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Wirtschaft: Riskante Aktionen

Der Verbraucher ist geschützt – aber nicht in allen Bereichen

Von Heike Jahberg

Mehr als 61 Millionen Menschen dürfen bei der Bundestagswahl am Sonntag ihre Stimme abgeben – Männer und Frauen, Reiche und Arme, Arbeiter und Unternehmer. So unterschiedlich das Wahlvolk ist, eine Eigenschaft ist allen gleich: Jeder Wähler ist auch ein Verbraucher. Kein Wunder also, dass die Parteien vor der Wahl ihr Herz für den Konsumenten entdecken.

In kaum einem Land sind Verbraucher so umfassend geschützt wie in Deutschland. Wer einen kaputten Fernseher kauft, kann reklamieren. Pauschalreisende starten nur noch mit Sicherungsscheinen in den Urlaub, die ihnen bei einer Pleite des Reiseveranstalters helfen. Mieter haben gute Karten, sich gegen allzu begierige Vermieter zu wehren. Ob Kauf, Miete, Reise – für fast alle Bereiche des Verbraucherlebens gibt es Gesetze, auf die sich die Konsumenten berufen können.

Unter der rot-grünen Regierung sind noch einige hinzugekommen. Zu den Erfolgen seiner Verbraucherpolitik zählt das Kabinett Schröder die Abschaffung des Rabattgesetzes, die Reform des Mietrechts, das neue Gewährleistungsrecht und das am 1. August in Kraft getretene reformierte Schadensersatzrecht. Rot-Grün hat den Weg frei gemacht für ein hemmungsloses Feilschen um Niedrigpreise – wobei nur wenige Deutsche diese Möglichkeit auch wirklich nutzen. Das modernisierte Mietrecht hat strengere Regeln für Mieterhöhungen und den Mietern flexiblere Kündigungsmöglichkeiten gebracht. Das neue Gewährleistungsrecht erlaubt Käufern, kaputte Waren und Produkte statt sechs Monate nun zwei Jahre lang beim Verkäufer zu reklamieren. Und das reformierte Schadensersatzrecht erleichtert den Bürgern, Schmerzensgeld zu erstreiten und sich gegen unverträgliche Medikamente zur Wehr zu setzen.

Schutzschild mit Löchern

Trotz des rot-grünen Modernisierungseifers gibt es hier zu Lande aber noch zahlreiche schwarze Löcher im Verbraucherschutz (siehe unten). Bauherren, die mitten im Bauvorhaben vom Konkurs ihres Bauunternehmens überrascht worden sind, können davon ein Lied singen. Kleinanleger, die sich von den Vorständen der Kapitalgesellschaften betrogen fühlen und versuchen, wenigstens einen Teil ihrer Kursverluste von den Managern ersetzt zu bekommen, gehen vor Gericht fast immer leer aus. Patienten, die sich vom Arzt schlecht behandelt fühlen, wissen oft nicht, wer ihnen hilft und welche Rechte sie eigentlich haben.

Weitgehend rechtlos sind die Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Wenn Busse oder Bahnen ausfallen, kann der Kunde nur auf die Kulanz des Unternehmens hoffen – gesetzliche Anspruchsgrundlagen stehen ihm nicht zur Seite. Das gilt auch gegenüber der Deutschen Bahn. Zwar können sich Fahrgäste seit September auf das europäische Bahnabkommen Cotif berufen, wenn Züge ausfallen oder sich so verspäten, dass die Reisenden nachts stranden. In diesen Fällen ist das Staatsunternehmen ausnahmsweise gesetzlich verpflichtet, Übernachtungskosten des Kunden zu tragen. Alles andere beruht auf Kulanz.

Wer sein Geld am grauen Kapitalmarkt anlegt, steht am Ende nicht selten mit leeren Taschen da. Auch grenzüberschreitende Geschäfte haben ihre Tücken. Denn wenn der Gerichtsstand im Ausland liegt, wird mancher lieber auf sein gutes Recht verzichten als den Aufwand auf sich zu nehmen, seine Ansprüche durchzusetzen.

Dass Handlungsbedarf besteht, sieht auch die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Sollte sie weitermachen dürfen, will die Ministerin in den kommenden Jahren vor allem folgende Themen anpacken: den grauen Kapitalmarkt, den Schutz von Versicherungskunden, das private Baurecht und die Rechte der Fahrgäste im öffentlichen Verkehr. Zudem will Künast ihr Lieblingskind – das Verbraucherinformationsgesetz – in einem zweiten Anlauf durch die parlamentarischen Gremien pauken. Das neue Gesetz soll Bürgern das Recht geben, sich umfassend bei Behörden zu informieren und den staatlichen Stellen die Möglichkeit einräumen, häufiger als bisher vor Produkten zu warnen. Besonders am Herzen liegt ihr zudem ein Initiativrecht, das der Verbraucherministerin künftig erlauben soll, verbraucherfreundliche Gesetze anzustoßen, wenn eigentlich andere Fachministerien zuständig wären.

Die Konkurrenz geht mit Künasts Verbraucherpolitik hart ins Gericht. Das Verbraucherschutzministerium sei ein „Landwirtschaftsministerium mit grünem Mantel“, kritisiert die verbraucherpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gudrun Kopp. Zudem habe die Ministerin ein antiquiertes Verbraucherbild: „Man muss den Verbraucher nicht an die Hand nehmen“, sagt die Liberale. Stattdessen solle man Rahmenbedingungen schaffen, die es den Konsumenten erlauben, ihre Wahl zu treffen. Überflüssige Gesetze, meint Kopp, müssten aufgehoben werden, alle fünf Jahre sollten bestehende Regelungen daraufhin überprüft werden, ob man die Vorschriften überhaupt noch brauche. Des Weiteren wünscht sich die Liberale einen „Gesetzes-Tüv“: Alle neuen Gesetze sollten daraufhin kontrolliert werden, ob sie für die Verbraucher verständlich und nützlich seien.

Auch Peter Harry Carstensen, in Stoibers Kompetenzteam für Verbraucherschutz zuständig, geht mit dem Verbraucherschutzministerium hart ins Gericht: Wichtige Themen wie die Riester-Rente oder die Euro-Einführung liefen nur nebenher. Tatsächlich ist das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in seinem Kern immer noch eine Agrarbehörde. Von den 950 Mitarbeitern, die das Ministerium beschäftigt, arbeiten gerade einmal gut 100 im Bereich Verbraucherschutz. Das Referat „wirtschaftlicher Verbraucherschutz“, in dem alle Fragen behandelt werden, die nicht mit Ernährung und Gesundheit zu tun haben, besteht gerade einmal aus 20 Köpfen - dass das hinten und vorne nicht reicht, dürfte auch der Ministerin klar sein.

Aber auch in dem ministerialen Kernbereich haben die politischen Gegner Schwächen ausgemacht. Insbesondere die Kontrolle von Lebensmitteln funktioniere nicht, sagen Kopp und Carstensen. Sie wünschen sich eine effektivere Überwachung, mehr Personal und einen Staatsvertrag, in dem Bund und Länder eine vernünftige Arbeitsteilung vereinbaren. Derzeit sei ein Kontrolleur für bis zu 1800 Betriebe zuständig. Mit Verbraucherschutz habe das nichts mehr zu tun. Ob die Verbraucher das auch so sehen, wird man schon bald wissen – am Sonntag.

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