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Wirtschaft: Raumschiff Gütersloh feuert Commander Middelhoff

Der 49-jährige Thomas Middelhoff wollte das Familienunternehmen an die Börse bringen und zum größten Medienkonzern der Welt machen

Berlin (uwe/jbh/HB). Der Chef des größten deutschen Medienkonzerns Bertelsmann, Thomas Middelhoff, hat das Unternehmen verlassen. Grund seien unterschiedliche Auffassungen über die künftige Geschäftsentwicklung, hieß es. Noch am Sonntag berief der Aufsichtsrat den langjährigen Bertelsmann-Manager und Chef der Bertelsmann-Stiftung, Gunter Tielen (59), als Nachfolger.

Der Trennung war eine Aufsichtsratssitzung vorausgegangen. „Sehr lebhaft“ sei sie verlaufen, hieß es aus Unternehmenskreisen, und mit „einem überraschenden Knall“ habe sie geendet. Die Mitarbeiter der Bertelsmann AG zeigten sich „überrascht“, sprachen von einem „Rätsel“. Angedeutet habe sich der Abgang nicht.

Offenbar gab es zwischen Middelhoff und den Mehrheitsgesellschaftern unterschiedliche Meinungen über die künftige Strategie des Konzerns. Middelhoff wollte Bertelsmann zum größten Medien- und Internetkonzern der Welt auf- und ausbauen. Dafür gab er in den vergangenen Jahren elf Milliarden Dollar aus. Vor allem aber wollte er dem Gütersloher Konzern die altertümliche Struktur abgewöhnen: Er wollte Bertelsmann ab 2005 an die Börse bringen.

Dem Konzerngründer Mohn hatte er die Zustimmung zu diesem Börsengang abgerungen. Der Trick: Mohn erlaubte dem 25-Prozent-Gesellschafter an Bertelsmann, der Group Bruxelles Lambert, seine Anteile an der Börse zu verkaufen, sofern er, Mohn, diese Anteile nicht selbst zurückkaufen wolle. Als Gunter Thielen kürzlich erklärte, dass der Börsengang „zurzeit kein Thema“ bei den Gesellschaftern der entscheidenden Bertelsmann-Verwaltungs-Gesellschaft (siehe unten) sei, war klar, dass Middelhoffs Stern sank.

Der scheidende Vorstandschef Middelhoff stellte die bisherige Struktur des Unternehmens , alle Beteiligungen und die Unternehmenskultur rigoros in Frage – mit dem Ziel, die Rendite des Konzerns zu erhöhen. Das Unternehmen verdoppelte in seiner Ägide seinen Umsatz auf 22 Milliarden Euro. Zwar brach der Gewinn dramatisch ein, doch gehört Bertelsmann zu den wenigen Unternehmen im Medienbereich, die im ersten Quartal dieses Jahres noch schwarze Zahlen geschrieben haben.

Als Middelhoff vor wenigen Wochen erklärte, die profitablen wissenschaftlichen Fachverlage gehörten nun nicht mehr zum Kerngeschäft und den Verkauf ankündigte, gab es offenen Krach. Fachverlags-Chef Jürgen Richter, der früher den Axel-Springer-Konzern führte, schmiss hin und wird Bertelsmann in diesen Tagen verlassen.

Schon im vergangenen Jahr hatte es ein Zerwürfnis mit der Hamburger Verlegerfamilie Jahr um die gemeinsame Zeitschriftentochter Gruner&Jahr gegeben. Damals hatte Middelhoff angedeutet, zu einem Börsengang würden Minderheitsgesellschafter nicht passen. Die Jahr-Familie wehrte sich und verhinderte zunächst den von Middelhoff angeregten Verkauf des Berliner Verlags („Berliner Zeitung“) und der sächsischen Zeitungsbeteiligungen. Vor wenigen Wochen verkaufte Gruner&Jahr den Berliner Verlag dann doch an die Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört.

