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Reproduktionsmedizin: Das Wunschkind

Viele Paare können Nachwuchs nur auf künstlichem Wege bekommen. Das bringt viele Probleme mit sich.

Weltweit sind es Millionen Paare, die sich ein Kind wünschen, aber keines bekommen. Unfruchtbarkeit gilt nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit, wenn eine empfängnisbereite Frau trotz regelmäßigen Geschlechtsverkehrs im Laufe von zwei Jahren nicht schwanger wird. Die Ursachen sind vielfältig, etwa ein Eileiterverschluss oder fehlende Spermienqualität, man schätzt, dass sie bei Mann und Frau in etwa gleich verteilt sind.

KÜNSTLICHE BEFRUCHTUNG

Abhilfe verspricht die Reproduktionsmedizin mit ihren „Kinderwunschpraxen“. Eine wesentliche Therapie ist die künstliche Befruchtung, die In-Vitro-Fertilisation (IVF). Mit einer Punktion werden Eibläschen (Follikel) entnommen und außerhalb des Körpers mit männlichen Samenzellen befruchtet. Nach gut einem Tag kann man absehen, ob sich im Brutschrank ein Embryo entwickelt, der anschließend in die Gebärmutter eingesetzt werden kann. Ein demografisches Faktum hat die Nachfrage nach den Hilfen der Mediziner in den letzten Jahrzehnten dramatisch befördert. Anders als in den siebziger Jahren sind Erstgebärende in Deutschland heute mit im Durchschnitt 30 Jahren rund sechs Jahre älter als damals, entsprechend sinkt die Fruchtbarkeit. Zehn- bis 15 Prozent der Paare bleiben ungewollt kinderlos, jährlich unterziehen sich rund 40 000 von ihnen einer Behandlung. Knapp zwei Prozent aller Kinder werden erst nach Konsultation der einschlägigen Ärzte geboren, pro Jahr sind es rund 10 000.

UMSTRITTENE DIAGNOSTIK

Mit dem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit von Chromosomenschäden. Hinzu kommen mögliche erbliche Vorbelastungen der Paare. Diese Faktoren haben die Aufmerksamkeit wieder stärker auf die Präimplantationsdiagnostik (PID) gelenkt, die Möglichkeit, Embryonen frühzeitig genetisch zu untersuchen, um Schwangerschaften mit erkrankten Embryonen auszuschließen.

DIE RECHTSLAGE

Derzeit diskutiert der Bundestag, wie mit der PID künftig umgegangen werden soll. Die Rechtslage ist nicht eindeutig. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im vergangenen Sommer klargestellt, dass eine PID grundsätzlich erlaubt sein soll, wenn mit ihr „schwere genetische Schäden“ am später im Mutterleib heranwachsenden Embryo vermieden werden können. Was das im Einzelnen bedeutet, bleibt derzeit den Medizinern und den sie beauftragenden Paaren überlassen. Der BGH hat nur, allerdings eher am Rande, festgestellt, dass er das Embryonen-„Screening“, also eine morphologische Untersuchung unter dem Lichtmikroskop, zur Auslese ablehnt. Damit könnte beispielsweise ermittelt werden, welche der befruchteten Eizellen für die Einnistung in der Gebärmutter besonders geeignet erscheint. Einer weiteren Ausdehnung der PID, etwa durch Herstellen einer Vielzahl von Embryonen, sind nach Meinung von Juristen durch das Embryonenschutzgesetz Grenzen gezogen.

Einstweilen aber gilt: Paare, die erblich belastet sind, können sich an Kinderwunschpraxen wenden und um eine PID bitten; auch gesunde, aber ansonsten unfruchtbare Paare können um eine PID bitten, wenn sie genetisch absehbare schwere Erkrankungen ihres Kindes verhindern möchten. Fest steht nach dem BGH-Urteil auch, dass eine Frau straflos bleibt, wenn sie das Einsetzen eines (erkrankten) Embryos verweigert.

DIE KOSTEN

Ob die PID angeboten wird, lässt sich in den Praxen erfragen. Die Kosten hängen von der Störung ab, die diagnostiziert werden soll. Als grobe Richtschnur gilt unter Medizinern ein Betrag um die 500 Euro pro Embryo. Eine IVF kostet pro Behandlungszyklus ungefähr 2000 Euro, die Krankenkasse übernimmt seit der Gesundheitsreform 2004 nur noch 50 Prozent – und dies auch nur, wenn die Paare verheiratet und nicht zu alt sind. Technisch gesehen hat die PID in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. In der Form der „Blastozystenbiopsie“ rund fünf Tage nach der Befruchtung werden dafür Zellen verwendet, die sich später im embryonalen Teil der Plazenta finden. Eine Schädigung des Embryos ist nahezu ausgeschlossen. Auch dies hat die Karlsruher Richter bewogen, das Embryonenschutzgesetz PID-freundlich auszulegen.

DIE ENTWÜRFE

Wie lange die Periode relativer PID-Freiheit in Deutschland noch währt, ist ungewiss. Zwei der drei Gesetzentwürfe sehen eine restriktive Zulassung vor, einer, für den sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgesprochen hat, ein Totalverbot. Die PID unterscheide zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben, lautet das Hauptargument. Wie der Bundestag sich entscheidet, ist ungewiss, es gibt keinen Fraktionszwang. Aber die Stimmen, die PID jedenfalls eingeschränkt zu erlauben, werden mehr.

DIE GEFAHREN

Unabhängig davon sollte man sich im Klaren sein, dass die Reproduktionsmedizin Kinder nicht garantieren kann, schon gar keine gesunden. Die sogenannte Baby-take-home-Rate, also der Therapieerfolg, liegt in Deutschland zwar bei 15 Prozent und damit in der Nähe der Wahrscheinlichkeit bei spontaner Empfängnis. Das Risiko für Fehlbildungen ist nach solchen Behandlungen aber im Vergleich um 30 bis 40 Prozent erhöht. Auch besteht ein statistisch erhöhtes Risiko für Komplikationen rund um die Geburt selbst.

Besonders risikoreich sind Mehrlingsschwangerschaften, zugleich sind sie häufig, weil mit dem Einsetzen mehrerer Embryonen, derzeit meist zwei, die Aussicht auf eine erfolgreiche Einnistung besser ist. Rund ein Drittel der im Labor gezeugten Kinder sind Mehrlingskinder. Das muss nicht sein. In manchen Ländern Europas wie Schweden, Belgien und Großbritannien konzentriert man sich zunehmend darauf, den Frauen nur einen – möglichst erfolgversprechenden – Embryo einzusetzen.

Einen ausführlichen Schwerpunkt rund um das Thema Reproduktionsmedizin finden Sie auf gesundheitsberater-berlin.de, dem Such- und Beratungsportal von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin.

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