jüngsten Kundenrundbrief. „Der Markt wird die Schmerzgrenze der EZB bald testen“, prognostizierten auch die Volkswirte von Bear Stearns. Sie sehen in dem Anstieg des Euro einen Reflex auf einen neuerlichen Schwächeanfall der US-Währung gegenüber allen wichtigen Währungen mit flexiblen Wechselkursen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die EZB bei einem Anstieg des Euro Richtung 1,30 Dollar zu Wort melden würde. Im Januar 2004, als der Euro-Kurs erstmals Anlauf auf diese Marke nahm, erklärte EZB-Chef Jean-Claude Trichet „brutale Wechselkursschwankungen“ für unerwünscht, was die Euro-Hausse zunächst beendete. Als der Euro im November 2004 wieder auf 1,30 Dollar zulief, bezeichnete Trichet die Wechselkursbewegung in offensichtlicher Anspielung auf seine erste Bemerkung „als fast schon brutal“. Diesmal beeindruckte der Wink mit dem Zaunpfahl Devisenhändler nicht mehr und der Euro stieg weiter bis auf sein bisheriges Rekordniveau von 1,3637 Dollar, das er im Dezember 2004 erreichte. Ein weiteres Mal stieg der Euro im März 2005 bis fast auf dieses Rekordhoch. EZB-Vertreter blieben nach dem November 2004 jedoch stumm.

Die meisten Analysten und Marktteilnehmer gehen bislang davon aus, dass die Europäische Zentralbank nicht am Devisenmarkt intervenieren wird. Hintergrund ist, dass die Konjunkturlage derzeit als sehr viel besser gilt als in den vorangegangenen Phasen der Euro-Stärke. Marktteilnehmer rechnen deshalb überwiegend nicht einmal damit, dass die EZB wegen des Euro-Höhenflugs die allseits für den 8. Juni erwartete nächste Zinserhöhung ausfallen lassen könnte. Im Gegenteil: In den vier Wochen, in denen der Euro von 1,20 Dollar auf 1,30 Dollar nach oben schoss, ging der ausweislich der Terminsätze am Geldmarkt für das Jahresende erwartete Leitzins um 14 Hundertstel nach oben auf etwa 3,35 Prozent. Derzeit liegt der EZB-Leitzins bei 2,5 Prozent.

„Der Anstieg des Euro spiegelt den zunehmenden Optimismus der Investoren für die Wirtschaft des Euroraums wieder“, sagte Julian Callow, Europa-Chefvolkswirt von Barclays Capital. Er warnt jedoch: „Wenn sich der Kursanstieg fortsetzt, könnte dies bald zu einer Gefahr für den Aufschwung werden.“ Auf keinen Fall solle die Europäische Zentralbank mit einer unerwartet großen Zinserhöhung im Juni riskieren, die rasante Aufwertung noch weiter anzutreiben.

Verschiedene EZB-Vertreter sagten in den vergangenen Tagen und Wochen, es sei noch offen, ob die Zinserhöhung einen viertel oder einen halben Prozentpunkt betragen werde.

Die Volkswirte der Berliner Weberbank halten es für einen Fehler, dass die Investoren am Geld- und Rentenmarkt die Euro -Aufwertung nicht berücksichtigen. „Die Euro-Aufwertung dämpft den Preisanstieg und belastet die Konjunktur. Deshalb sind die Zinserhöhungserwartungen übertrieben“, schreiben auch die HVB-Volkswirte an ihre Kunden. Auch Angel Ubide, Research-Chef des Hedge Fonds Tudor Investment, plädiert dafür, dass die EZB wegen der Euro-Aufwertung ihren Leitzins allenfalls sehr vorsichtig anhebt. Sie solle sich aber keinesfalls der Aufwertung selbst entgegen- stemmen, weil ein schwächerer Dollar unabdingbar sei, um die gefährlichen internationalen Handelsungleichgewichte abzubauen, sagte Ubide jüngst auf einer geldpolitischen Konferenz in Frankfurt am Main.

Der hohe Importüberschuss der USA führte 2005 zu einem Leistungsbilanzdefizit von mehr als 800 Milliarden Dollar, was die meisten Volkswirte auf Dauer für untragbar halten und deshalb eine Dollar-Abwertung erwarten. Im März ist das US-Handelsdefizit allerdings überraschend auf rund 62 Milliarden Dollar gesunken, gab das US-Handelsministerium am Freitag bekannt. Obwohl dies bereits der zweite Rückgang in Folge war, konnte die US–Währung davon nicht profitieren. /Tsp

Norbert Häring, HB

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