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Russland: Waldbrände treiben die Inflation

Feuer und Dürre treffen die russische Wirtschaft. Auf mehrere Milliarden Euro veranschlagen russische Experten inzwischen den volkswirtschaftlichen Schaden.

Sankt Petersburg - Es ist ein schwerer Schlag, der Russland bei der Bewältigung der Folgen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise um Monate zurückwerfen könnte. So hat es Wladimir Milow, früher Energieminister und jetzt einer der Führer der liberalen Opposition, beschrieben. In der Tat hatte das Land gerade begonnen, sich vom weltweiten Einbruch der Nachfrage nach Rohstoffen zu erholen, der Russlands Wirtschaft im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent schrumpfen ließ. Für 2010 war ein Zuwachs von mindestens 4,3 Prozent geplant. Zwar korrigierte offiziell noch niemand die Prognosen nach unten. Dass sie nicht zu halten sind, schwant inzwischen aber sogar den Laien.

Auf mehrere hundert Milliarden Rubel – das sind selbst unter günstigen Umständen mehrere Milliarden Euro – veranschlagen russische Experten inzwischen den volkswirtschaftlichen Schaden, den wochenlange Hitze und Dürre und die bisher mit Abstand schlimmste Waldbrandkatastrophe in Russland anrichten. Indirekt sind von der Klima- und Umweltkatastrophe nahezu alle Branchen betroffen.

Mobilfunkanbietern brannten in manchen Gegenden gleich reihenweise die Sendemasten weg. Die Netze sind zusammengebrochen, die einstige Boombranche schreibt bis auf weiteres tiefrote Zahlen. Schwer beschädigt und teilweise völlig zerstört sind auch Telefonkabel oder Stromleitungen. In einzelnen Kreisen kam es bereits zu flächendeckenden Abschaltungen. Weil die Pumpen ebenfalls mit Strom arbeiten, bricht häufig auch die Wasserversorgung zusammen.

Die Netze sind ohnehin überlastet. Weil ohne Klimaanlagen oder wenigstens Ventilatoren nichts mehr geht, ist der Stromverbrauch rasant gestiegen. Die dadurch anfallenden Mehrkosten geben Unternehmer ebenso ungebremst an den Endverbraucher weiter wie die Kosten zusätzlicher Pausen für das Personal. Was passiert und welche Kosten entstehen, sollte das Feuer auch auf die Anlagen der Atomindustrie im südlichen Ural übergreifen, wagt sich bisher niemand auszumalen. Auch nicht die politischen Langzeitfolgen von Kürzungen der Sozialprogramme, mit denen sich die Regierung Zustimmungsraten von mehr als 70 Prozent erkaufte. Finanziert werden sie neben Erlösen aus der Öl- und Gasausfuhr auch durch die Einnahmen aus Getreideexporten. Vor allem von Weizen.

Die Quelle ist vorerst versiegt. In 27 der insgesamt 83 russischen Regionen droht eine Missernte, wie sie das Land lange nicht erlebte. Weil Ernteausfälle von rund einem Fünftel drohen, verfügten Präsident Dmitri Medwedew und Premier Wladimir Putin am 5. August einen Exportstopp für Getreide. Er tritt kommenden Sonntag in Kraft und soll bis vorerst 31. Dezember gelten. Die Weltmärkte reagierten nur Minuten nach Verkündung des Embargos. An den Warenbörsen schnellten die Weizenpreise ruckartig nach oben. Denn Russland ist der weltweit viertgrößte Exporteur und war auf dem besten Weg, Kanada und die USA auf die Plätze zu verweisen.

Auch Rübenzucker könnte knapp werden, wenn es nicht bald regnet. Russland verbraucht davon im Schnitt 4,2 Millionen Tonnen jährlich, muss jedoch, sollten sich die Prognosen der Agrarwirtschaft bewahrheiten, mit zwei Millionen weniger über den diesjährigen Winter kommen. Experten rechnen spätestens für September mit einer Explosion der Lebensmittelpreise. Da der durchschnittliche Verbraucher für diese gut 16 Prozent seines Einkommens ausgibt, zieht dann auch die Inflation wieder kräftig an, die Putin im laufenden Jahr auf sechs Prozent drücken wollte. Eine hohe Inflationsrate wiederum wird sich negativ auf die Bonität – die internationale Kreditwürdigkeit – auswirken. Elke Windisch

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