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Wirtschaft: Reifer Markt

Große Preisschilder, keine Rolltreppen: In der Lausitz gibt es den ersten Seniorenfachmarkt

Grossräschen - Es ist nur ein Klotz aus weiß getünchtem Beton. Zwei Stockwerke hoch, quadratisch, ein ehemaliger Baumarkt. Der Klotz steht in einem Gewerbegebiet irgendwo am Ortsrand von Großräschen in der Niederlausitz und ist etwas Besonderes: Im Innern verbirgt sich der erste Seniorenfachmarkt Deutschlands. Vor zwei Jahren öffneten sich hier die Glastüren für die reife Kundschaft in einem überreifen Markt.

Das Geschäft mit den Senioren bietet hervorragende Perspektiven. „Da geht es um riesige Summen“, sagt Gundolf Meyer-Hentschel, Experte für Seniorenmarketing aus Saarbrücken. So hat etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin errechnet, dass Senioren in Zweipersonenhaushalten im Jahr durchschnittlich über ein Nettoeinkommen von 19 000 Euro verfügen. Zum Vergleich: Eine vierköpfige Familie bringt es im Schnitt auf 17 750 Euro. Noch eindringlicher ist eine Zahl vom Statistischen Bundesamt: Rund 100 Milliarden Euro betrage das „frei verfügbare Einkommen der Senioren ab 60 pro Jahr“.

Doch ältere Menschen sind ein anspruchsvolles Publikum. Denn dem theoretisch verfügbaren Einkommen zum Trotz sparen viele Senioren ihre Rente lieber, als sie in die Läden zu tragen. Das liegt Meyer-Hentschel zufolge vor allem daran, dass sich der Handel bislang viel zu wenig Mühe machte, die Senioren zu mobilisieren. „Mit üblichen Konzepten kommt man da nicht weit“, sagt der Experte. Man müsse auf die Senioren zugehen, sich ihren Bedürfnissen anpassen.

Genau das haben Angelika und Holger Deliga getan, als sie das bundesweit erste Kaufhaus für Senioren eröffneten. Ihre Maxime dabei war: Mit den eigenen Kunden altern. Und das heißt für die beiden 47-Jährigen, sich einzufühlen in das, was auch für sie in 20 oder 30 Jahren wichtig sein könnte. „Was früher schön sein musste, verführerisch, dass muss später vor allem praktisch sein und bequem“, sagt Angelika Deliga. „Unsere reiferen Kunden möchten hier vor allem auch das Gefühl haben, dass man Zeit für sie hat und sich ihnen zuwendet“, sagt ihr Mann.

„Zeit, Komfort und intensiver Service“, sieht auch Meyer-Hentschel als wichtigste Kriterien an, um mit den älteren Menschen ins Geschäft zukommen. Im Seniorenmarkt Deliga sieht das so aus: extragroße Umkleidekabinen, viele Sitzgelegenheiten, gefällige Musik und überdimensionierte Preisschilder. Dazu doppelt so viele Mitarbeiter als in einem vergleichbaren normalen Kaufhaus.

Ebenso zum intensiven Service gehört eine tägliche Modenschau. 40 Personen sitzen im Cafébereich des ebenerdigen Kaufhauses – Rolltreppen gibt es wegen der Sturzgefahr nicht. Frauen mit zumeist grauem, Männer mit lichtem Haar. Auf dem Tisch stehen Kuchen und Kaffee, der nicht zu stark sein darf. Angelika Deliga ergreift das Mikrofon: „Schauen Sie, meine Damen und Herren, unsere Models sind auch keine 18 mehr und haben schon die ein oder andere Figurunebenheit“, sagt sie und erntet Gelächter. Eine Dame tuschelt mit ihrer Nachbarin: „Siehste, die hat auch so ’ne vermanschte Figur wie ich.“ Kommentare wie diesen hören die Deligas gerne, zeigt er doch, dass die Kundschaft sich nicht übervorteilt fühlt.

Mode an Kleiderkarussellen, eine Ecke für Reisebuchungen, ein kleines Café – das Angebot ist kaum zu unterscheiden von einem konventionellen Kaufhaus. Der Unterschied liegt in der Abteilung mit den Alltagshilfen. Die Handys haben große Tasten, aber keinen Schnickschnack. Viel wichtiger dagegen ist die Notruftaste, die sofort mit einem Arzt verbindet. Oder spezielle Lupen, die – groß wie eine Schranktür – vor den Fernseher gestellt werden, um Sehgeschwächten den Blick in die Welt zu ermöglichen.

Noch ist es ein Nischenmarkt, aber das wird sich Experten zufolge dramatisch ändern. Die Deutschen werden immer älter und die Älteren immer mehr. So hat sich die Zahl der Senioren seit 1990 fast verdoppelt. 2005 war in Deutschland schon fast jeder vierte Bürger über 65 Jahre alt. Wollte der Bundespräsident heute noch jedem 100-Jährigen einen Blumenstrauß schicken, „müsste er einen Blumengroßhandel aufmachen“, sagt Holger Deliga und lacht. Glänzende Aussichten also. Deswegen wollen die Deligas mit ihrem Konzept rasch expandieren. In Freiburg, Dresden und Hannover sind Ableger ihres Kaufhauses geplant, die den noch eher bescheidenen Jahresumsatz von einer Million Euro steigern sollen.

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