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Wirtschaft: Rund um die Uhr auf der Überholspur

EISENACH /ZWICKAU .An sieben Tagen die Woche wird im Osten aufgeholt.

EISENACH /ZWICKAU .An sieben Tagen die Woche wird im Osten aufgeholt.Und dabei immer häufiger überholt.Zum Beispiel bei Muhr und Bender im thüringischen Weißensee.Da werden Federn für die Autoindustrie produziert - mit einer um rund 25 Prozent höheren Produktivität als im Westen; gleichzeitig liegen die Personalkosten in Weißensee um etwa 20 Prozent niedriger als im westfälischen Stammwerk.Oder bei Oris, dem schwäbischen Hersteller von Anhängerkupplungen.In der sächsischen Oris-Tochter liegt die Produktivität so hoch wie nirgendwo sonst in der Gruppe; trotzdem bekommen die Arbeiter nur knapp 80 Prozent des Westlohns.Selbstverständlich ist auch bei Oris Wochenendarbeit kein Thema, und zwar ohne Zuschläge."Im Interesse der Kunden steht der Sonntag zur Verfügung", sagt auch Rolf Schumann, Geschäftsführer des Gelenkwellenwerks Stadtilm südlich Erfurts."Die Sitten im Westen dürfen hier nicht einreißen." Der Sonntag muß vom thüringischen Sozialministerium genehmigt werden."Kein Problem", sagt Wirtschaftsminister Franz Schuster."Wochenendarbeit ist bei uns die Regel."

Schaffe, schaffe Autobaue: Mit Facharbeiterlöhnen von 15 bis 16 DM die Stunde und der totalen Arbeitszeitflexibilisierung stellen sich die 25 ostdeutschen Autozulieferer auf gegen die scheinbar übermächtige Westkonkurrenz; im Westen gibt es rund 400 Autozulieferer.Nach rund 100 000 Kfz-Beschäftigten zur Wendezeit zählen allein die Teilehersteller heute rund 12 000 Mitarbeiter.Angaben des Verbandes der Autoindustrie zufolge kauften die deutschen Fahrzeughersteller im vergangenen Jahr für rund fünf Mrd.DM im Osten ein - bei einem Beschaffungsvolumen von insgesamt deutlich mehr als 100 Mrd.DM."90 Prozent der ostdeutschen Zulieferer zur Wendezeit gibt es nicht mehr", so VDA-Präsident Bernd Gottschalk.Immerhin werden im Osten in diesem Jahr rund 400 000 Fahrzeuge produziert, vor allem bei VW in Mosel/Zwickau und bei Opel in Eisenach.Davon profitieren die Zulieferer, die sich schwerpunktmäßig im Dreieck Dresden-Leipzig-Zwickau angesiedelt haben.Die Lieferanten insgesamt haben Gottschalk zufolge "einen der nachhaltigsten Anpassungsprozesse hinter sich, denen sie sich jemals ausgesetzt sahen"; da die Hersteller immer mehr Aufgaben an die Zulieferer delegieren, müssen diese "mehr Verantwortung in der Wertschöpfungskette übernehmen und große innovative Leistungen erbringen".Auch aufgrund der Konzentrations- und Fusionsprozesse."Die Struktur der Branche ist in Bewegung gekommen und sie wird auf absehbare Zeit nicht zur Ruhe kommen", weiß der Autopräsident.Wie können die Ostdeutschen da mithalten? Sind Billiglöhne und Sonntagsarbeit hinreichende Bedingungen?

Robert Oetzel, bei Daimler-Benz mit dem Einkauf befaßt, hat Zweifel.Die Exportquote der Ostdeutschen sei so schwach, daß die Unternehmen "dauerhaft nicht existenzfähig" seien.Ins gleiche Horn bläst Audi-Vorstand Erich Schmitt.Er diagnostiziert eine "zu starke Abhängigkeit" der Ost-Lieferanten von den deutschen Herstellern und fordert in Anlehnung an die "Einkaufsoffensive Ost" nun eine "Exportoffensive".Dabei sind die Erfahrungen der VW-Tochter Audi als auch des VW-Konzerns ingesamt durchaus positiv.Hinsichtlich Einsatz, Flexibilität und Liefertreue seien die Zulieferunternehmen in den neuen Ländern "Partner, die deutlich über dem Durchschnitt liegen".Der VW-Konzern kauft immerhin im laufenden Jahr für drei Mrd.DM in Ostdeutschland ein, das macht gut sieben Prozent der gesamten Beschaffung aus.Bei Daimler sind es etwa drei Prozent, bei BMW noch weniger.Neben der Exportschwäche ist die "Entwicklungsfähigkeit" Schmitt zufolge ein weiterer Engpaß.Auch deshalb, weil manche Werke, wie etwa Bosch mit mehr als 1000 Arbeitskräften in Eisenach, kaum über die Funktion einer verlängerten Werkbank hinauskommen: Die Forschung- und Entwicklung sowie der Vertrieb werden von Stuttgart aus gesteuert.

