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Wirtschaft: Rastloser Pionier des Versandhandels

Eine Ära geht zu Ende.50 Jahre ist die D-Mark alt, Symbol für wirtschaftlichen Aufschwung und Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland.

Eine Ära geht zu Ende.50 Jahre ist die D-Mark alt, Symbol für wirtschaftlichen Aufschwung und Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland.Geprägt haben diesen Aufbau in den Wirtschaftswunderjahren eine ganze Reihe von Betrieben und Unternehmern, die Gründergeneration der Nachkriegszeit.Nun macht die D-Mark dem Euro Platz.Was ist aus den Unternehmen der Wirtschaftswunderjahre geworden, wie haben sie den Generationswechsel bewältigt? Der Tagesspiegel stellt einige von ihnen in lockerer Folge vor.

"Panta rhei, alles fließt." Dieser Spruch gefiel dem Schüler Werner Otto im Griechisch-Unterricht so gut, daß er ihn zu seinem Wahlspruch machte.Immer wieder probierte der Kaufmannssohn aus Brandenburg Neues aus und schaffte es so, das weltweit größte Versandhandelsunternehmen hochzuziehen.Das Unternehmen wird inzwischen vom Sohn geführt, doch der Pioniergeist des umtriebigen Gründers ist auf das Unternehmen übergegangen.

Mit Schuhen ging es los."Irgend jemand erzählte mir, es gebe im Gebiet Hamburg und Holstein eine Lederproduktion, aber keine Schuhe", erinnert sich Werner Otto in seinem Buch "Die Otto-Gruppe".Der 36jährige gründete also eine Schuhfabrik, obwohl er von dieser Branche nicht die geringste Ahnung und zudem kein Geld hatte - nach dem zweiten Weltkrieg war er als mittelloser Flüchtling in Hamburg gelandet.Da sie schlecht lief, schloß Otto die Fabrik kurzerhand und sah sich nach Neuem um.Warum nicht einen Versandhandel für Schuhe machen? Mit dem Restbestand der Schuhe und bewährten Mitarbeitern gründete er 1949 einen Schuhversandhandel.Diesmal war es ein Erfolg.Der Katalog - 1950 noch eine bescheidene Selbstanfertigung mit eingeklebten Photos und selbstgeschriebenen Preisen - gewann an Seiten, das Sortiment wurde um Bekleidung ergänzt, bis es ein warenhausähnliches Angebot erreichte.

Otto setzte weniger auf niedrige Preise als auf Qualität, befreite so den Versandhandel vom Geruch des Kleine-Leute-Image.Um sich von Post und Bahn unabhängig zu machen, richtete Otto 1972 einen eigenen Vertrieb, das Hermes-Versandsystem, ein, machte als erster eine telefonische Bestellannahme möglich, ließ auch mal normale Angestellten die Mode aussuchen.Die Innovationsfreude ist geblieben: So brachte Otto 1994 als erster seinen Katalog auf CD-Rom heraus.Ottos Rastlosigkeit - "Stillstand ist Rückschritt" - ließ ihn bald in anderen Branchen sein Glück versuchen.So betrieb er Autowaschanlagen, die er aber - ebenso wie fünf Warenhäuser - nicht den erwarteten geschäftlichen Erfolg brachten.Mehr Erfolg gab es beim Bau und Management von Einkaufszentren; heute ist die ECE-Projektmanagement GmbH die größte in Europa.Anfang der 60er Jahre begann Otto zudem mit dem Aufbau der Sagitta-Grundstücksgruppe, die eine der größten privaten Landesentwicklungsgesellschaften in Kanada ist.Zur breiten Spannweite der Otto-Aktivitäten zählen außerdem Versicherungen, eine Bank, das Tourismus- und auch das Computergeschäft.

Das weltgrößte Versandhandelsunternehmen hat im Geschäftsjahr 1997/98 knapp 30 Mrd.DM umgesetzt, einen Jahresüberschuß von 365 Mill.DM erzielt und beschäftigt weltweit fast 60 000 Mitarbeiter.Wenn Otto trotz schlechter Binnenkonjunktur wie im vergangenen Jahr den Umsatz um 15 Prozent steigern konnte, liegt das zum einen an der Diversifizierung, zum anderen aber auch an der Internationalisierung, die Otto früh betrieben hat.Nahezu die Hälfte des Umsatzes wird im Ausland gemacht, in 19 Ländern in Europa, USA und Asien.Das Hamburger Unternehmen hält Beteiligungen an großen Versandhandelshäusern.Das erste Unternehmen kaufte Otto 1972 mit dem französischen Versandhandelsunternehmen 3 Suisses.Der größte Coup kam zehn Jahre später mit dem amerikanischen Versand-Konzern Spiegel in Chicago dazu, der heute zweitgrößten Versandhandels-Gruppe der USA.Die Einkaufstour erstreckte sich auch aufs Inland; zu Otto gehören heute unter anderem Heinrich Heine, Alba Moda und Sport-Scheck.

Einige bleiben solange im Chefsessel, wie es geht.Nicht Werner Otto.Der Senior hat sich 1966 aus dem aktiven Versandhandelsgeschäft zurückgezogen.Einmal wegen seiner Natur: Ihn reizte ein neues Betätigungsfeld, denn er legte nicht etwa die Hände in den Schoß, sondern widmete sich dem Einkaufscentermanagement und den Immobilien der Gruppe.Zum anderen ist seine"große Stärke, Verantwortung zu übertragen", meint der Unternehmenssprecher Detlef von Livonius.Zunächst übernahm ein familienfremder Manager die Geschäfte, Anfang der 80er Jahre dann Sohn Michael.

Trotz seiner 89 Jahre kann Otto senior nicht ruhen.Er nimmt noch immer starken Anteil am Management.So ist er bei Einweihungen dabei und begutachtet neue Standorte.Geistig und körperlich sei er noch "unglaublich fit", bescheinigt der Unternehmenssprecher.Aktiv war Werner Otto übrigens nicht nur in seinem Unternehmen.Der begeisterte Wanderer, der früher einmal Schriftstellerambitionen hatte und sich für moderne Kunst, Theater und Oper interessiert, gründete eine Stiftung zur medizinischen Forschung, Schwerpunkt sind hier vor allem mehrfachbehinderte und krebskranke Kindern.Mit 4,5 Mill.DM unterstützt er die Rekonstruktion eines Turms des Belvedere-Schlosses in Potsdam.

KAREN WIENTGEN

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