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Wirtschaft: "Risiko Rechtsanwalt": Uwe Wesel setzt sich in einem neuen Buch erzählerisch mit dem Beruf des Rechtsanwalts auseinander

Lern was Ordentliches. Werde Arzt oder Rechtsanwalt.

Lern was Ordentliches. Werde Arzt oder Rechtsanwalt. Schöner Rat. Vor allem der mit dem Rechtsanwalt. Wer ihn zu Beginn der 90er Jahre befolgt hat, war alles andere als allein. Zuerst der Kampf um einen Studienplatz, später der um einen Sitzplatz im Hörsaal, dann der um den Platz im Referendariat. Noch nie gab es in Deutschland so viele Jurastudenten wie in jener Zeit. Der größte Kampf stand ihnen jedoch noch bevor: der um den Arbeitsplatz.

Hier setzt das neue Buch des emeritierten Berliner Rechtsprofessors Uwe Wesel an. "Risiko Rechtsanwalt". Seine These: Es gibt immer mehr Jura-Absolventen bei sinkenden Aussichten, in der Verwaltung oder als Richter Beschäftigung zu finden. Und weil dort ohnehin nur die Besten genommen werden, drängt die Masse mit den schlechten Examensnoten in den Anwaltsberuf. Das wiederum senkt die Chance der Klienten, qualifiziert beraten und vor Gericht gut vertreten zu werden. Deshalb das "Risiko".

Der Verlag preist eine "brillante Polemik". Zwischen den Buchdeckeln sind die Töne leiser. In kurzen, übersichtlichen Kapiteln ordnet Wesel die Facetten des Themas und tut, was er am besten kann: Geschichten erzählen. Er steigt ein mit zwei typischen Karrieren, von denen die eine hervorragend dotiert in der Großkanzlei endet, die andere mit schmalem Honorar in der Wald- und Wiesen-Kanzlei. Es gibt spannend und verständlich geschilderte Fälle, die Anwälte als kluge Kämpfer für das Recht vorführen und solche, die sie musterhaft versagen lassen. Wesel macht sich Gedanken über die Zwitterstellung seiner Helden im Staat - einerseits unabhängig, andererseits "Organe der Rechtspflege" - und sondiert Berufsaussichten als Schlichter und Vermittler.

Folgt aus allem, dass das Gros der über 110 000 Anwälte in Deutschland ein "Risiko" ist? Der Autor stellt die provokanten Klappentext-Thesen selbst in Frage. Zum einen macht ein gutes Staatsexamen noch keinen guten Anwalt. Anwälte müssen auch moderieren und übersetzen, taktieren und sich einfühlen können. An der Uni lernt man das nicht, der Staat prüft es nicht. Also braucht man einen erfahrenen Anwalt. Aber wird der nicht wiederum eher nachlässig? Zum anderen: Liegt nicht überhaupt das größere Risiko bei den Richtern? Wesel zitiert die römische Richter-Regel "da mihi factum, dabo tibi ius". Der Richter gewährt das Recht. Zunächst ist er es, der keine Fehler machen darf. Aus historischer Warte gab es für den Anwalt keinen Platz im System. Uwe Wesel zeichnet diese Geschichte anschaulich nach. Erst mit einem zunehmend komplexeren Recht machte sich der Beruf, der früher einmal eine unbezahlte Ehrenaufgabe war, unentbehrlich.

Wesel bringt keinen Beleg dafür, dass man heute von Anwälten schlechter bedient wird als vor zwanzig oder vierzig Jahren. Ein Risiko ist der Rechtsanwalt wohl vor allem für sich selbst: Zum Beispiel, wenn er die Entwicklung zur Mediation, der Konfliktlösung außerhalb der Gerichte, verschläft - wie damals in den 20er Jahren die Öffnung des Anwaltsberufs zum Steuerberater.

Für jene, die keine Enthüllungen erwarten, ist das Buch darum nicht weniger lesenswert. Auch nicht für Rechtsanwälte, die gewöhnlich zwar viel über das Recht, aber wenig über dessen Geschichte wissen. Wer indes wirklich in die Materie einsteigen will, wird an der jüngst erschienenen zweiten Auflage von Uwe Wesels profunder "Geschichte des Rechts" mehr Freude haben. Der Autor hat dieses Buch um die historische Entwicklung der Anwaltschaft ergänzt.

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