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Wirtschaft: Rolf Curt

(Geb. 1931)||Die Bilder waren wichtig. Viel wichtiger als das Leben.

Die Bilder waren wichtig. Viel wichtiger als das Leben. Nach dem Erbrecht wäre Rolf Curt, Ältester von vier Geschwistern, Gutsherr auf dem Hof in Senzig geworden. Er half bei der Ernte und bei den Tieren. Aber für immer? Er wollte lieber an die Kunsthochschule. In der großen Familie war er der Einzige mit solchen Ambitionen. Sein Vater war Steuerbeamter und musste in den Krieg. Die Zeit nutzte Rolf, um mit Mutters Unterstützung aufs Gymnasium in Königs Wusterhausen zu kommen. Das Abiturzeugnis kommentierte der Großvater: „Steig auf den Trecker, pack mit an.“ Das Ölporträt, das Rolf von ihm gemalt hatte, beeindruckte ihn wenig. Rolf ging dennoch nach Berlin, einen Stapel Bilder unterm Arm. Der Professor brummte: „Alles Scheiße.“ Und empfahl Rolf für die Vorklasse. Das Studium bei Schmidt-Rottluff und Pechstein folgte, und Rolf wurde Meisterschüler bei Max Kaus.

Er wohnte in Witzleben zur Untermiete, nach Senzig fuhr er regelmäßig. Auch seine Freundin Waltraud kam von da. Irgendwann durfte er sie als West- Berliner nur noch bis zum Grenzübergang Grünau begleiten. Großvaters Hof gehörte bald zur LPG. Aus Rolf wäre sowieso kein Hofherr geworden.

Er bekam Stipendien und Preise, vor allem seine Radierungen standen gut im Kurs. Der Senat kaufte Bilder, auch Sammler aus Übersee. Für die Familie mit inzwischen zwei Kindern reichte es trotzdem nicht. Er heuerte beim Architekten Fritz Bornemann als Grafiker an, zeichnete nun Pläne und baute Modelle für Messen und für die Deutsche Oper. Dabei wurde viel geraucht und viel getrunken. Die Galerie in der Grolmanstraße betrieb er weiterhin mit befreundeten Künstlern der Gruppe 70. Richtig glücklich war er jedoch nicht.

Mitte der Siebziger wurde seine Ehe geschieden. In seiner Friedenauer Zweizimmerwohnung konnte er jetzt arbeiten, wie er wollte: intensiv und exzessiv. Nach außen drang seine Kunst nicht mehr, worunter er litt – doch Klinkenputzen wollte er auf keinen Fall. Im Zwischenmenschlichen war er überhaupt zurückhaltend. Besuch quartierte er im Hotel ein, Kontakte pflegte er unregelmäßig, er brauchte die ungestörte Konzentration.

Wer war gern mit so einem zusammen? Rosemarie. Die kam auch aus Senzig und hatte Rolf das letzte Mal zu Studentenzeiten auf der Straße getroffen, da war er sehr überheblich. Als seine Tante sie jetzt mitbrachte, war er netter, aber zu nahe sollte sie ihm nicht kommen. Seine Ehe war eben erst kaputtgegangen. Er glaubte nicht an Zweisamkeit. Rosemarie blieb hartnäckig. Mit ihr wurde Rolf mobiler. Sie fuhr Auto, trug seine Sachen und ließ ihn in Ruhe malen, egal ob in den Bergen oder auf Fehmarn am Strand. In ihrer Wohnung veranstaltete er jedes Jahr eine Werkschau „Kunst und Suppe“, sein Podium. Da war er glücklich. Er fand eben so viel Aufmerksamkeit, wie er brauchte und vertragen konnte.

Manchmal befragte er Rosemarie zu seinen Bildern und fiel ihr dann sofort ins Wort: „Du verstehst sowieso nichts davon“. Zusammenwohnen wollte er auch lange nach der Hochzeit nicht mit ihr. Zu den Mahlzeiten kam er und blieb schließlich ganz. Eifersüchtig war er selbst auf den Heizungsmonteur.

Die letzten Jahre malte er wie besessen, immer wieder Berlin, die Wannseeschönheiten, das Südgelände. Skizzenbücher liegen noch im Wohnzimmer: Rechts ein Bild, links Notizen. An einem Dezembertag 2004 schreibt er vom Besuch beim Arzt, vom Krebs und den Therapien und Tabletten. Abschließend notiert er sachlich: „Eigentlich alles ganz normal“.

Von Aufbrüchen und Wegen, Schienen und Fluchten handeln viele seiner Bilder. Ziele, davon war er überzeugt, mussten angegangen werden. Nun stand dieses an, wovon er immer öfter träumte: Das Licht am Ende des Tunnels. Er zog sich ins Atelier zurück. Drei Tage und drei Nächte, dann war das Werk fertig. Er gab zu Protokoll: „Das Ende des Tunnels ist erreicht.“ Er schien danach gut vorbereitet. Die schwangere Nachbarin kam zu Besuch. „Siehste“, sagte er zu ihr, „der Kleene kommt und ick gehe.“

Veronika de Haas

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