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Auf der Suche. 2011 begann die Homer-Ferrington-Bohranlage von Noble Energy mit den Probebohrungen.

© picture alliance / dpa

Schuldenkrise: Wie Zypern zur Schatzinsel werden kann

Vor der Küste der Mittelmeerinsel werden große Öl- und Erdgasvorkommen vermutet. Die könnten Europa unabhängiger von den Lieferungen aus Russland machen.

Als Pleiteinsel wird Zypern gehässig in manchen Boulevardmedien bezeichnet. Vielleicht sollte man besser von einer Schatzinsel sprechen. Denn vor den Küsten der drittgrößten Insel des Mittelmeeres werden riesige Öl- und Erdgasvorkommen vermutet. Mit ihrer Ausbeutung könnte Zypern seine Finanzprobleme schon in wenigen Jahren lösen. Die Kriseninsel forciert deshalb jetzt die Suche nach Bodenschätzen vor ihren Küsten. Diese Woche unterzeichnete Handelsminister Neoclis Sylikiotis ein Abkommen mit dem französischen Energiekonzern Total. Das Unternehmen soll südlich der Insel nach Gas und Öl bohren. „Wir haben ernstzunehmende Anzeichen, dass es dort bedeutende Ölvorkommen gibt“, sagte Minister Sylikiotis im Gespräch mit dieser Zeitung in Nikosia.

Zypern ist in den vergangenen Monaten immer tiefer in den Strudel der Griechenlandkrise geraten. Die Wirtschaft des Inselstaates ist mit dem Nachbarland eng verflochten. Hart traf es vor allem Zyperns große Banken. Sie machten in den vergangenen Jahren 40 bis 50 Prozent ihres Geschäfts in Griechenland und investierten massiv in griechische Staatsanleihen. So wurde Griechenland für Kreditinstitute wie die Bank of Cyprus und die Laiki Bank zum Milliardengrab. Sie haben dort fast ihr gesamtes Eigenkapital verloren. Hilfskredite von rund zehn Milliarden Euro braucht Zypern jetzt für die Rekapitalisierung der Banken, weitere 7,5 Milliarden für die Refinanzierung fälliger Staatsschulden und den Ausgleich des Haushaltssaldos.

Doch die möglichen Geldgeber, die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF), zögern. Zypern wird vorgeworfen, nicht genug gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu unternehmen. Den IWF plagt auch die Sorge, mit den neuen Hilfskrediten, die rund 100 Prozent der diesjährigen Wirtschaftsleistung entsprechen, werde sich Zypern so hoch verschulden, dass die Schuldenlast nicht mehr tragbar ist.

Aber die Hilfsgelder, um die nun gerungen wird, könnten schon bald als „Peanuts“ erscheinen. Denn die Insel sitzt möglicherweise auf Erdgasvorkommen, die nicht nur den eigenen Bedarf auf Jahrzehnte hinaus decken, sondern auch Europa unabhängiger von russischem Gas machen könnten. Bereits im Oktober 2011 begann der US-Konzern Noble Energy im sogenannten Block 12, einem von 13 Offshore-Sektoren südlich der Insel, mit der Suche nach Erdgas. Block 12 grenzt an ein Seegebiet, in dem Israel bereits 2009 zwei große Erdgasfelder entdeckte, Tamar und Dalit.

Ende Dezember 2011 wurde Noble Energy im zyprischen Sektor fündig.

Ende 2010 einigten sich Israel und Zypern auf eine Abgrenzung der beiderseitigen Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer. Ende Dezember 2011 wurde Noble Energy im zyprischen Sektor fündig: In etwa 4500 Metern unter dem Meeresboden stieß die Probebohrung auf ein Erdgasfeld. Es hat nach ersten Schätzungen einen Umfang von 255 Milliarden Kubikmeter. Der Fund könnte Zyperns Erdgasbedarf für etwa zwei Jahrzehnte decken. Die Förderung soll 2018 beginnen. Doch das ist erst der Anfang.

Ende Januar vergab die Regierung eine Konzession für Bohrungen in den Blocks 2,3 und 9 an ein Konsortium aus der italienischen Eni und der südkoreanischen Kogas. In den Blocks 10 und 11, die jetzt an Total vergeben wurden, vermuten Experten weitere 150 bis 240 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Und darunter dürfte es Ölvorkommen geben, die möglicherweise noch bedeutender sind. Total will deshalb mit den Bohrungen in größere Tiefen vorstoßen.

Charalambos Ellinas, der Chef der Staatlichen Öl- und Gasgesellschaft KRETIK, schätzt die Gasvorkommen in der zyprischen Wirtschaftszone auf „mindestens 60 Billionen Kubikfuß“ (1,8 Billionen Kubikmeter). Damit könnte Zypern neben der eigenen Nachfrage auch etwa zehn Prozent des Bedarfs Westeuropas decken, sagt Ellinas. Eine Studie der Royal Bank of Scotland (RBS) beziffert den Marktwert der zyprischen Gas- und Ölvorkommen auf „mehr als 600 Milliarden Euro“. Davon könnte, so eine Faustregel, der Staat etwa die Hälfte kassieren. Der Betrag entspräche fast dem Zwanzigfachen der Staatsschulden Zyperns.

„In den nächsten drei Jahren werden wir Klarheit über die Vorkommen haben“, sagte Handelsminister Sylikiotis dieser Zeitung. 2015 soll der Bau eines Gasterminals bei Vassilikos an der Südküste beginnen. Hier soll das geförderte Gas verflüssigt und in Tankern nach Westeuropa transportiert werden. „Es wird eines der größten Terminals der Welt und mit Kosten von sechs bis sieben Milliarden Euro die größte Investition in der Geschichte Zyperns“, sagt Minister Sylikiotis. „Mitte 2019 wird die Anlage fertig sein, dann beginnen wir mit den Exporten.“

Nicht nur zyprisches Erdgas, auch Gas aus den Fördergebieten Israels und des Libanon könnten künftig in Pipelines nach Zypern fließen, dort verflüssigt und verschifft werden, hofft man in Nikosia. Damit bekäme Zypern als Gas-Drehscheibe „eine geopolitische Bedeutung“, glauben die Experten der RBS. Europa könne „seine Energiesicherheit erhöhen und seine Abhängigkeit vom Gaslieferanten Russland reduzieren“. Das könnte ein Argument für die EU sein, die Rettung des schwer angeschlagenen Inselstaats selbst in die Hand zu nehmen – und sie nicht Russland zu überlassen, das Zypern bereits Ende 2011 mit einem 2,5-Milliardenkredit unter die Arme griff.

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