Den Mehrheitsgesellschaftern, in erster Linie Firmenpatriarch Reinhard Mohn, ging der kompromisslose Kurs Middelhoffs offenbar jetzt zu weit. Mohn sorgte sich um die von ihm entwickelte Unternehmenskultur, die er nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen hatte. Shareholder-Value-Denken, wie es an der Börse gepflegt wird, hält er für eher gefährlich, wie er immer wieder betonte. Auch bei einem Teil der Mitarbeiter, die fürchten mussten, nicht mehr zum Kerngeschäft zu gehören, sorgte Middelhoff durch seine als Zickzackkurs empfundene Strategie für wachsende Enttäuschung.

Zumal, als Middelhoffs Firmenzukäufe im Medienkerngeschäft sich nicht mehr so schnell auszahlten. Er kaufte Anteile an dem Fernsehkonzern RTL Group dazu, und aktuell verhandelt der Konzern über einen Einstieg in den Nachrichtensender N-TV - allerdings in einer Zeit, in der beide Sender unter einer dramatischen Werbekrise leiden. Ein teurer Missgriff war ein über alte Put-Optionen erzwungener Drei-Milliarden-Dollar-Zukauf in der Musikbranche mit der Musikfirma Zomba. Und ob sich die spektakuläre Übernahme der Musiktauschbörse Napster jemals bezahlt machen wird, ist mehr als unwahrscheinlich.

Die wachsende Skepsis gegenüber Bertelsmann, allerdings auch gegenüber Medienwerten im Allgemeinen, teilten auch die Kapitalmärkte. Eine Unternehmensanleihe, die das Unternehmen in diesem Frühjahr begeben wollte, fiel bei institutionellen Anlegern durch.

Zwei Schulen im Unternehmen

Bei den Mitarbeitern und Managern, die erst in den vergangenen Jahren zu Bertelsmann gekommen sind, löst Middelhoffs Abgang Entsetzen aus. Sie hatten seit Middelhoffs Amtsantritt im Jahr 1998 Oberwasser: Für Internet- und Medienmanager wurde der bis dahin als konservativ und ein bisschen provinziell belächelte Konzern zu einer ersten Adresse.

Allerdings blieb es dabei, dass im Unternehmen zwei „Schulen“ herrschten, zwei Strategien. Für die, sie darf dem Middelhoff-Kreis zugeschrieben werden, gilt das Motto: „Im Schlafwagen kommt man nicht ans Ziel.“ Für die andere Fraktion, gruppiert um die Traditionalisten aus Druck und Buchclub, blieb da nicht viel Zuwendung übrig. Eine Versetzung in das Druckereigeschäft, der Bereich, der unter anderem vom neuen Chef Thielen verantwortet wurde, galt bei den Internet-Managern beispielsweise als „Strafe auf der Galeere“.

Offenbar gab es bei Bertelsmann zu Wenige, die sich um eine Integration beider Parteien bemüht haben. Man beließ es lieber dabei, dass man sich nicht verstand. Zumindest solange die rund 7,5 Milliarden Euro, die Middelhoff für den Verkauf des Bertelsmann-Anteils an AOL im Jahr 2000 erhalten hatte, für weitere Zukäufe und Zuschüsse im Internetgeschäft ausreichten.

Danach wurde die Gangart härte. Offenbar auch für den Vorstandsvorsitzenden. Middelhoff sah sich in diesem Tempo, in dieser Ausrichtung des Konzerns von seinem Aufsichtsrat nicht mehr ausreichend unterstützt. Er wollte mit dem Gremium nicht länger zusammenarbeiten, das Gremium nicht länger mit Middelhoff. „Man wollte sich gegenseitig nicht länger zumuten“, hieß es gestern in Gütersloh.

Middelhoff zur Telekom?

Für kaum vorstellbar halten Mitarbeiter indes das Gerücht, das Middelhoff nun an die Spitze der Deutschen Telekom wechseln soll. Ein Bertelsmann-Mitarbeiter nannte das „ein fix zusammengerührtes Gerücht“, das sich wohl vor allem aus der Tatsache speise, dass die Telekom einen neuen Chef suche und Middelhoff nun einen neuen Job brauche. Ob sich die Telekom allerdings wieder einen Visionär leisten will, wird in Gütersloh bezweifelt.

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