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Wirtschaft: Schering profitiert von US-Pharmaskandal

Konkurrent zieht Medikament nach Todesfall zurück

Die US-amerikanische Pharmaindustrie wird von einem neuen Arzneiskandal erschüttert – und einer der Gewinner dabei ist der Berliner Pharmakonzern Schering. Die in Cambridge (Massachusetts) ansässige, drittgrößte US-Biotechnologiefirma Biogen hatte am Montag ihr gerade erst zugelassenes Medikament Tysabri zur Therapie von Multipler-Sklerose (MS) vom Markt genommen, weil der Verdacht tödlicher Nebenwirkungen auftauchte. Der Kurs der Biogen-Papiere stürzte daraufhin um 45 Prozent ab. Gleichzeitig legten die Aktien von Schering zu, hat doch das Unternehmen seit Jahren die MS-Arznei Betaferon im Programm – mit weltweit 782 Millionen Euro das umsatzstärkste Präparat des Konzerns. Betaferon ist seit 1993 zugelassen und entsprechend gut erforscht.

In einer Studie, bei der die Teilnehmer Tysabri zusammen mit einem Interferon erhielten, zeigten zwei Patienten nach zwei Jahren Behandlung die Symptome einer seltenen und oft tödlichen Gehirnentzündung. Eine Patientin ist gestorben. Deshalb ziehe man das Produkt im Interesse der Patientensicherheit und nach Rücksprache mit der US-Arzneiaufsicht FDA zunächst zurück, sagte eine Firmensprecherin. Man warte weitere Studien über einen möglichen Zusammenhang ab.

Experten hatten erwartet, dass Tysabri den Interferonen (darunter dem Betaferon) Marktanteile abnehmen würde. Man traute dem Mittel einen Umsatz von jährlich zwei Milliarden US-Dollar zu.

Auch die MS-Patienten hätten in die Neuentwicklung große Hoffnungen gesetzt, heißt es bei der Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft. Man versprach sich weniger Nebenwirkungen und eine stärkere Wirksamkeit bei der Verhinderung der Erkrankungsschübe. Diese Schübe gehen einher mit plötzlich auftretenden Schwindelanfällen, Sehstörungen und Lähmungen, die bei vielen Patienten zu starken Behinderungen bis hin zu einem Leben im Rollstuhl führen. Allein in Deutschland leiden Schätzungen zufolge 120000 Betroffene unter dieser chronischen Krankheit des Nervensystems. Jedes Jahr kommen rund 2500 neu Erkrankte hinzu.

Obwohl Tysabri in Europa noch nicht zugelassen war, seien in Deutschland Patienten mit dem Präparat behandelt worden, heißt es bei der MSGesellschaft. Zum einen im Rahmen von Studien, zum anderen hätten sich Kranke das Medikament über Internationale Apotheken besorgt. Die FDA hatte das Medikament nach einem sechsmonatigen verkürzten Verfahren im November 2004 zugelassen, unter anderem aufgrund von Einjahres-Zwischenbilanzen zweier Studien. Die europäische Zulassungsbehörde Emea in London habe das Verfahren dagegen nicht beschleunigt, weil sie sich nicht auf die Ein-Jahres-Analysen verlassen wollte, sagt Johannes Löwer, Präsident der für dieses Medikament zuständigen deutschen Zulassungsbehörde Paul-Ehrlich-Institut. Für Europa erwarteten Experten die Zulassung erst für Ende 2005. Jetzt ruht dieses Verfahren.

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