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Griechische Fahnen wehen in Athen am Panathinaiko-Stadion vor der Akropolis

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Schuldenkrise: Wohin steuert Griechenland?

Die griechische Wirtschaft liegt am Boden. Viele Firmen schließen oder gehen ins Ausland. Die Banken haben kein Geld, die Touristen bleiben aus. Und wenn sich bei den Wahlen die Radikalen durchsetzen, wird alles noch schlimmer.

Die tiefste und längste Rezession der Nachkriegsgeschichte macht den griechischen Unternehmen schwer zu schaffen. Seit Beginn der Talfahrt Ende 2008 ist die Wirtschaftsleistung bereits um 15 Prozent geschrumpft. Zehntausende kleine und mittelständische Firmen mussten Insolvenz anmelden, auch die meisten börsennotierten Unternehmen schreiben rote Zahlen. Viele Unternehmer kehren dem krisengeplagten Land den Rücken. Von der heutigen Parlamentswahl erhoffen sich die griechischen Wirtschaftsführer vor allem politische Stabilität und Initiativen, die das Wachstum ankurbeln. Denn der bisher gesteuerte strikte Sparkurs krankt aus Sicht der Unternehmer daran, dass er die Konjunktur immer weiter abwürgt.

Vor allem die griechischen Banken leiden unter der Krise: Die Einlagen schrumpfen, immer mehr Schuldner können wegen der Rezession ihre Darlehen nicht mehr bedienen. Der Prozentsatz der faulen Kredite beläuft sich bereits auf rund 17 Prozent, bei den Konsumentenkrediten sind es sogar mehr als 29 Prozent. Unter dem Strich geht es um Darlehen im Volumen von rund 42 Milliarden Euro. Und jetzt hinterließ auch noch der Schuldenschnitt tiefe Spuren in den Bankbilanzen. Die Nettoverluste der neun großen Institute addieren sich auf 34 Milliarden Euro. Dadurch wurde die Kapitalbasis der Branche weitgehend vernichtet. Die Banken müssen jetzt mit Mitteln des europäischen Rettungsschirms EFSF rekapitalisiert werden. Offen ist, ob das die Verstaatlichung des griechischen Bankensektors bedeutet – oder ob sich genügend Investoren an den Kapitalerhöhungen beteiligen, um den privaten Charakter der Institute zu wahren.

Die Liquiditätsprobleme der Banken strangulieren inzwischen große Teile der Privatwirtschaft. Selbst gesunde Unternehmen haben Schwierigkeiten, Darlehen aufzunehmen. Viele Banken haben sogar die Kreditlinien für die Finanzierung der laufenden Produktion rigoros gekürzt. Nachdem die börsennotierten griechischen Unternehmen bereits im Jahr 2010 unter dem Strich Nettoverluste von knapp drei Milliarden Euro auswiesen, beliefen sich die Verluste im vergangenen Jahr auf rund 15 Milliarden.

Die Liste der Probleme ist lang

Wie ist es bestellt um die griechische Wirtschaft?
Wie ist es bestellt um die griechische Wirtschaft?

© pipi - Fotolia

Während einige exportorientierte Großunternehmen noch relativ glimpflich davonkommen, leiden vor allem die kleinen und mittelgroßen Firmen. Sie spielen in Griechenland eine viel größere volkswirtschaftliche Rolle als in den stärker industrialisierten Ländern Nordeuropas. 99,6 Prozent der griechischen Unternehmen haben weniger als 50 Beschäftigte. Neun von zehn Unternehmern sagten in einer Umfrage des Verbandes der Klein- und Mittelstandsfirmen, das Geschäftsklima habe sich 2011 verschlechtert. Für dieses Jahr erwartet der Verband über 61 000 Geschäftsaufgaben und den Verlust von 240 000 Jobs. Aktuell kommen nach Verbandsangaben auf jede Neueinstellung sieben Entlassungen.

Prekär ist die Lage im Einzelhandel. Im Athener Einkaufsviertel Kolonaki steht jeder vierte Laden leer. Seit 2008 gingen die Handelsumsätze um 25,4 Prozent zurück. Zu den wenigen Unternehmen, die sich in der Einzelhandelsbranche gegen den Trend stemmen konnten, gehört die Jumbo AG, die Spielwaren-Supermärkte betreibt und 2011 ihren Gewinn um sieben Prozent steigern konnte, sowie der Computer-, Elektronik- und Bürofachhändler Plaisio, der 2011 einen Gewinnsprung von 150 Prozent verzeichnete.

