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Wirtschaft: Recht ist nicht billig

Der Bundestag hat neue Kostensätze beschlossen: Anwälte werden teurer, Rechtsschutzpolicen auch

Viele Menschen, die Recht haben, werden ihr Recht nicht mehr bekommen. Das glauben zumindest die deutschen Versicherer. Sie warnen vor massiven Gebührensteigerungen, die auf Rechtssuchende zukommen. Am vergangenen Donnerstag hat der Bundestag das neue Kostenrecht für Anwälte und Gerichte beschlossen, am 1. Juli tritt die Gebührenreform in Kraft. Konsequenz: Die Honorare für Rechtsanwälte steigen ebenso wie die Vergütungen für Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer, die vor Gericht auftreten. Die Gerichtsgebühren werden vereinheitlicht, Klagen in der zweiten Instanz vor den Landgerichten werden teurer.

„Die Rechtsanwaltshonorare steigen im Schnitt um 14 Prozent“, sagt der Sprecher des Bundesjustizministeriums, Ulf Gerder. Die Versicherer bezweifeln das. Sie glauben, dass die Anwälte weit kräftiger zulangen. Eine Auswertung von 25 000 Schadenakten habe ergeben, dass die Mandanten ab dem Sommer rund 21 Prozent mehr an den Anwalt zahlen müssten, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der Grund: Bei ihren Berechnungen hätten die Mitarbeiter von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) die Einkommenszuwächse der Anwälte in den vergangenen zehn Jahren „erheblich zu niedrig“ angesetzt. Außerdem habe das Ministerium übersehen, dass die Rechtsanwälte bereits über ständig steigende Streitwerte höhere Gebühren kassiert hätten. „Das Kostenrecht ist ohne verlässlichen Zahlenapparat erstellt worden“, kritisiert Klaus Heiermann, Sprecher der Arag-Rechtsschutzversicherung.

Eine Milliarde Euro Kosten mehr

Das hat Folgen, warnt der Versicherer. „Auf die Bürger kommen Erhöhungen von über einer Milliarde Euro zu“, warnt Heiermann. Die Mehrkosten für die Rechtsschutzversicherer beziffert der Versicherungsverband auf rund 360 Millionen Euro. Das wird auch Konsequenzen für die Versicherungsprämien haben. „Die Beiträge werden um 15 bis 20 Prozent anziehen“, kündigt Heiermann an. Doch die Kunden hätten keine andere Wahl, als bei der Stange zu bleiben: „Ohne Rechtsschutzversicherung kann man sich Prozesse gar nicht mehr leisten“, sagt Heiermann. Es sei denn, man sei Topverdiener und könne die Kosten locker tragen – oder ein armer Schlucker. Dann zahlt der Staat.

Zwischen Anwälten und Versicherern herrscht dicke Luft. Denn auch die Anwaltschaft wirft der Assekuranz unzulässige Zahlenspekulationen vor. „Die Berechnungen der Versicherungswirtschaft beruhen auf Prognosen und sind unseriös“, sagt Dierk Mattik, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Überhaupt sei die Argumentation der Versicherungswirtschaft durchsichtig: „Die Unternehmen bereiten Prämienerhöhungen vor und versuchen, diese durchzusetzen“, meint Mattik.

Doch das wird nicht leicht sein. Denn schon jetzt kehren immer mehr Verbraucher den Rechtsschutzversicherern den Rücken. Mitte der Neunzigerjahre hatte jeder zweite Haushalt in Deutschland eine Rechtsschutzpolice, heute sind es noch 43 Prozent. Wenn die Beiträge steigen, könnten bald nur noch 40 Prozent eine Rechtsschutzversicherung haben, fürchtet die Versicherungsbranche. Wenn die Prämie steigt, haben die Kunden ein Sonderkündigungsrecht und können aus dem Vertrag aussteigen.

Kleine Kanzleien bekommen mehr

Dennoch räumt auch die Assekuranz ein, dass die geltenden Kostengesetze überarbeitet werden mussten. Die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (Brago), in der bislang die Anwaltskosten festgelegt waren, ist seit zehn Jahren nicht angepasst worden. „Zehn Jahre Preisstabilität – wo gibt es die denn sonst?“, fragt Mattik. Gemeint sind damit insbesondere die kleineren Kanzleien, die noch nach der Brago abrechnen. Die großen „Law Firms“ hingegen vereinbaren mit ihren Klienten die Honorare frei.

Dass es Handlungsbedarf gibt, hatte auch das Ministerium erkannt. Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hatte die Reform in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr rechtzeitig unter Dach und Fach bringen können. Ihre Nachfolgerin war schneller. Die Grundzüge des neuen Kostenrechts: Die Anwaltsgebühren steigen; außergerichtliche Einigungen sollen unterstützt werden, daher können Anwälte und Mandanten die Gebühren hierfür frei aushandeln; der bisherige Abschlag von zehn Prozent zu Lasten der ostdeutschen Anwälte entfällt. Vor Gericht werden frühzeitige Einigungen belohnt, und auch einvernehmliche Scheidungen werden billiger.

Dass die neuen Gebühren Bürger davon abhalten könnten, ihr Recht durchzusetzen, glaubt Anwaltsvertreter Mattik nicht. Schon jetzt würden 75 Prozent aller Streitigkeiten durch außergerichtliche Vergleiche erledigt. „Es ist für keinen Menschen ein Vergnügen zu klagen“, weiß Mattik. Eine Klage sei der letzte Ausweg, wenn man gütlich nicht weiterkomme. Doch in den meisten Fällen könne man sich auf anderem Wege einigen. Das zeige die Statistik, so Mattik: „Jeder Bürger geht in seinem Leben maximal zwei Mal vor Gericht.“

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