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„Wir glauben fest an das Elektroauto“, sagt RWE-Stratege Thomas Birr.

© Doris Spiekermann-Klaas

RWE-Chefstratege Birr: "Die Zeiten werden härter, keine Frage"

Thomas Birr, Chefstratege bei RWE, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über steigende Energiepreise, die Zukunft der Kohle und die Kosten der Brennelementesteuer.

Herr Birr, die Schlagzeilen über RWE waren zuletzt beängstigend: Vom „Schicksalsjahr 2011“ war die Rede und vom Ende der fetten Jahren. Wie schlimm ist es wirklich?

Wir haben niedrigere Marktpreise bei Strom und Gas als vor zwei Jahren noch gedacht. Mit einem starken Anstieg ist voraussichtlich auch 2011 nicht zu rechnen. Aber danach erwarten wir positive Impulse auch für die Preise.

Welche?

Zum Beispiel das Wachstum in Deutschland. Damit steigen die Energienachfrage und Investitionen. Oder die Preise für Primärenergieträger: Öl und Kohle sind nach der Wirtschaftskrise wieder auf dem Wege der Erholung, die Marktpreise für Gas werden auch wieder anziehen.

Mit welchen Konsequenzen für den Konzern? Wofür gibt RWE derzeit Geld aus?

RWE investiert massiv in erneuerbare Energien, zum Beispiel im Bereich Offshore und Onshore-Wind. Zudem haben wir derzeit neun Kraftwerke im Bau oder gerade fertiggestellt, davon sechs Gaskraftwerke. Hinzu kommen drei Kohlekraftwerke, zwei in Deutschland und eins in den Niederlanden.

Sind das die letzten Kohlekraftwerke hierzulande?

Das wäre schade, hängt aber letztendlich von der Entwicklung der Strommarktpreise ab. Der einzige subventionsfreie heimische Energieträger, über den Deutschland in hohen Mengen verfügt, ist die Braunkohle – und die sollte eine Zukunft bei uns haben. Zwar sind die Großhandelsmarktpreise im Moment niedrig, aber RWE hält an der langfristigen Nutzung der Braunkohle fest. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit.

Der Preis ist das eine, der Dreck das andere: Kein anderer Brennstoff entlässt so viel CO2 in die Luft wie die Braunkohle.

Die neuen Blöcke in Niederaußem und Neurath sind in technologischer Hinsicht Quantensprünge. Bei gleicher Stromerzeugung sparen sie 30 Prozent CO2 im Vergleich zu Altanlagen ein. Im Gegenzug werden Altanlagen geschlossen.

Sie klagen über niedrige Preise, doch die Verbraucher müssen nächstes Jahr deutlich mehr für Strom bezahlen. Wie passt das zusammen?

Wir wären aufgrund der gesunkenen Großhandelspreise in der Lage gewesen, die Preise zum 1. Januar zu senken. Doch wegen der drastisch gestiegenen Umlage für erneuerbare Energien kommen wir an einer Erhöhung nicht vorbei. In nur zwei Jahren hat sich die EEG-Umlage fast verdreifacht – auf 3,5 Cent. Der Anteil am Strompreis, der für Erneuerbare gebraucht wird, dürfte 2012 ungefähr so hoch sein wie der reine Marktpreis für Strom. Gerade daran sieht man: Der Umbau der Energiewirtschaft hin zur CO2-freien Versorgung hat seinen Preis.

Umso bemerkenswerter, dass RWE beim Umbau spät dran ist: Während in der Bundesrepublik inzwischen knapp 17 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammt, sind es bei RWE fünf Prozent.

RWE ist spät gestartet, aber wir holen stark auf. Niemand unter den deutschen Energieversorgern hat bei den Erneuerbaren in Europa eine größere Projekt-Pipeline als RWE Innogy. Der Anteil der Erneuerbaren wächst bei RWE jedes Jahr um einen Prozentpunkt. Als größter Stromerzeuger Deutschlands betreiben wir jedoch einen traditionellen Kraftwerkspark. Das ändert man nicht binnen weniger Jahre. 2025 wollen wir aber 75 Prozent unserer Erzeugung CO2-frei oder CO2-arm haben. Deshalb stecken wir jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro in Erneuerbare und reduzieren CO2 gleichzeitig mit der Modernisierung des bestehenden, fossilen Kraftwerksparks.

Die Kohle hat in Deutschland nur eine Zukunft, wenn die Abscheidung und Speicherung des CO2 (CCS) funktioniert. Warum überlässt RWE dieses Feld der Berliner Vattenfall, obwohl die Kohle bei RWE gut 50 Prozent der Stromerzeugung ausmacht?

Wir treiben Projekte zur Speicherung von CO2 in den USA und den Niederlanden voran. In Deutschland sehen wir dafür momentan wegen der Genehmigungsproblematik und wegen des Widerstands in der Bevölkerung kaum eine gesellschaftliche Basis. Grundsätzlich ist CCS jedoch eine wichtige Option und sollte weiterentwickelt werden.

Viel Geld ist erforderlich für den Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze. Erwägt der Konzern deshalb den Verkauf seines Netzes?