Beim Shooting-Star der Branche, der Sachsenring AG, sieht das ganz anders aus.Geschäftführer Ulf Rittinghaus zufolge arbeiten von den rund 1400 Mitarbeitern in Zwickau rund 100 in der FuE-Abteilung; 30 Patente meldeten die Sachsenringer bislang an.Auf den Ruinen des Trabi-Herstellers ist ein Börsenliebling entstanden.Kein Wunder bei einer Umsatzrendite von 19,1 Prozent im ersten Quartal und einem erwarteten Umsatz von rund 400 Mill.DM; 1997 waren es noch 287 Mill.DM.Seit der Privatisierung vor rund fünf Jahren wurden 223 Mill.DM investiert.Aber auch Sachsenring kommt auf den Auslandsmärkten nicht in Schwung.Deshalb wollen die Brüder Rittinghaus in Kürze über Akquisitionen Exportmärkte zukaufen."Wenn uns das so gelingt, wie wir uns das vorstellen, dann haben wir ein gigantisches Wachstum vor uns", hofft Ulf Rittinghaus.

Sachsenring war übrigens ebenso wie das Gelenkwellenwerk in Stadtilm von der Treuhand als nicht privatisierbar eingestuft worden.Der thüringische Mittelständler erwartet im laufenden Jahr erstmals schwarze Zahlen, aktuell werden 20 Mill.DM investiert, um einen Auftrag von Mercedes abarbeiten zu können.Die Stadtilmer hoffen über Referenzen auf die Weltmärkte zu kommen."Wenn man ein gutes Produkt hat, dann ergibt sich das von selbst", so Geschäftführer Schumann.Immerhin werden inzwischen Gelenkwellen aus der thüringischen Provinz an 85 Kunden in 29 Ländern verkauft.

In der Welt zu Hause fühlen sich die Chefs der FER Fahrzeugelektronik GmbH in Eisenach.Gegenwärtig bauen sie eine Fabrik für Fahrradlampen in Vietnam, denn dort sind "14 Mill.Fahrräder ohne Licht unterwegs", sagt Geschäftsführer Klaus Lantzsch.Auch FER, die so ziemlich alles machen, was am Auto leuchtet, erwartet im laufenden Jahr erstmals einen Gewinn.Mit 530 Mitarbeitern soll der Umsatz auf 135 (1997: 120 Mill.DM) steigen.Neben Vietnam gibt es Fertigungen in Weißrußland und Spanien sowie Joint-ventures in Polen, Brasilien und Mexiko; der Exportanteil liegt bei 38 Prozent.Außer den Weltmärkten hat Lantzsch die Börse im Blick.Wenn der Umsatz bei rund 200 Mill.DM liege und "ein industrieller Partner" gefunden sei, dann könne der Gang gewagt werden.

Diese Perspektiven gehen der Takata Sachsen GmbH ab.Der Airbag-Hersteller ist der erste Betrieb des japanischen Milliardenkonzerns in Europa.Erst vor sechs Wochen eröffnet, werden rund 250 Personen in diesem Jahr rund zwei Mill.Luftkissen in Elterlein im Erzgebirge produzieren.Die relative Nähe zu den Herstellern und das Angebot von Fachkräften im Hinterland von Chemnitz waren ausschlaggebend für die 86-Millionen-Investition.Und wohl auch das Lohnniveau, das "mit der Region abgestimmt ist", wie Takata Europe-Chef Gert Herrmann sagt.Das ist nicht ohne Risiko.Schon jetzt seien Mitarbeiter zu Wettbewerbern in den schwäbischen Raum abgewandert, weil die dort "doppelt soviel verdienen".Und wenn schon.Bis zum Jahr 2000 will Herrmann die Belegschaft auf 350 erhöhen.Denn Takata geht es derzeit wie jedem Zulieferer: Die enorme Autokonjunktur zieht alle Beteiligten mit - bis der nächste Abschwung kommt.

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