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Studieren lohnt sich nicht immer - zumindest, wenn man vom Finanziellen ausgeht.

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Schlechtere Aussichten für Studenten: Wenn Pauken sich nicht rechnet

Allgemein gilt die Regel: Je länger und je mehr du lernst, desto besser wirst du eines Tages bezahlt. Doch in Zukunft werden vor allem Praktiker dringend gesucht.

Von
  • Maris Hubschmid
  • Carla Neuhaus

Knapp 28.000 Kinder werden dieses Jahr in Berlin eingeschult. Ausstaffiert mit Ranzen und Federmäppchen treten sie an dem Tag ein in ein Bildungssystem, das sie Lesen, Schreiben und Rechnen lehren und langfristig ihre Existenz sichern soll. Je nach Fähigkeiten und Neigung werden sie zehn, zwölf oder noch mehr Jahre in staatlichen oder privaten Bildungseinrichtungen verbringen. Allgemein galt dabei immer die Regel: Je länger und je mehr du lernst, desto weiter wirst du es bringen – und desto besser wirst du bezahlt, wenn du im Berufsleben bist. Tagesspiegel-Recherchen haben allerdings ergeben: Längeres Büffeln rechnet sich längst nicht mehr für jeden.

Zwar erwarten Menschen, die nach der Pflichtschulzeit von zehn Jahren noch das Abitur oder eine Berufsausbildung machen, im Durchschnitt immer noch 26 Prozent mehr Gehalt als diejenigen, die mit dem Realschulabschluss aufhören. „Wer noch ein Studium draufsetzt, hat im Schnitt sogar 75 Prozent mehr Geld in der Tasche“, sagt Axel Plünnecke, Wirtschaftsexperte am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Allerdings, das belegen Erhebungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Hochschulinformationssystems (HIS), gibt es ganze Berufsgruppen, die das Studium finanziell keineswegs besserstellt.

So bekommt ein Versicherungskaufmann, der nach der Schule eine zwei- bis dreijährige berufliche Ausbildung absolviert hat, laut DIW netto 12,41 Euro die Stunde. „Ein Geschichtsstudent, der nach dem Abitur noch bis zu fünf Jahre weitergelernt hat, kriegt nur 10,39 Euro“, sagt Johanna Storck, die am DIW zu Löhnen forscht. Die Elektrotechnikerlehre bringt 9,93 Euro pro Stunde, eine Maschinenbaustudentin verdient nach dem Abschluss 71 Cent weniger. Politik-, Literatur- oder Geowissenschaftler kommen schlechter weg als Arbeitnehmer ohne Studium in Speditionsbranche, Buchhaltung und Bergbau. Bei einer 40-Stunden-Woche macht das im Monat mitunter mehr als 350 Euro Unterschied aus – zugunsten der Nichtakademiker. Es gibt etliche weitere Beispiele.

Durch späteren Berufseinstieg entgehen Akademikern Jahre Gehalt

Dabei zeigt sich, dass auch der Weg über das Gymnasium nicht grundsätzlich zu mehr Geld führt. Für eine Anstellung in den genannten nichtakademischen Berufen reicht die mittlere Reife. „Im Fernverkehr verdienen sogar Kraftfahrer zuweilen mehr als Akademiker bestimmter Berufsgruppen“, sagt Storck. Diese Ungleichheit wird noch größer, wenn man berücksichtigt, dass Akademiker erheblich später ins Berufsleben einsteigen als sogenannte Geringqualifizierte. „Dadurch entgehen ihnen an die sieben Jahre Gehalt. Das ist richtig viel Geld“, sagt IW-Experte Plünnecke.

Auch wer in einem Handwerksberuf nach der Lehre noch eine Ausbildung zum Meister absolviert, verzichtet auf Einkommen. Eine Erhebung des IW zeigt aber, dass sich für Meister und Techniker dieses während der Ausbildung entgangene Einkommen deutlich besser verzinst. Die fünfjährige Ausbildung bringt ihnen eine Rendite von 8,3 Prozent. Akademikern steht nach fünf bis sieben Jahren im Schnitt dagegen nur eine Rendite von 7,5 Prozent in Aussicht.

Für eine Ursache hält Plünnecke den sich ankündigenden Fachkräftemangel. „Die Menschen, die händeringend gesucht werden, sind zum Großteil Praktiker. In Zukunft bieten darum gerade berufliche Ausbildungen glänzende Perspektiven.“ Weil immer mehr junge Menschen eine Akademikerlaufbahn einschlagen, darauf verweisen alle befragten Experten, wird ein Studienabschluss generell immer seltener als exklusive Qualifikation wahrgenommen. Andere Kriterien wie die soziale Herkunft treten in den Vordergrund (siehe Interview).

Wer sich abheben will, geht auf die Privatschule

„Heute muss niemand mehr studieren“, sagt Christian Pape, Personalberater in München. „Viel wichtiger als Universitätsabschlüsse sind Firmen Bewerber, die schon in anderen Unternehmen gearbeitet haben.“ Auch ein Doktortitel bringt nach Ansicht der Experten nicht immer Vorteile. „Für manche Berufe sind promovierte Akademiker überqualifiziert“, sagt Tiemo Kracht, Geschäftsführer der Kienbaum Personalberatung in Gummersbach. Wer als Controller oder Einkäufer arbeiten wolle, brauche vor allem praktische Erfahrung. Gerade der Mittelstand sucht Macher. Unersetzbar ist der Doktortitel allein für eine wissenschaftliche Karriere.

Harm Kuper, der an der Freien Universität Berlin Bildungsmanagement lehrt, stellt fest: „Es gibt eine Dynamik der Entwertung formaler Bildungsabschlüsse. Das liegt auch daran, dass ein akademisches Studium heute deutlich weniger exklusiv ist als etwa vor vierzig Jahren.“ Dass viele junge Menschen sich heute für den Besuch einer Privatuniversität oder Privatschule entschieden, sei häufig Ausdruck des Wunsches, sich abzusetzen. Allgemein würden Privatschulabschlüsse und Abschlüsse staatlicher Schulen „sowohl formal als auch faktisch als gleichwertig angesehen“.

Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte dem Tagesspiegel: „Bildung zahlt sich aus. Alle Studien und Statistiken zeigen: Je höher der Bildungsstand, desto geringer das Arbeitslosigkeitsrisiko, desto höher das individuelle Einkommen und der Nutzen für die Allgemeinheit.“ Das gelte sowohl für die akademische Bildung als auch für die berufliche, die man nicht gegeneinander ausspielen dürfe: „Der deutsche Meister ist ein hochwertiger Bildungsabschluss – er entspricht in vielen anderen Ländern einem Hochschulstudium“, sagt sie.

FDP: Studium und Ausbildung sind gleichwertig

Liegt das Problem also im Auge des Betrachters? Patrick Meinhardt, bildungspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, drückt es ganz klar aus: „Es ist Zeit, anzuerkennen, dass berufliche und akademische Ausbildung gleichwertig sind.“

Auch Personalberater Christian Pape rechnet nicht damit, dass sich längeres Zur-Schule-Gehen und Studieren in den kommenden Jahren wieder stärker auf dem Gehaltszettel bemerkbar machen wird. „So, wie der Arbeitsmarkt aussieht, saugen die Firmen über kurz oder lang sowieso alles auf, was sie kriegen können.“

Die vollständige Gehälter-Studie des DIW finden Sie hier.
Weitere Informationen zu den Renditen von Studium- und Master- bzw. Technikerabschluss können Sie auf der Internetseite des IW abrufen.
Auch das DIW hat sich der Frage nach den Bildungsrenditen angenommen - mehr dazu.

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