RWE betrachtet das Höchstspannungsnetz als wichtigen Bestandteil seiner Strategie als integrierter Versorger. Der Netzausbau in Europa läuft in einem voll regulierten Rahmen inklusive einer staatlich regulierten Rendite. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Netze ausgebaut werden müssen. Ich bin allerdings skeptisch, ob wir die erforderlichen 3600 Hochspannungskilometer in den kommenden zehn Jahren auf die Masten bringen. Dazu sind laut Deutscher Energieagentur mindestens zehn Milliarden Euro erforderlich. Das ist zwar möglich, aber ein Problem sind die langwierigen Genehmigungsprozesse. Ohne ein leistungsfähiges Netz ist das Energiekonzept der Regierung auf Sand gebaut.

Was passiert nun mit dem RWE-Netz?

Wie gesagt, unser Netz gehört zum Kerngeschäft. Aussagen zu Details und zur mittelfristigen Konzernstrategie werden wir im Februar machen.

Warum erst im Februar? Eon ist mit seiner Strategie schon weiter: Mehr Investitionen in Asien und Südamerika, weil dort mehr Geld zu verdienen ist als auf dem regulierten europäischen Markt.

Pläne von Wettbewerbern kommentieren wir nicht. Wir wissen um unsere Stärken. Deutschland bleibt ein wichtiger Markt, aber schon heute entfallen bei RWE rund 50 Prozent der Investitionen auf das Ausland. Der Wachstumsmarkt in Europa sind nun einmal die erneuerbaren Energien: RWE baut auch große Windparks in der deutschen Nordsee, aber insgesamt ist Deutschland weder ein besonders wind- noch ein besonders sonnenstarkes Land. Also finden zwangsläufig viele Investitionen auch im Ausland statt.

Und was passiert in Deutschland?

Die Kernkompetenz der Zukunft wird sein, mit dem Kraftwerkspark auf die stark schwankende Einspeisung von erneuerbaren Energien flexibel zu reagieren. In der Vergangenheit hatten wir Erzeugungsschwerpunkte im Süden und Westen – das verschiebt sich jetzt Richtung Küste wegen der Offshore-Windparks. Und wir haben eine stark dezentrale Versorgungslandschaft durch die Photovoltaik. Auch dies stellt hohe Anforderungen an die Netze. Es entstehen aber auch neue Geschäftsmodelle, etwa durch Elektromobilität oder Wärmepumpen für die Heizung. Daran sieht man: Strom ist die Energie der Zukunft.

Glauben Sie an eine Million Elektroautos in Deutschland bis 2020?

Wir glauben fest an das Elektroauto, diese Technologie wird sich durchsetzen. Andere Volkswirtschaften gehen aber einen anderen Weg. Die USA stecken 22 Milliarden Euro in die Förderung der Elektromobilität, in China und Frankreich sind es auch Milliarden. Man muss schauen, wie weit wir in Deutschland mit unseren Bordmitteln kommen. RWE stellt sich natürlich auch bei diesem Thema nicht nur national, sondern auch international auf, etwa durch Beteiligung an Ausschreibungen für Ladesäulen im Ausland.

Rund 50 Atomkraftwerke sind derzeit weltweit in Bau. Ist RWE irgendwo dabei?

Nein, wir haben mehrere Projekte in Planung, aber im Bau ist noch keines von ihnen.

Die Regierung hat die Laufzeiten der deutschen Akw bis 2035 verlängert. Warum belastet das den Akw-Betreiber RWE, wie Vorstandschef Grossmann behauptet?

Die Regierung hat eine Kernbrennstoffsteuer eingeführt, die unser Betriebsergebnis mit 600 bis 700 Millionen Euro im Jahr belastet. Die Verlängerung der Laufzeiten ist richtig, weil die Rolle der Kernenergie im Energiemix dadurch bestätigt wird. Besonders in den ersten Jahren wiegen die finanziellen Belastungen für die Betreiber allerdings schwer. Sie sind in dieser Zeit höher als die Vorteile aus der Laufzeitverlängerung.

Erklärt die neue Steuer die Verluste der RWE-Aktie in diesem Jahr?

Ja. Hinzu kommt, dass die Aktie unter dem Verfall der Großhandelspreise bei Strom und Gas gelitten hat. Das betrifft alle großen Energieversorger in Europa.

Trotzdem werden Milliarden verdient.

Für 2010 weisen wir eine solide Entwicklung auf. Die Zeiten werden aber härter, keine Frage.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

ZUR PERSON

DER MANAGER

Thomas Birr (45) ließ sich zum Feinmechaniker ausbilden und studierte danach Maschinenbau. Er arbeitete für Mannesmann und die VEW, die 2000 im RWE-Konzern aufging. Unter anderem war Birr zuständig für die Betreuung großer industrieller Kunden. Seit September 2009 leitet der gebürtige Hamburger die Konzernstrategie.

DER KONZERN

RWE ist nach Eon der zweitgrößte deutsche Energieversorger. Zuletzt kam der Konzern mit rund 70 000 Mitarbeitern auf einen Umsatz von 48 Milliarden Euro. Das Geld wird verdient mit der Stromerzeugung, unter anderem durch Akw und Kohlekraftwerke, und mit dem Transport und Vertrieb von Strom und Gas.

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