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Wirtschaft: Rosetten aus dem Zirkelkasten

Die Outdoor-Möbel „Re-Trouvé“ von Patricia Urquiola erinnern an die Fifties

Der geflochtene Metalldraht sieht aus, als hätte jemand mit einem Kleiderbügel aus der Reinigung herumexperimentiert. Altmodische Haarnadeln, Büroklammern und Obstkörbchen fallen einem noch ein: Aus Draht lässt sich vieles machen. Die spanische Designerin Patricia Urquiola, die in Italien lebt und arbeitet und jede Saison mit weiblichem Blick und genialem Formgefühl eine neue Designsensation hervorbringt, hat aus profanen Metallstäben eine puderdosen-schöne Möbelserie für die italienische Firma „EMU“ entworfen. „Re-Trouvé“ nennt sie ihre verzierlichten Stühle, Sessel, Tischchen und Pflanzenkübel, die an eine nostalgische, dem Poesiealbum entnommene Buntstiftzeichnung erinnern: etwas ist – re-trouvé – wiedergefunden worden, ein Material, eine Form, ein Lebensgefühl.

Der Draht ist geschwungen wie Ranken und Gewächse draußen im Garten. Im Sommer macht man es sich auf diesen beschwingten Drahtskulpturen bequem: nicht auf der schweren weißen Holzbank in englischer Landschaftsgartenweite, sondern auf etwas, das wohnstubengezähmt, aber genauso organisch geformt ist wie die wuchernde Umgebung. Lange war die pastellfarbene „Petit-Fours“-Welt der dekorativen Fifties mit lilafarben leuchtenden Wintergartenfenstern hinter gerafften Gardinen wohl als zu kleinteilig verschrien und auch zu sehr um anheimelnde Anpassung bemüht, als dass man sie groß vermisst hätte. Mit „Re-Trouvé“ ist die zuckergusssüße Garten- und Terrassenwelt wieder da und von allen Seiten schallt Begeisterung.

Die Liste der Vorläufer ist lang: All die anonymen Parkgestühle und verschnörkelten „Monoblock“-Vorfahren, die namenlos im letzten Jahrhundert im Grün standen. Die große Liebe zur Linie begann mit dem Jugendstil und der Art Nouveau. Wie Pflanzenadern wuchs und spross es an Häusern und in Wohnzimmern. Die Natur gab gleichermaßen Anregung für Ornament und Konstruktion.

Während in den zwanziger Jahren manche den Weg ins streng Geometrische nahmen, blieben andere französelnd beim Art-Déco. In Deutschland waren Letztere deutlich in der Minderheit. Zu ihnen gehörte die heute kaum mehr bekannte Berliner Architektin und Designerin Hildegard-Ruth Geyer-Raak. Ihre weiß lackierten, filigran floralen Eisenstabmöbel kamen nicht nur in den Garten, sondern auch in die gute Stube. In den fünfziger Jahren bestückte Geyer-Raak mit ihnen die „Jugoslawische Botschaft“ und das „Hotel am Zoo“ in Berlin. Wände bemalte sie mit luftig fantastischen Landschaften. Tapeten und Gardinen gestaltete sie wie ein verträumtes Sommergefühl, holte mit den schwelgenden Formen und Gewächshausrauschmotiven das Draußen nach drinnen und brachte für die Bewohner selbst im Winter noch ein paar südlichere Tage.

Das lianenhaft Leichte und Dynamische des Drahts, der die Gestalt kaum beschwert und Durchsicht ermöglicht, ging an anderer Stelle auch in abstrakt modernen Formen auf. Charles und Ray Eames entwarfen Anfang der Fünfziger den „Wire Chair“, ihr Freund und Kollege Harry Bertoia den ergonomisch geformten „Diamond-Chair“, durch den der Raum einfach hindurchgeht, wie er sagte: „Wenn man die Stühle betrachtet, wird man feststellen, dass sie in der Hauptsache aus Luft gemacht sind, wie eine Skulptur.“ Die sphärische Raumdurchdringung und Linienbegeisterung zeigte sich im kunststoffbunten Wirtschaftswunderkitsch genauso wie in den kinetischen Mobile-Skulpturen von Alexander Calder oder den Arbeiten des Berliner Bildhauers Hans Uhlmann. Man war beschwingt und leichtfüßig, wusste noch nicht so recht, wo es hingehen sollte und vermied jede Schwere und Festlegung.

In den Sechzigern verschwand das frei wuchernd Florale, aber nicht der Draht. Verner Panton verweigerte sich dem modisch skandinavischen Holz und entwarf für „Fritz Hansen“ 1960 den kantig konisch geformten Drahtstuhl „Wire Cone“. In den siebziger Jahren griff man ebenfalls gern zum Draht, allerdings wurden die Metallstäbe jetzt zum dürftigen Symbol für preiswert produzierte Low-Tech-Produkte.

Vor einigen Jahren kam die Kraft der Drahtlinie wieder richtig in Schwung: Wie ein wirres Nähkästchengeknäul wirkt der korallenrote Drahtsessel „Corallo“ der brasilianischen Designer Fernando und Humberto Campana. Der „Pylon Chair“ von Tom Dixon erinnert irgendwie an die insektenhafte Kantigkeit der „Sonnenanbeterin“. Alfredo Häberli konstruierte wie aus dem „Fischer Baukasten“ seinen „Nais Chair“ für „Classicon“ und wie vergrößerte Blätterskelette sehen die Gartenstühle und -liegen der Stahlgestellserie „Leaf“ des „Studio Lievore“ aus. All diese Möbel sind mit feiner Linie in ihre Umgebung gezeichnet. Dieses Stilprinzip nimmt auch Patricia Urquiola mit ihrer Serie „Re-Trouvé“ auf, interpretiert leicht ironisch die dekorative Ästhetik der Fifties-Eisenmöbel neu, zaubert mit offener Hand deren Schnörkelverliebtheit in eine moderne Garten- und Terrassenwelt, die heiter und südlich ist, wie die Einladung zur neuen Lieblichkeit.

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