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Wirtschaft: Samariter oder Unternehmer

Die Kirchen müssen sich entscheiden – zwischen Barmherzigkeit und Gewinn Von Gert G. Wagner

Zu Weihnachten werden mit Appellen an die Barmherzigkeit Spenden eingefordert, nicht nur von den Kirchen. Deshalb ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter jetzt von besonderer Bedeutung. Es hat nicht nur für jeden Einzelnen von uns seine Bedeutung, sondern ist auch für die Gestaltung der Gesellschaft überraschend aktuell.

Erinnern wir uns. Ein Reisender fiel auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho unter die Räuber. Zwei Mitbürger – einer davon ein Priester – gingen an dem geschunden Opfer vorüber, erst ein barmherziger Samariter – aus Sicht der Juden ein Ungläubiger – half ihm. Der Samariter ist sprichwörtlich geworden. Er versorgte die Wunden des Mannes und brachte ihn in eine Herberge. Dem Wirt zahlte er im voraus zwei Silbergroschen, damit er den Mann gesund pflegt. Das war damals viel Geld. Auch der Wirt hat dem Mann also geholfen, sich aber dafür gut bezahlen lassen.

Die Frage ist, wer heutzutage die Rollen des Samariters und die des Wirtes spielen soll. Wir alle sind moralisch aufgerufen, uneigennützig Hilfe zu leisten, wenn Not am Mann ist. Unterlassene Hilfeleistung ist sogar ein Straftatbestand. Aber dies gilt nur für Extremsituationen.

Der Einzelne ist offenbar auch überfordert, Not persönlich zu lindern. Deswegen gibt es soziale Sicherungssysteme und soziale Dienste. Doch welche Rolle sollen die Kirchen dabei spielen? Sollen sich die Hilfsorganisationen Diakonie und Caritas in die Rolle des Samariters begeben, der ad hoc hilft, wenn die Not groß ist? Oder sollten sich die Organisationen so verhalten wie der Wirt, der für seine Hilfeleistung Geld nimmt und seine Mitarbeiter ordentlich bezahlt? Professionelle Hilfe, etwa in der Altenpflege, kann man nicht nebenbei erledigen. Ist etwa eine 24-Stunden-Pflege nötig, sind Angehörige und ehrenamtliche Helfer rasch überfordert. Deswegen hat ja bereits der Samariter, der seine Zeit für den Erwerb seines eigenen Lebensunterhalts benötigte, die professionelle Hilfe des Wirts in Anspruch genommen.

Freilich wird damit nicht die Frage beantwortet, ob die Kirchen selbst zu Dienstleistungsfirmen werden sollen. Faktisch bieten sie seit langem Leistungen an. Da es aber auch andere Anbieter gibt, vor allem immer mehr privat und effizient organisierte soziale Dienste, kommen Diakonie und Caritas unter Konkurrenzdruck und in Sparzwänge. Das ist wirtschaftlich vernünftig, widerspricht aber der durch das Barmherzigkeitsgebot geprägten Kultur kirchlicher Einrichtungen.

So entstehen handfeste Probleme. Kirchliche Betriebe sind wie der öffentliche Dienst organisiert, dessen Regeln Flexibilität erschweren. Junge Leute, die in der Pflege arbeiten wollen, müssen daher wie im Öffentlichen Dienst bezahlt werden. Das bedeutet einen sehr niedrigen Lohn, der erst mit dem Alter ansteigt. Dann sind aber viele aufgrund der körperlichen und seelischen Belastung der Pflege schon nicht mehr dabei. Guten Nachwuchs zu finden, ist daher schwer.

Das Gleichnis vom Samariter zeigt, dass persönliche Hilfe und die Inanspruchnahme professioneller Hilfe sich ergänzen sollten. In den Kirchen erwachsen die praktischen Probleme daraus, dass die kirchlichen Dienste beides miteinander zu verbinden suchen: ehrenamtliche Barmherzigkeit und professionelle Dienstleistung. Mitunter, etwa in der Sterbebegleitung, ist diese Verbindung im wahrsten Sinne des Wortes segensreich. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel in Krankenhäusern, ist sie kontraproduktiv. Die Kirchen werden wahrscheinlich den für sie schweren Weg gehen müssen, zu entscheiden, wo sie auf den Betrieb von Einrichtungen verzichten und wo sie sich noch stärker in Teilbereichen humaner Dienste engagieren wollen. Denn zugleich Samariter und Wirt sein zu wollen, geht auf Dauer nicht.

Gert G. Wagner, Volkswirtschaftsprofessor an der TU Berlin und DIW-Forschungsdirektor, leitet die Kammer für Soziale Ordnung der Evangelischen Kirche.

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