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Stellt sich taub. Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi hat soeben die Sanierung des Staatshaushalts verschoben. Foto: Reuters

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Schuldenkrise in der EU: Angst vor der Bombe

Italien ist hoch verschuldet und tritt konjunkturell auf der Stelle. Nur Griechenland hat schlechtere Werte.

Rom - Kommt nach Griechenland nun Italien? Mit mehr als 1800 Milliarden Euro Schulden entfällt auf Italien ein Viertel der Gesamtschuld der Eurozone, weitaus mehr als Griechenland (329 Milliarden), Spanien (639 Milliarden), Portugal (160 Milliarden) und Irland (148 Milliarden) zusammen haben. „Italien ist das größte Problem für den Euro“, hatte der kanadische Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Mundell schon vor einem Jahr gewarnt. Da betrug die Verschuldung Italiens noch 115 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Unterdessen hat sie den Rekordwert von 120 Prozent erreicht. Zum Vergleich: Die Staatsverschuldung Spaniens betrug Ende 2010 rund 60 Prozent, jene von Portugal 93 Prozent. Mit einer relativen Verschuldung von 143 Prozent des BIP steht in der Eurozone nur Griechenland schlechter da als Italien.

Sollte Italien in Schwierigkeiten kommen, „wäre eine Rettung unmöglich“, warnte Mundell. Italien, die drittgrößte Wirtschaftsmacht in der EU, ist „too big to fail“. Eine Aufnahme im Klub der PIGS (Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) ist Italien vor allem deshalb erspart geblieben, weil das Land bisher keine Probleme hatte, seine gewaltige Schuldenlast zu refinanzieren. Das liegt an der hohen Sparquote: Statt sich privat zu verschulden wie die Griechen, Iren und Spanier, haben die Italiener ihr Geld bisher zur Bank gebracht und Anleihen ihres Staats gekauft. Die Folge war, dass neue Anleihen bis vor kurzem weg gingen wie warme Semmeln.

Krisenbedingt haben indessen in den letzten Monaten auch die italienischen Sparer damit begonnen, ihre Bankeinlagen abzuziehen. Das bedeutet für den Schweizer Vermögensverwalter und Börsen-Experte Felix W. Zulauf, „dass der größte Käufer italienischer Anleihen ausfallen wird“. Zulauf: „Die Bombe Italien wird noch in diesem Jahr hochgehen.“

Das mag übertrieben sein, aber auch die Ratingagenturen melden zunehmend Zweifel an der Bonität der italienischen Staatsschuld an: Im Mai hatte Standard & Poor's seinen mittelfristigen Ausblick für Italien von „stabil“ auf „negativ“ gesetzt, Mitte Juni zog Moody's nach und kündigte eine Überprüfung des bisherigen Ratings an. Die Warnungen vor einer Ansteckung Italiens mit dem Euro-Virus blieben an den Finanzmärkten nicht ohne Folgen: Letzte Woche stieg der Zinsaufschlag für italienische Anleihen gegenüber der Referenzgröße, den deutschen Bundesschatzbriefen, auf den Rekordwert von 2,23 Prozent. Ein Zinsanstieg von einem einzigen Prozent hat für Italien Mehrausgaben von 18 Milliarden Euro zur Folge. Schon heute bezahlt das Land jährlich rund 70 bis 80 Milliarden Euro für Schuldzinsen.

Standard & Poor's und Moody's begründeten ihre Warnungen mit der Politik. Sie wiesen auf die Wachstumsschwäche, die geringe Arbeitsproduktivität, die Strukturprobleme und den ungenügenden Reformwillen der Regierung hin. Auch für den designierten Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) und derzeitigen italienischen Notenbankchef Mario Draghi ist die Wachstumsschwäche das Hauptproblem: Ohne Wachstum bestehe „keine realistische Aussicht auf den Abbau des Schuldenberges“, betonte Draghi in seinem letzten Jahresbericht als oberster italienischer Banker. Seit 15 Jahren warte das Land vergeblich auf Reformen. Die Folge sei, dass Italien jedes Jahr weiter Wettbewerbsfähigkeit verliere.

Im Ranking des World Economic Forum (WEF) ist Italien auf den 48. Platz abgerutscht und lässt damit von den PIGS-Staaten nur noch Griechenland hinter sich. Über der angeschlagenen italienischen Volkswirtschaft, die seit 2005 um 0,9 Prozent geschrumpft ist, schwebt das Damoklesschwert einer langen Rezession: Die Arbeitslosigkeit ist 2010 auf den höchsten Wert seit 2004 gestiegen und nimmt weiter zu. Die Jugendarbeitslosigkeit hat im letzten Monat 30 Prozent erreicht. 250 000 kleine und mittlere Unternehmen sind laut dem Industriellenverband Confindustria vom Konkurs bedroht. Gleichzeitig verarmt der Mittelstand: Die Kaufkraft der Italiener ist in den letzten fünf Jahren um vier Prozent gesunken, die italienischen Löhne liegen 17 Prozent unter dem OECD-Mittel.

Derweil stellt sich Regierungschef Silvio Berlusconi taub gegenüber den Mahnungen und hat soeben auch die Sanierung des Staatshaushalts verschoben. Von den 47 Milliarden Euro, die das am Donnerstag von der Regierung verabschiedete Sanierungsprogramm enthält, fallen gerade einmal knapp sieben Milliarden in das laufende und das kommende Jahr. Die übrigen 40 Milliarden sollen erst 2013 und 2014 umgesetzt werden – und damit von der nächsten Regierung.

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