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Wirtschaft: Reisen & Shoppen: Bei Boss lassen die Kunden die Hosen runter

Behelmt und in voller Montur baut sich der Feuerwehrmann an der Tür zum Bekleidungsgeschäft auf und wiederholt immer nur den einen Satz: "15 Minuten Pause, wir lüften." Die Kunden, die ohnehin seit einer halben Stunde vor der Tür warten, müssen draußen bleiben.

Behelmt und in voller Montur baut sich der Feuerwehrmann an der Tür zum Bekleidungsgeschäft auf und wiederholt immer nur den einen Satz: "15 Minuten Pause, wir lüften." Die Kunden, die ohnehin seit einer halben Stunde vor der Tür warten, müssen draußen bleiben. Die Stammbesucher kennen das schon. Viele kommen regelmäßig nach Metzingen - ins Eldorado des Fabrikverkaufs. Sie kennen den schier endlosen Stau auf den Zubringerstraßen. Auch an die mindestens einstündige Parkplatzsuche haben sie sich gewöhnt. Und wer das alles noch nicht kennt, gibt sich unauffällig und reiht sich ein. Wer sich treiben lässt, findet sich unweigerlich mitten in der anonymen Menschenmenge wieder. Schnäppchenjäger müssen das aushalten können.

Wer an Sonnabend oder Brückentagen absahnen will, muss schnell sein. Bis zu 300 000 Autos und Busse quälen sich dann durch die Straßen Metzingens. Als erster hatte Hugo Boss in die Kleinstadt im Landkreis Reutlingen gelockt, als er dort vor bald 77 Jahren sein größtes Geschäft eröffnete. Vor zwei Jahren, beim Jubiläum, gab es ein riesiges Fest. Schließlich ist Boss der größte Arbeitgeber im Ort. Eine Institution. Und so huldigen seine Kunden aus aller Welt inzwischen dem schwäbischen Dativ und gehen "zum Hugo". Da lässt sich die Konkurrenz nicht zweimal bitten. 42 Firmen haben sich seither in Metzingen angesiedelt - Arami, Bally, Diadora, Seiz, Reusch, Peter Hahn, Baur, Bazlen, Bogner, Cerruti, Escada, Lego und Playmobil. Auf zwei Milliarden Euro wird der Jahresumsatz im Factory-Outlet-Bereich geschätzt, allein zehn Prozent davon erwirtschaftet der Standort Metzingen.

An Wochenenden sind die Kunden besonders außer Rand und Band. Irgendwann sind sie voll auf dem Trip, dann ist zwar kein Produkt mehr so richtig schön, aber unglaublich billig. "Die Leute sind süchtig", sagt ein Verkäufer bei Boss, der das Treiben immer sonnabends beobachtet. Um 50 Prozent ist die Ware billiger als in den Boutiquen. Das muss der junge Mann, der eigentlich Schneider ist und zu Stoßzeiten hier aushilft, jedem bestätigen. Die Kunden können solche Beteuerungen nicht oft genug hören.

Es lohnt sich, keine Frage. Nur die Modelle der neuesten Kollektion sind hier nicht aufzutreiben; möglicherweise aber im kommenden Jahr. Im Outlet haben vor allem solche Produkte ihre Fans, die nicht überzeugend verbergen können, Ladenhüter gewesen zu sein. Oder Ware mit kleinen Fehlern, und sei es nur ein zu locker angenähter Knopf. Die Schnäppchenjäger gehen nicht zimperlich mit den Objekten ihrer Begierde um - und sie verlieren leicht die Nerven. Da werden Pullover, Blusen und Hosen schon früh in die Tüten gestopft, schießlich nervt das Ambiente spätestens nach zwei Stunden. Die Faustregel in Metzingen lautet: Gehe nie allen, denn es gibt kaum Spiegel und Umkleidekabinen. Und: Schäme Dich nicht, denn auf den Gängen zwischen Regalen und Kleiderstangen seid ihr alle gleich. So wird eingesackt, was billig ist - für die Freundin, den Neffen oder die Oma, egal, denn es war ja mal sündhaft teuer.

Die Kunden kommen aus allen Teilen Deutschlands, von Bremen bis München, von Freiburg bis Görlitz. Aber auch und erst recht aus Schweden, Frankreich, der Schweiz, aus Polen, Ungarn und Österreich. Auch die "falschen Franzosen" eilen nach Metzingen - jene Zwischenhändler, die hier en masse günstig einkaufen, um die Ware in ihrer Heimat 30 Prozent teurer weiter zu verkaufen.

Wachschutz und Polizei, auch sie sind präsent in Metzingen. Wer keinen privaten Wachdienst hat, wird häufiger beklaut und betrogen. Die Polizei patrouilliert stündlich und schätzt die gute Zusammenarbeit mit den privaten Fahndern. Andere Verstöße lassen sie dagegen kalt. Falschparker? Ja, und? Abgeschleppt wird hier kein Kunde. Das könnte sich herumsprechen, und dann zöge vielleicht so etwas wie Normalität ein in dieses Mekka. Und das will hier ernsthaft niemand.

Claudia Lepping

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