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Wirtschaft: Rürup-Experte will an die Privatversicherung Nur noch gesetzliche Kassen sollen Krankheit voll absichern dürfen – und so 36 Milliarden Euro erwirtschaften

Berlin/Leipzig (brö/asi/hej). Privat Krankenversicherte sollen zu einem Wechsel in die gesetzliche Versicherung gezwungen werden.

Berlin/Leipzig (brö/asi/hej). Privat Krankenversicherte sollen zu einem Wechsel in die gesetzliche Versicherung gezwungen werden. Das erwägen TagesspiegelInformationen zufolge Mitglieder der Rürup-Kommission. Auch solle die Tabaksteuer erhöht werden. Einigkeit darüber bestehe aber unter den Experten noch nicht. Nur die Finanzierung von gesellschaftlichen Aufgaben wie Mutterschafts- oder Sterbegeld durch Steuern statt durch Sozialbeiträge sei unumstritten, hieß es. Die privaten Krankenversicherer kündigten Widerstand gegen das Vorhaben an, allein gesetzlichen Krankenkassen die Kranken-Vollversicherung zu genehmigen.

Das neue Modell stammt vom Kommissionsmitglied Karl Lauterbach, der auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) berät. Er will die Krankenversicherungs-Beiträge von heute 14,4 Prozent auf 10,7 Prozent senken. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte jüngst nur von einer Senkung auf 13 Prozent gesprochen. Lauterbach will die für sein Ziel erforderlichen 36 Milliarden Euro erwirtschaften, indem er eine so genannte Bürgerversicherung einrichtet. Dazu soll die Versicherungspflichtgrenze, ab der sich Bürger privat krankenversichern können, komplett wegfallen. Die Grenze, bis zu der Beiträge prozentual vom Lohn erhoben werden, soll von 3450 Euro auf 5100 Euro steigen. Zudem sollen Bürger auch auf Miet- und Kapitaleinkünfte Beiträge zahlen. Das Modell würde bedeuten, dass Beamte und Selbstständige in die gesetzlichen Kassen eintreten müssten.

Ein weiterer Bestandteil des Modells ist Kommissionkreisen zufolge die Steuererhöhung für Zigaretten. Für jede Packung soll eine zusätzliche Steuer von einem Euro erhoben werden. Dies würde fast zu einer Verdoppelung der gegenwärtigen Tabaksteuer führen, die seit Januar bei 6,17 Cent pro Zigarette liegt. In seinem Vorschlag für das nächste Kommissionstreffen am 9. April argumentiert Lauterbach, dass eine höhere Tabaksteuer „nicht konjunkturschädigend“ sei, aber gesundheitsfördernd. Vor allem junge Menschen reagierten auf Preiserhöhungen sensibel und könnten durch die höhere Tabaksteuer vom Rauchen abgehalten werden.

Auf die Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus dem Kassen-Budget hat sich die Kommission offenbar bereits verständigt. „Darüber herrscht Konsens“, sagte ein Rürup-Fachmann dem Tagesspiegel. Die Kassen könnten damit um fünf Milliarden Euro jährlich entlastet werden. Strittig ist dagegen die Zukunft der Finanzierung. Während Schmidt-Berater Lauterbach Leistungen kürzen und teilweise über Steuern finanzieren will, plädieren andere Experten für so genannte Kopfpauschalen. Dabei würde jeder Bürger einen Beitrag unabhängig vom Einkommen zahlen, der soziale Ausgleich würde über Steuertransfers erfolgen. Befürworter sagen, für dieses Modell spreche die höhere Verteilungsgerechtigkeit. Trotz der Differenzen herrsche in der Rürup-Kommission aber der Wille, einen „Konsens“ zwischen beiden Lagern herzustellen, sagte ein Mitglied.

Unterdessen haben die privaten Krankenversicherer Widerstand gegen den Lauterbach-Plan angekündigt. Reinhold Schulte, Chef des Verbandes der privaten Krankenversicherungen, warnte die Regierung, künftig Selbstständige zu Kassen-Pflichtmitgliedern zu machen. Dieses stoße an verfassungsrechtliche Grenzen, sagte er am Montag in Leipzig. Gegen die zu Jahresbeginn in Kraft gesetzte Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze will der Verband vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Die Anhebung der Grenze, die den Wechsel zu privaten Kassen erschwert, reduziere die Wahlfreiheit von tausenden Arbeitnehmern, ohne die Finanzlage der gesetzlichen Kassen nachhaltig zu verbessern, kritisierte Schulte. Er teilte mit, dass die privaten Versicherer 2002 rund 221 000 neue Vollmitglieder gewinnen konnten. Dies habe an der anstehenden Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze, aber auch an den Beitragserhöhungen der gesetzlichen Kassen gelegen. Auch die Allianz wandte sich gegen die Pläne der Rürup-Experten. „Damit würde das falsche System, nämlich das Umlageverfahren, gestärkt. Das wäre ein fatales Signal“, sagte Ulrich Rumm, Chef der Krankenversicherungs-Sparte, dieser Zeitung.

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