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Wirtschaft: Rummel mit Geschmack

Das Santa Ynez Valley ist zur beliebtesten Weinregion Amerikas geworden – durch den Film „Sideways“

Nachdem sie Steak und Kartoffeln vertilgt hat, beugt sich Mary Marcus vor und blickt den Barkeeper an. „Geben Sie mir bitte eine ,Barely Legal’“, sagt die 39-jährige Medienfrau aus Los Angeles zum Angestellten des gemütlichen Restaurants Hitching Post. ,Barely Legal’ ist eine Pornozeitschrift, und eigentlich fragt man in einem Restaurant im Santa Ynez Valley nicht nach einem Pornomagazin. Doch Mary Marcus zitiert den Schauspieler Paul Giamatti, der im Film „Sideways“ in der Hitching Post eben diese Worte sagt. Und Marcus ist nicht die Erste, die mit dieser unzüchtigen Frage herausplatzt. Der Film hat nicht nur fünf Oscar-Nominierungen errungen, sondern auch einen wahren Kult um das Santa Ynez Valley ausgelöst.

In dem Streifen reisen der erfolglose Schriftsteller und Weinkenner Miles Raymond (gespielt von Paul Giamatti) und sein Freund Jack Lopate, ein abgehalfterter Schauspieler, in das kalifornische Weinanbaugebiet, um Jacks letzte Woche als Junggeselle zu feiern.

Bisher spielte das Santa Ynez Valley neben den Weinregionen Napa und Sonoma nur die dritte Geige. Doch der Film „Sideways“ um Weintouren, Männerfreundschaft und nächtliche Gewissensqualen hat zahlreiche Kinogänger begeistert. Seit Monaten überrennen Touristen Bars und Restaurants, in denen gedreht wurde. Die glühendsten Sideways-Fans spielen sogar Szenen nach und zitieren aus dem Drehbuch – am liebsten Miles Schmährede über Merlot. „If anyone orders Merlot, I’m leaving. I am not drinking any fucking Merlot“, erregt sich der Weinsnob. Wenn jemand Merlot bestelle, werde er das Restaurant verlassen. Er, Miles, werde keinen beschissenen Merlot trinken. Ständig beten Touristen die Hasstirade auf den einst populären Wein nach, wenn sie durch Weinkellereien und Restaurants streifen. Wann immer sie Merlot einschenkten, hörten sie diesen Ausspruch, sagt Kole Knutson von der Probierstube der Kalyra Winery in Santa Ynez, in der einige Szenen gedreht wurden.

So beliebt wie das Merlot-Zitat ist auch die Hitching Post. Kaum einen Ort überrennen Touristen so wie das Restaurant, der Schauplatz des Films ist. Vor allem zur Cocktailstunde ist der Andrang groß, erst recht, seit „Sideways“ für den Oscar nominiert wurde. Mary Marcus, die für einen Radiosender arbeitet, erinnert sich, wie sie noch an Silvester mühelos einen Tisch reservieren konnte. Als sie nun unlängst an einem Samstagabend vorbeikam, wartete am Eingang schon eine Menschenschlange. „Früher war es in unserer Bar ruhig“, sagt Frank Ostini, einer der Eigentümer der Hitching Post. Nun sei es eine „In“-Location. Besucher riefen von der Bar ihre Freunde an der US-Ostküste an und fragten: „Rate mal, wo ich bin?“ Die Einheimischen stellen sich auf die neue Lage ein. Pamela Harris, die auf ihrem kleinen Weinberg die Rhonetal-Rebsorte Voignier anbaut, ging früher jeden Montag mit Freundinnen in dem Restaurant Hamburger essen. Heute ist ihr der Andrang zu groß. Und Jenny Williamson Doré, Miteigentümerin der Foxen Winery, meidet sonntags den Highway 101. Der Verkehr sei zu stark.

Für andere ist der Tumult schon Alltag – und ein gutes Geschäft dazu. Die Eigentümer der Kalyra Winery werben mit Schnappschüssen der Schauspieler und verkaufen T-Shirts, auf denen ein Weinflaschen-Etikett mit dem Sideways-Logo prangt. Zugleich nerven sie aber die ständigen Fragen nach Stephanie, der attraktiven Weinverkäuferin und allein erziehenden Mutter aus dem Film (gespielt von Sandra Oh). „Fragen Touristen in Neuseeland etwa, wo Bilbo Beutlin lebt?“, sagt Andrew Daigle von der Kalyra Winery und spielt auf die „Herr der Ringe“-Figur an.

Nicht jeder freut sich indes über den „Sideways“-Rummel. Am vergangenen Wochenende sind Theresa Wede und Brew Johnson in die Weinregion gefahren, um einen geeigneten Ort für ihre Hochzeit zu suchen. Das Paar, das in der Region aufgewachsen ist, änderte aber seine Meinung, als es die vielen Touristen sah, die alle Bed-and-Breakfest-Hotels ausgebucht hatten. Das Paar beschloss, woanders zu feiern.

Andere Einheimische ärgert, wie ihre Region im Film wegkommt. Schon bei ihrem ersten Date schläft die Weinverkäuferin Stephanie mit Jack; außerdem raucht sie Marihuana, während ihre kleine Tochter im Nebenzimmer schläft. Miles trinkt ständig zu viel Alkohol und wankt betrunken im Morgengrauen nach Hause. Die Einheimischen fänden, dass die Frauen im Film billig und die Männer als Säufer herüberkämen, sagt Marvin Brown, einer der Kalyra-Besitzer. Dabei handele es sich beim Santa Ynez Valley um eine ruhige Region. „Der Film war gut für das Geschäft, aber er zeigt das Tal nicht von seiner besten Seite“, sagt der TV-Produzent David Nuell, der in den 90er Jahren in die Weinregion zog, in der auch Ronald Reagan seine Ranch hatte.

Dabei war es gerade der eher verschlafene Charakter, der den „Sideways“-Produzenten Michael London an der Region reizte. „Diese Gegend bezieht einen guten Teil ihres Charmes daher, dass sie niemals überlaufen oder besonders schick war“, sagt er. Er musste einige Geschäftsinhaber im Weintal regelrecht beknien, damit der Film in ihren Weinkellereien und Restaurants gedreht werden durfte. Skeptisch war etwa Frank Ostini. Der Mitbesitzer der Hitching Post schickte einen vierseitigen Brief an die Filmproduzenten und machte darin seinen Bedenken Luft, dass es in „Sideways“ um Alkoholismus gehe. Doch die Filmemacher haben offensichtlich gute Überzeugungsarbeit geleistet: Nur ein Weingut taucht im Film unter falschem Namen auf: die Fess Parker Winery. Das hat seinen Grund. In dem Weinkeller rastet Miles aus und gießt den großen Spucknapf über sich aus.

Die Film- und Weinfans strömen weiter in das Tal. Marie Knelange, die früher bei der Luftwaffe gearbeitet hat, will sogar ihre Hochzeit unter das Motto „Sideways“ stellen. Am Nachmittag sollen die Gäste in den „Barrel Room“, also den Lagerraum mit den Eichenfässern, der Firestone Winery fahren. „Unser Reiseleiter wird darauf bestehen, dass wir uns dort wie im Film am Treppengeländer küssen“, sagt die 36-Jährige. Auf ihre Hochzeitseinladung hat sie drucken lassen: „Wir hoffen, das ihr mit Kopf, Herz und Gaumen für neue Weine (sogar Merlot) offen seid.“

Kate Kelly, Merissa Marr

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