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Rösler will mit dem Thema Wachstum punkten.

© dpa

Röslers ewiges Thema: Wachstum als Allheilmittel?

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler will mit dem Thema Wachstum Boden gut machen. Doch viele halten die Jagd nach Wohlstand für überholt - und gefährlich.

Ein bisschen Pech war natürlich auch dabei. Kaum hatte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler das Wachstum zu seinem neuen Leib- und Magenthema gemacht, verschwand selbiges von der Bildfläche. Die deutsche Wirtschaft sei auf Schrumpfkurs, erklärten ihm kürzlich die Rechenexperten des Statistischen Bundesamts mit Blick auf das vergangene Vierteljahr. Wann es wiederkommt, ist ungewiss – vielleicht im Winter, vielleicht auch erst nach Frühlingsbeginn. Aber auch dann bestenfalls zaghaft.

Dabei war alles von langer Hand geplant. Um die chronisch umfrageschwache FDP wieder ins Gespräch zu bringen, wollten der Parteivorsitzende und seine Leute endlich wieder eine große Kampagne starten. Sie verfielen auf das Wirtschaftswachstum, das lag nahe für die firmenfreundlichen Freidemokraten. Seitdem haut Rösler auf die Pauke. „Ich stehe für Wachstum“, sagte er dieser Tage dem Tagesspiegel. „Wenn alle anderen Parteien sich vom Wachstum distanzieren, braucht Deutschland eine Partei, die sich klar dazu bekennt – die FDP“, lässt er in Hallen und Zelten wissen. Plakate hat Rösler auch drucken lassen. „Wachstum ist gesund“, steht darauf. Und es gibt eine Internetkampagne. Motto: „Wirtschaftswachstum? Ja bitte!“

Einer wie Rösler muss für Wachstum sein, schon wegen ruhmreicher Amtsvorgänger wie Ludwig Erhard oder Graf Lambsdorff. Dumm nur, dass seine politischen Freunde die Sache weniger euphorisch sehen. Etwa der Finanzminister. „So sehr wir uns für die Beseitigung des Hungers überall in der Welt einsetzen müssen, so sehr sollten wir uns in unseren westlichen Ländern für eine Begrenzung des Wirtschaftswachstums einsetzen“, meint Wolfgang Schäuble. Ex-Umweltminister Klaus Töpfer fragt sich: „Wie lange kann man in einer abnehmenden Gesellschaft noch wirtschaftliches Wachstum als Grundlage von Stabilität ansehen?“ Selbst mit der Kanzlerin ist er über Kreuz. „Es muss immer wieder Wachstum entstehen und dieses Wachstum muss nachhaltig sein und darf nicht kurzfristigen Raubbau bedeuten“, findet Angela Merkel. Pures Wachstum wie zu Wirtschaftswunder-Zeiten ist als politisches Ziel nicht mehr angesagt. „Sozial verträglich“ muss es sein, und „grün“. So steht es in allen Parteiprogrammen.

Wachstumskritik hat Konjunktur. Das liegt nicht nur an den beiden tiefen Krisen seit der Jahrtausendwende. Der ewige Drang nach immer mehr ruiniert Umwelt und Klima. Zugleich haben immer weniger Menschen den Eindruck, dass die Mehrung des Wohlstands bei ihnen ankommt. Zwar boomte die Wirtschaft zuletzt zwei Jahre in Folge, doch verdient daran haben vor allem Unternehmer und Vermögende. Die Reallöhne der Beschäftigten kamen kaum vom Fleck. Glücklicher werden die Deutschen schon lange nicht mehr, haben Forscher herausgefunden – obwohl sie pro Kopf heute 3200 Euro mehr erwirtschaften als noch vor zehn Jahren.

"Es wirkt als habe Rösler die Debatte gar nicht mitbekommen"

Ein zartes Pflänzchen: In Deutschland wird für 2012 nur noch mit bescheidenen Zuwächsen gerechnet.
Ein zartes Pflänzchen: In Deutschland wird für 2012 nur noch mit bescheidenen Zuwächsen gerechnet.

© picture-alliance / Denkou Images

Den Konsens der Kritiker gibt es noch nicht lange. „Wachstum“ ist das allererste Wort des Koalitionsvertrags von Union und FDP, erst dann folgen „Bildung und Zusammenhalt“. Unter dem Eindruck der tiefen Krise 2009 versprachen die Parteien noch, dass „sich die Wachstumskräfte entfalten“ sollten und „Wohlstand für alle“ nahe sei.

Vorbei. Fukushima, die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, die Schuldenkrise bestimmen seither die Schlagzeilen und schüren Vorbehalte gegen Markt und mehr. Viele in den Reihen von Union, SPD, Grünen und teilweise sogar bei der FDP treibt um, dass der Reichtum Schattenseiten hat. Und das in einer Zeit, in der nicht nur Europas Defizitländer dringend Wachstum brauchen.

Im Bundestag debattiert seit gut einem Jahr eine Enquetekommission darüber, wie sich Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität vereinbaren lassen. Die 34 Parlamentarier und Professoren wollen Antworten auf große Fragen finden: Lassen sich Produktion und Rohstoffverbrauch voneinander entkoppeln? Wie schafft man es, dass das Energiesparen nicht aufgezehrt wird durch Mehrverbrauch an anderer Stelle? Reicht es, Wohlergehen als Anstieg des Bruttoinlandsprodukts auszudrücken oder muss man nicht auch Aspekte wie Zufriedenheit, Gesundheit oder Zusammenhalt berücksichtigen? Im Kern geht es um eine grüne industrielle Revolution. Zwar versteigt sich die Kommission mitunter in wolkiger Systemkritik oder verliert sich im Parteienstreit. Doch immerhin, sie arbeitet. Die neue Kampagne des Wirtschaftsministers wirkt dagegen eher oberflächlich. „Komplett aus der Zeit gefallen“, sagt ein Ausschussmitglied. „Es wirkt, als habe Rösler die gesamte Debatte gar nicht mitbekommen“, stichelt einer der beteiligten Wissenschaftler.

Womöglich torpediert die neue Linie der FDP die Empfehlungen, die die Kommission am Ende aussprechen soll. Das solle kein schlichter Aufruf zum Verzicht sein, sagt die Vorsitzende Daniela Kolbe (SPD): „Wir brauchen an einigen Stellen ungeheures Wachstum – bei Dienstleistungen, Bildung, Gesundheit, Technologie, Kreislaufwirtschaft, grüner Energie.“ In anderen Bereichen sei Rückzug angesagt. „Wir müssen entscheiden, welches Wachstum wir wollen.“

Röslers Leute sind da skeptisch. „Unser Wachstumsthema ist eine klare politische Agenda“, heißt es im Ministerium. „Das Thema kommt sonst unter die Räder.“ Der Minister selbst hat sich auf die Kritiker eingeschossen. Um „Wachstumsjäger“ handele es sich, „die wollen nicht höher, schneller, weiter, sondern niedriger, langsamer und kürzer“, ätzte er dieser Tage. Damit werde das Land „einfallsloser, fremdbestimmter und ärmer“.

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