Schlechte Nachrichten kommen auch aus der Fremdenverkehrsbranche, die 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuert und fast jeden fünften Arbeitsplatz stellt. In den ersten beiden Monaten des Jahres brachen die Einnahmen um 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Für das Gesamtjahr erwartet man in der Branche einen Umsatzrückgang von rund 15 Prozent. Besonders deutlich gehen die Buchungen in Deutschland zurück. Die Fernsehbilder von Streiks und Ausschreitungen, bei denen deutsche Fahnen verbrannt werden, und die deutschfeindlichen Parolen vieler griechischer Parteien sind keine gute Werbung.

Während die Touristen wegbleiben, suchen auch immer mehr griechische Unternehmer das Weite. Allein in den beiden Krisenjahren 2010 und 2011 haben sich 800 griechische Unternehmen im benachbarten Bulgarien angesiedelt. 1500 Firmen gingen nach Zypern. Hauptgrund: Die Abwanderer vermissen in Griechenland ein stabiles Steuer- und Sozialversicherungsrecht.

Wann Griechenlands Wirtschaft den Weg aus dem Tal der Tränen findet, ist noch ungewiss. Für dieses Jahr erwartet die griechische Zentralbank erneut einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent. Frühestens Ende 2013 wird die Wirtschaftsleistung wieder wachsen, meinen die meisten Volkswirte. Ob sich die Hoffnung auf stabile Mehrheitsverhältnisse und eine handlungsfähige Regierung nach der Parlamentswahl erfüllen wird, bleibt angesichts der Zersplitterung der Parteienlandschaft, die sich in den letzten Meinungsumfragen abzeichnete, ungewiss. Gehen die radikalen antieuropäischen Kräfte so gestärkt aus der Wahl hervor, dass ohne sie keine Regierungsbildung möglich ist, könnte das den Abschied Griechenlands vom Euro, vielleicht sogar den EU-Austritt einleiten. Für die Wirtschaft des Landes wäre das eine Katastrophe.

Gert G. Wagner: "Das ganze Land braucht eine Vision"

Gert G. Wagner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Gert G. Wagner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

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Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt und tut es trotz Drosselung des Konsums und der Investitionen immer noch. Hauptsächlich geht es darum, mehr Einnahmen zu erzielen durch den Verkauf von Waren und Dienstleistungen auf den Auslandsmärkten. Die dafür notwendigen Konzepte können nicht von außen kommen. Die Griechen kennen sich selbst am besten aus und können am ehesten Wachstumspotenziale ausloten. Wie schafft man es, den Tourismus weiter auszubauen? Wie erreicht man einen höheren Veredelungsgrad für landwirtschaftliche Erzeugnisse? Auf welche Weise kann eine nachholende Industrialisierung gelingen? Welche Strategien auch gewählt werden: für deren Umsetzung braucht es viel Zeit – wie man am Aufbau Ost sehen kann. Wenn es an Ideen und Initiativen mangelt, hilft auch kein Geld der EU. Das versickert dann nur. Griechenland braucht keine Politik, damit die zurückgebliebenen Regionen gegenüber der Kernregion Attika aufschließen können. Auch keine Infrastrukturprojekte, die nur deshalb durchgeführt werden, weil Geld aus Brüssel bereitsteht. Griechenland braucht eine eigene Vision für das ganze Land.

Gert G. Wagner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Michael Hüther: "Die Lohnkosten müssen korrigiert werden"

Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.
Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.

