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Wirtschaft: "Robin Hood" der Aktionäre

FRANKFURT . Den Mann, der mit schweren Aktenkoffern bepackt, die Frankfurter Festhalle betritt, fürchten deutsche AG-Vorstände wie der Teufel das Weihwasser.

FRANKFURT . Den Mann, der mit schweren Aktenkoffern bepackt, die Frankfurter Festhalle betritt, fürchten deutsche AG-Vorstände wie der Teufel das Weihwasser. Mit der Hoechst AG hat er diesmal einen besonders dicken Brocken im Visier: Karl Walter Freitag, 44, Geschäftsführer der Metropol Vermögensverwaltungs- und Grundstücksgesellschaft mbH, Köln, und der Ost-West Außenhandels- und Vermögensverwaltungs GmbH, Köln, einer Tochter der Ost-West Beteiligungs- und Grundstücksverwaltungs AG, Heidelberg, der wiederum die Metropol per Beherrschungsvertrag unterstellt ist und deren Vorstandsmitglied seit Januar 1998 ebenfalls Freitag ist. Die Konstruktion läßt es bereits ahnen: Der Mann kennt sich aus im deutschen Gesellschaftsrecht. Und er nutzt sein Know-how.Ausgiebig und mit Leidenschaft tummelt er sich vor allem im Aktienrecht. Die Spezialität des ehemaligem Journalisten, dem man nachsagt, er habe schon im zarten Alter von sechzehn Jahren seine erste Hauptversammlung gesprengt: der extensive Einsatz des Minderheitenschutzes. Wo er - mit Vorliebe im Quartett mit wechselnder Besetzung - auftaucht, da wissen die Vorstände, daß der Ausgang ihrer Hauptversammlungen nicht mehr sicher ist und daß hinterher zumindest Anfechtungsklagen drohen.Eine Hoechst AG, die sich unter dem Druck ihres kuwaitischen Großaktionärs im Schweinsgalopp auf die Fusion mit der französischen Rhône-Poulenc zubewegen muß, ist für den Vorstandsjäger Freitag das gefundene Fressen. Die Kombination aus Zeitnot und existenzieller Weichenstellung hält den Streß des Gegners ohnehin auf einem hohen Pegel, läßt ihn mit großer Wahrscheinlichkeit Fehler begehen. Und wenn alles nichts hilft, dann genügt es immer noch, Widerspruch mit der Begründung zu Protokoll zu geben, daß keine der sorgsam gestellten Fragen wirklich beantwortet wurde.So erging es schließlich auch dem Frankfurter Chemiekonzern, der von der drohenden Attacke Wind bekommen und seine Hauptversammlung vorbeugend schon für zwei Tage einberufen hatte. Zunächst hielt sich Freitag an sein Ritual, eine über Jahre hinweg verfeinerte Strategie von prozeduraler, juristischer und psychologischer Raffinesse. Im ersten Schub von etwa eineinhalb Dutzend Rednern tauchte nur einer seiner offenkundig drei Mitstreiter auf, sich selbst hielt er bis zum späten Nachmittag des ersten Versammlungstags zurück.Dann aber ging der Mann aus Köln mit der gewohnten Professionalität zu Werk, für die ihm selbst die Opfer einen gewissen Respekt nicht versagen können. Mit welcher Akribie und Sachkunde der Vorstandsschreck seine Auftritte vorbereitet, wurde in Frankfurt einmal mehr offenbar. Die Konzernjuristen hätten ihre Hausaufgaben kaum besser machen können als ihr Gegner - die jeweils etwa 90seitigen Berichte zur Abspaltung des konventionellen Chemiegeschäfts und zur Fusion waren sorgfältig durchgearbeitet, die Fragen chirurgisch-präzise angesetzt. Freitag labert nicht.Auch das seine Spezialität: Er kommentiert extrem wenig, zumeist nur in Parenthese und immer mit spitzer Zunge. Stattdessen konzentriert er sich voll auf die Wahrnehmung des Auskunftsrechts - 40 oder 50 Fragen am Stück und immer strikt zur Sache sind bei ihm keine Besonderheit. Die betonte Sachlichkeit ist ebenfalls Taktik: Niemand könnte diesem Aktionärssprecher ohne weiteres einen Mißbrauch des Rederechts nachweisen. Und die dicken Aktenkoffer, die er in den Saal schleppt, deuten darauf hin, daß der Mann am Rednerpult noch ein paar hundert Fragen in petto hat.Unterstützt von seinen Mitstreitern, die andere Rollen, vom freundlich-zeitschindenden Nörgler (beispielsweise an den vielen Anglizismen erkennbar, deren Übersetzung er dann auch abfragen kann) bis zum buchhalternden Korinthenzähler, zu übernehmen haben, fährt Freitag eine Doppelstrategie zwischen Zeitüberschreitung (eine Hauptversammlung, die nicht in dem Zeitraum endet, zu dem sie einberufen wurde, ist ungültig) und Provokation von Anfechtungsgründen. Bei Hoechst und ihrem wohlpräparierten Vorstand mißlang zumindest das Spiel auf Zeit - am Nachmittag des zweiten Versammlungstags zählte das Quartett, das den Tag weitgehend beherrscht hatte, seine Anfechtungspunkte zusammen und befand offenbar, daß es genug seien. Die Veranstaltung konnte um 17 Uhr, also vor dem gefürchteten Schlußtermin von 23.59 Uhr, zu Ende gehen.In den Hauptversammlungen verkauft sich Freitag gerne als eine Art Robin Hood der Kleinaktionäre; auch vor Gericht machte er schon geltend, daß er die erstrittenen Gelder uneigennützig unter den von ihm vertretenen Anteilseignern verteile. Mit wortstarkem Einsatz auch bei kleineren Gesellschaften - wie etwa der ins Schlingern geratenen Sachsenmilch AG oder der Macrotron AG, deren Hauptaktionär das Unternehmen von der Börse zurückzog - versucht er, diesen Anspruch zu bekräftigen. So engagierte er sich bei den Brauerei Bavaria St. Pauli ebenso wie bei der Bankgesellschaft Berlin oder der Düsseldorfer Eisenbahn-Verkehrsmittel AG.Dennoch behaupten böse Zungen, der Mann sorge vor allem fürs eigene Wohl, indem er sich seine Anfechtungsklagen nicht eben zu Sonderangebotspreisen abkaufen lasse. Nur einmal wurden seine Tarife gerichtsnotorisch: Als Freitag 1987 die Übernahme der Bank für Gemeinwirtschaft durch die Aachener und Münchener Beteiligungsgesellschaft (AMB) per Anfechtung blockiert hatte und sich die Anfechtung für 1,5 Mill. DM abkaufen ließ, schlug die AMB zurück. Per Zivilklage, die bis vor den Bundesgerichtshof ging, holte sie sich ihr Geld zurück. Der BGH begründete sein Urteil damit, Freitag habe seine Schutzrechte als Minderheitsaktionär mißbraucht.

JOACHIM WEBER (HB)

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