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Wirtschaft: Schmerzhafte Gewissheit bei Schering

Der Betriebsrat sieht die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Bayer verzichtet nur bis Mitte 2008 auf betriebsbedingte Kündigungen

Berlin - Bayer will im früheren Berliner Schering-Werk 950 der rund 5500 Arbeitsplätze abbauen. Diese Zahl gab der Leverkusener Pharmakonzern am Mittwoch nach einer Aufsichtsratssitzung der Bayer Schering Pharma AG (früher: Schering AG) in Berlin bekannt. Betriebsbedingte Kündigungen soll es zumindest bis Mitte 2008 nicht geben. Um den Forschungsstandort zu stärken, will Bayer die Krebsforschung von den USA nach Berlin verlegen. Welche Bereiche von dem Stellenabbau betroffen sind, will der Konzern an diesem Freitag bekannt geben.

Der Betriebsrat im Berliner Schering-Werk reagierte enttäuscht. „Mit 950 wegfallenden Stellen ist die Schmerzgrenze für den Arbeitsplatzabbau mehr als deutlich überschritten“, sagte Betriebsratschef Norbert Deutschmann. Damit hätten sich die schlimmsten Befürchtungen des Betriebsrates bestätigt. Zu den 950 Stellen kommen weitere 250 im Vertrieb, die bereits vorher angekündigt worden waren. Insgesamt werden im Berliner Werk also 1200 Jobs gestrichen. Die Berliner Politik bedauerte den Stellenabbau, begrüßte aber den vorläufigen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen.

Mit der Bekanntgabe der Fusionsfolgen für das Berliner Werk hatte sich der Leverkusener Konzern mehr als ein halbes Jahr Zeit gelassen. Die Bekanntgabe war mehrfach verschoben worden. Bayer hatte den Berliner Pharmakonzern im vergangenen Juni für knapp 17 Milliarden Euro übernommen. Der lange Bieterkampf mit dem Darmstädter Konkurrenten Merck hatte die Übernahme viel teurer gemacht als ursprünglich geplant.

Für 350 der insgesamt 950 Mitarbeiter, die vom Stellenabbau im Berliner Werk betroffen sind, seien bereits „individuelle Lösungen“ gefunden worden, teilte Bayer am Mittwoch mit. Dazu zählten Ruhestandsregelungen, Altersteilzeit oder Aufhebungsverträge mit Abfindungen. Ein entsprechendes Abfindungsangebot hatte Bayer Schering Pharma (BSP) einem bestimmten Mitarbeiterkreis im Dezember gemacht, es läuft noch bis Ende März.

Für die noch etwa 600 verbleibenden Stellen will sich BSP nach Angaben von Unternehmenssprecher Oliver Renner bis Mitte 2008 Zeit nehmen, um sozialverträgliche Lösungen zu finden. 250 von ihnen werde ein Angebot von anderen Positionen innerhalb des Konzerns gemacht. Aus dem Kreis der Beschäftigten hieß es allerdings, dass zu einem Umzug nach Leverkusen oder Wuppertal kaum jemand bereit sein dürfte. Vor allem für Mitarbeiter aus niedrigeren Gehaltsgruppen komme dieser Schritt kaum in Frage.

Renner sagte weiter, bei den verbleibenden 350 Mitarbeitern sei der Konzern bemüht, Härtefälle zu vermeiden. Zu Details, etwa der Frage, welche Bereiche von dem Stellenabbau betroffen sein werden, wollte er sich nicht äußern. Nach Informationen des Tagesspiegels aus unternehmensnahen Kreisen soll die pharmazeutische Entwicklung vom Bayer-Stammsitz in Leverkusen nach Berlin verlegt werden. Dafür solle die chemische Entwicklung von Berlin ins Bayer-Werk nach Wuppertal umziehen. Es sei nicht zu erwarten, dass alle Arbeitsplätze erhalten blieben, hieß es.

Der Berliner Betriebsrat hatte im Vorfeld eine Begrenzung des Arbeitsplatzabbaus auf ein Zehntel der Belegschaft – das wären rund 500 – und den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen verlangt und erneuerte diese Forderung gestern. Betriebsratschef Deutschmann rief die Beschäftigten im Anschluss an die für Freitag geplante Betriebsversammlung im „Admiralspalast“ zu einer Protestkundgebung zurück zum Schering-Stammsitz in der Müllerstraße auf.

Dass es einen Stellenabbau geben würde, hatte Bayer-Chef Werner Wenning bereits zu Beginn der Übernahmeschlacht vor einem Jahr angekündigt. 6000 der rund 60 000 Arbeitsplätze in der vereinigten Pharmasparte würden nach der Fusion gestrichen, hatte er gesagt, aber auch wiederholt betont, dass dies „fair und sozialverträglich“ erfolgen solle. Ab 2009 will der Konzern jährlich 700 Millionen Euro einsparen.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bedauerte in einer Stellungnahme den geplanten Stellenabbau. Der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen sei aber positiv zu bewerten. In einem persönlichen Gespräch habe Wenning ihm mitgeteilt, dass Bayer alle Zusicherungen zum Erhalt des Pharmastandortes Berlin einhalten werde. Als „deutliches Zeichen“ wertete Wowereit die Verlagerung der Onkologieforschung nach Berlin.

Wirtschaftssena- tor Harald Wolf (Linkspartei) sprach von einem „herben Verlust“ für den Standort. Er erwarte, dass für die betroffenen Mitarbeiter sozial verträgliche Lösungen gefunden würden und dass es auch nach 2008 zu keinen betriebsbedingten Kündigungen kommen werde.

Das wird in Betriebsratskreisen allerdings bezweifelt. Viele Arbeitsverträge hätten eine Kündigungsfrist von einem halben Jahr, hieß es. Bayer könnte die Verträge also theoretisch am 30. Juni 2008 zum Jahresende kündigen und hätte trotzdem die Zusage eingehalten, betriebsbedingte Kündigungen bis Mitte des Jahres auszuschließen.

Durch den Kauf von Schering ist Bayer zum größten Pharmakonzern Deutschlands geworden, mit einem Gesamtumsatz von mehr als neun Milliarden Euro. Der Kurs der Bayer-Aktie notierte am Mittwoch zum Börsenschluss bei 43,47 Euro – ein Minus von 1,7 Prozent zum Vortag.

Maren Peters

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