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Die Schwierigkeiten Griechenlands haben nicht mit einem Mangel an Geld zu tun, sondern mit einer Fehlverwendung der Beitrittsrendite zur Währungsunion in Form niedriger Zinsen nach 2001. Nun sind Haushaltssanierung und Restrukturierung gleichzeitig zu bewältigen. Dies wird durch vormoderne staatliche Institutionen mit mangelnder Effektivität und Effizienz erschwert. Insofern liegt die Antwort nicht in zusätzlichen EU-Geldern, sondern in der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, einer Öffnung und Deregulierung von Märkten sowie der Korrektur des Preisniveaus und der Löhne. Es führt kein Weg daran vorbei, die Lohnstückkosten zu korrigieren. Dadurch verbessern sich die Wettbewerbsfähigkeit und die Chance, Arbeit und Einkommen in Märkten und ohne Subventionen oder Abschottung zu begründen. Bereits jetzt sieht man an den steigenden Exporten, korrigierender Leistungsbilanz und einer relativen Verbesserung des Preis- und Lohnniveaus, dass die Anpassungsprozesse laufen. Ein Austritt aus der Währungsunion mit der Option der Abwertung muss zum gleichen Ergebnis führen – mit höheren volkswirtschaftlichen Kosten für alle anderen Euro-Staaten.

Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Thomas Straubhaar: "Wir brauchen ein Protektorat"

Thomas Straubhaar leitet das Hamburgische Welt-Wirtschaft-Institut.
Thomas Straubhaar leitet das Hamburgische Welt-Wirtschaft-Institut.

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Unabhängig vom Wahlergebnis bleibt Griechenland ein „failed state“, ein gescheiterter Staat. Das bedeutet, dass es Griechenland nicht an Geld mangelt, sondern an wirkungsmächtigen staatlichen Institutionen. Daher benötigt das Land nach der Wahl vor allem institutionelle, nicht finanzielle Hilfe. Niemand weiß das besser als Deutschland mit seiner Erfahrung nach der Wiedervereinigung. Was Griechenland braucht, ist rat- und tatkräftige Unterstützung bei der Schaffung funktionsfähiger staatlicher Strukturen.

Ein gescheiterter Staat kann sich in aller Regel nicht aus eigener Kraft gegen die Profiteure des aktuellen Zustands zu einem Neuanfang zwingen. Aus diesem Grund wäre es klug, darauf hinzuarbeiten, Griechenland zu einem europäischen Protektorat zu machen. In diesem Punkt ist die EU gefordert. Sie müsste Griechenland bei einer institutionellen Modernisierung auf jeder Ebene, vor allem aber mit Verwaltungsangehörigen, Steuerfachkräften und Finanzbeamten unterstützen. Das bedarf diplomatischen Fingerspitzengefühls, um nationalen Stolz, Eitelkeiten und den Widerstand von Interessengruppen bei der Neugründung Griechenlands zu überwinden.

Thomas Straubhaar leitet das Hamburgische Welt-Wirtschaft-Institut.

Rudolf Hickel: "Die Steuereinnahmen müssen steigen"

Rudolf Hickel ist Professor für Politische Ökonomie mit dem Schwerpunkt Öffentliche Finanzen in Bremen.
Rudolf Hickel ist Professor für Politische Ökonomie mit dem Schwerpunkt Öffentliche Finanzen in Bremen.

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Die durch die Bundesregierung forcierte Strategie, Griechenland fiskalisch und ökonomisch zu retten, ist jämmerlich gescheitert. Die Mittel aus den Rettungsschirmen haben Griechenland gegenüber den Spekulanten abgeschirmt. Der Preis für die Gewährung von Finanzhilfen ist Buße durch martialische Kürzungen in den öffentlichen Haushalten, Erhöhung von Massensteuern und die Senkung der Löhne. Jede Maßnahme reduziert die binnenländische Nachfrage, ohne einen Beitrag zugunsten der internationalen Konkurrenzfähigkeit zu leisten. Dadurch wird eine dauerhafte Elendsökonomie erzeugt. Dieser Teufelskreis von Rotstiftpolitik, sinkender Produktion und steigender Neuverschuldung muss durchbrochen werden. Die Führungsrolle bei der Sanierung liegt im Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft, die auch wieder zu wachsenden Steuereinnahmen führt. Ein mutiger Herkulesplan mit folgenden Schwerpunkten ist erforderlich: moderne Wirtschaftsstrukturen mit kleineren und mittleren Unternehmen, Anschluss an die internationale Wettbewerbsfähigkeit sowie der Nachhaltigkeit dienende Innovationsprojekte und der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur.

Rudolf Hickel ist Professor für Politische Ökonomie mit dem Schwerpunkt Öffentliche Finanzen in Bremen.

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