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Wirtschaft: Schneller Schauen

Wer seine Lesegeschwindigkeit erhöht, gewinnt im Berufsalltag Zeit. In Speedreading-Seminaren lernt man, wie das geht.

Woody Allen war sozusagen Experte: „Ich habe einmal einen Kurs in Schnell-Lesen gemacht und ‚Krieg und Frieden' in zwanzig Minuten gelesen. Es spielt in Russland.“ Was für den amerikanischen Komiker und Regisseur gerade mal zu einem humorigen Zitat reicht, ist für viele Berufstätige ein wichtiges Mittel zur Informationsverarbeitung: „Speedreading“ nennt sich die Technik des schnellen Lesens – zu Erlernen ist sie in speziellen Seminaren. Dabei soll mit der Technik nicht etwa die Möglichkeit gegeben werden, Klassiker wie „Krieg und Frieden“ in Windeseile zu lesen. Es geht eher um die möglichst effiziente Verwertung von Informationen.

„Speedreading bietet vor allem Personen, die viele Fachtexte verarbeiten müssen, eine schnellere Art der Verwertung der Texte“, sagt Christoph Teege, Trainer in Sachen Speedreading. Gerade jene Fachtexte seien oft inhaltsreich und meist auch lang. „Man hat wenig Zeit im Arbeitsalltag, benötigt jedoch die Fakten schnell“, sagt Teege. Insbesondere Führungskräfte und Fachkräfte wie Ingenieure klagen darüber, wie zeitaufwändig die Lektüre von benötigten Texten sei.

Das kann sich ändern, wenn man die Technik des Speedreading kennt. „Wir unterscheiden zwischen zwei wichtigen Aspekten: Der Lesegeschwindigkeit und dem Lesemanagement“, erklärt Speedreading-Trainer Teege. Das Lesemanagement könne leicht verbessert werden. Etwa, wenn der Lesende den Text und seine verschiedenen Abschnitte vorab schon einmal genau analysiert und sortiert. „Die einzelnen Bausteine können uns schon sehr viele Informationen preisgeben, wir müssen nur genau wissen, wo wir suchen müssen.“ So verrät der Vorspann oder Einstieg in einen Text die Thematik, abschließende Infokästen liefern geballt Informationen. Eigentlich selbstverständlich und selbsterklärend oder? „Nur wenige Menschen gehen so zielgerichtet an einen Text, es sei denn, sie sind gut vertraut mit Textaufbau und Struktur.“ Bei Journalisten sei dies der Fall, doch wer selten liest, der muss sich die Textstrukturen und ihre jeweilige Funktion erst einmal vor Augen führen. Teege übt beim Lesemanagement genau dieses überblickende Scannen eines Textes.

Wenn es nicht nur um die wichtigsten Informationen geht, sondern um eine genaue Lektüre, dann kommen wir um den ganzen Text nicht herum. Mit dem so genannten Querlesen läuft man jedoch Gefahr, nur die wenig relevanten Fakten aufzugreifen. Daher gilt es: Jedes Wort zählt. „Und hier müssen wir mit der Verbesserung der Lesegeschwindigkeit ansetzen“, sagt Teege. Diese kann deutlich erhöht werden, verspricht der Experte – und zwar bei jedem. „Jedes einzelne Wort wird schneller erfasst und daher lesen wir schneller.“ Und hier kommt es dann erstaunlicherweise nicht auf Grips an, sondern es kommen Muckis zum tragen. Trainiert werden nämlich wie beim Leistungssport Muskeln , genauer die Augenmuskulatur. „Der Mensch besitzt drei Augenmuskelpaare. Wenn wir diese stärken, dann können sich die Augen schneller über die Zeilen bewegen.“

Anfänglich kommt es meist dazu, dass die Augen zwar schneller werden, das Gehirn jedoch hinterherhinkt und die Informationen nicht so schnell verarbeiten kann. Das Gehirn holt die Augen aber schnell ein. „Wichtig ist, uns bewusst zu machen, dass wir unsere Lesegewohnheiten verändern müssen“, sagt Christoph Teege. Er kennt die Vorurteile gegenüber Speedreading: Schneller lesen verbinden viele mit hastigem Lesen. Doch er verspricht, dass jeder seine Geschwindigkeit erhöhen kann – und dabei trotzdem bewusst Informationen aufnehmen.

Christoph Teege arbeitet nach der Methode des britischen Mentaltrainers Tony Buzan, der in den 70er Jahren das Speedreading entwickelte. Wobei die berühmteste Erfindung von Buzan wohl das Konzept der „Mind Map“ ist: Das wolkige Instrument zur Strukturierung der Ideen kommt heute noch jeden Tag in vielen Meetingräumen und bei Brainstormings zum Einsatz. Einer von Buzans Grundsätzen: Sportliches Training verändert den Körper und seine Muskulatur. Und diese Fitness kann man auch auf die Augen ausweiten. Statt Hanteln und Liegestütz gibt es zum Training der Augenmuskulatur nur eine Möglichkeit: „Man muss lernen auf Zeit zu lesen.“ Die Kursteilnehmer üben das. Sie bekommen Texte vorgelegt, die sie in einer bestimmten Zeit lesen müssen. Klingt einfach, ist es aber gar nicht, denn jeder Mensch hat eine eigene Lesegeschwindigkeit, die an Gewohnheiten gebunden ist. „Ich versuche die Teilnehmer nach ihrer individuellen Ausgangsposition einzuteilen, sie bekommen dann unterschiedliche Textlängen und Zeitvorgaben.“

Nach einem zweitägigen Seminar wird natürlich nicht die Lesegeschwindigkeit deutlich verändert, wichtig ist das Üben danach. Nur so gewöhnen sich die Augenmuskeln langfristig an das schnelle Lesen. Nicht nur lesen hilft, es gibt auch spezielle Augenübungen. So sollen die Teilnehmer beispielsweise in einer Reihe aus Zeichen versteckte Fehler finden oder bestimmte Ziffern oder Buchstaben zählen. Doch auch hier gilt: Nur regelmäßige Übung erhöht die Lesegeschwindigkeit.

Im Durchschnitt schaffen wir 200 Wörter pro Minute beim normalen Lesevorgang. Diese Zahl kann deutlich erhöht werden: Bis zu 500 Wörter pro Minute schaffen Speedreader locker. Doch natürlich soll dieses „High Speed“ beim Lesen nicht dafür sorgen, dass wir „Krieg und Frieden“ in 20 Minuten schaffen, sondern es hilft bestimmten Berufsgruppen ihre Arbeitszeit viel effektiver zu nutzen. Auch am Bildschirm kommt das Speedreading zum Einsatz, hier bedarf es jedoch spezifischer Techniken, damit die Augen nicht zu trocken werden.

Nicht nur im Job ist die Weiterbildung begehrt, auch Studenten sitzen oft vor Christoph Teege. Immerhin müssen sie viele lange Fachtexte in kurzer Zeit aufnehmen. Teege selbst kam als Student zum Speedreading: „Vor meinem Studium schenkten mir meine Eltern ein Seminar. Ich war begeistert und blieb dabei.“ Er las sich im Eiltempo durchs Maschinenbaustudium und auch danach ließ die Faszination fürs Speedreading nicht nach. Er absolvierte eine Trainerausbildung und machte sich schließlich vor zwei Jahren selbstständig als Trainer. Den abendlichen Krimi liest Christoph Teege deswegen dennoch nicht in Turbogeschwindigkeit. „Genussvolles Lesen bleibt natürlich langsameres Lesen“, so Teege: „Wobei ich sagen muss, dass ich genussvoll und schnell lese.“

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