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Wirtschaft: Schutzwall für den Berliner Bau gekippt

BERLIN (cbu/HB/chi).Der Berliner Senat hat eine schwere Schlappe vor Gericht erlitten: Das Kammergericht stufte am Mittwoch die Tariftreue-Erklärung, die das Land bei Ausschreibungen öffentlicher Bauaufträge fordert, als rechtswidrig ein.

BERLIN (cbu/HB/chi).Der Berliner Senat hat eine schwere Schlappe vor Gericht erlitten: Das Kammergericht stufte am Mittwoch die Tariftreue-Erklärung, die das Land bei Ausschreibungen öffentlicher Bauaufträge fordert, als rechtswidrig ein.Sie verpflichtet Bewerber, ihre Beschäftigten nicht unter den in Berlin geltenden Tarifen zu entlohnen.Der Vorsitzende Richter, Dieter Jalowietzki, bestätigte damit eine frühere Entscheidung des Bundeskartellamtes, ließ aber Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof zu.

Anfang November hatte das Bundeskartellamt die Tariftreue-Erklärung bei der Vergabe von Straßenbau-Aufträgen untersagt, weil das Land dort den Markt beherrsche.Die Regelung, argumentierten die Wettbewerbshüter, sei eine "unzulässige Diskriminierung", weil sie faktisch alle Unternehmen ausschließe, für die niedrigere Tariflöhne gelten, die nicht tarifgebunden sind oder mit Zustimmung der Betriebsräte legal niedrigere Löhne zahlen.Sie schließe zum Beispiel auch Brandenburger Betriebe aus.Zudem würden Straßenbauaufträge in Berlin künstlich verteuert.Das Kartellamt verwies damals auch auf die bundesweit durch das Entsendegesetz festgelegten Mindestlöhne.Damit würden Dumpinglöhne am Bau bereits verhindert.

Das Kartellamt hatte die Angelegenheit von Anfang an auch zu einem Pilotfall gemacht, denn es sah die Gefahr, daß andere Länder eine solche Tariftreue-Erklärung einführen könnten.Nach Angaben der Wettbewerbshüter sind seit 1995 auch 13 von 16 Bundesländern dem Berliner Beispiel gefolgt.Der Vorsitzende des zuständigen Beschlußsenats, Silvio Malitius, kündigte am Rande der Verhandlung am Mittwoch an, im Fall einer rechtsgültigen Entscheidung werde eine Welle weiterer Untersagungen durch die Wettbewerbsbehörde folgen.

In Berlin stieß die Entscheidung des Kartellamtes auf erheblichen Protest.Gewerkschaften und Arbeitgeber kritisierten, daß damit "Firmen, die sich korrekt verhalten, diskriminiert werden".Wer Tarifverträge einhalte, sei gegen Billiganbieter chancenlos.Auch der Verweis auf die Mindestlöhne greife zu kurz, hieß es.Der Mindestlohn liege im Westen und Berlin bei 16 DM, der Tariflohn hingegen zwischen 20 und 28 DM.Der Senat verwies darauf, daß es nötig sei, eine gesunde Struktur örtlicher Baufirmen zu erhalten.Durch eine Öffnung, sagte die Sprecherin des Bausenators, Petra Reetz dem Tagesspiegel, würden die mittelständischen Tiefbaufirmen, die schon jetzt ihre eigenen Preise um 20 bis 25 Prozent unterbieten, "endgültig ins Aus gedrängt".Im Straßenbau sind in Berlin etwa 110 Betriebe mit etwa 1400 Beschäftigten tätig.

Das Gericht schloß sich aber nun der Auffassung des Kartellamtes an.Richter Jalowietzki erklärte, die Tariftreue-Erklärung, die er als protektionistisch einstufte, sei ein "Schutzzaun für das hohe Lohnniveau in Berlin".Zudem erfolge unbestreitbar eine Marktabschottung.Die Stärke des staatlichen Eingriffs in den Marktmechanismus sei "fragwürdig".Auch das Argument, tarifgebundene Bauarbeiter lieferten eine bessere Qualität, ließ das Kammergericht nicht gelten.Als völlig unverhältnismäßig stufte das Gericht auch die angedrohten Strafen ein.Wenn die Tariftreue beim ersten Mal nicht eingehalten wird, schließt das Land Berlin den Bewerber für zwei Jahre von der öffentlichen Auftragsvergabe aus.Der Richter machte zudem auf mögliche Schadenersatzforderungen aufmerksam, die auf das Land zukommen könnten.Diejenigen Unternehmen, die wegen der Tariftreue-Erklärung bei öffentlichen Aufträgen nicht zum Zuge gekommen sind, könnten jetzt versuchen, den Schaden geltend zu machen.

Kurt Stockmann, Vizepräsident des Kartellamtes, bezweifelte vor Gericht nochmals die Gültigkeit der Tariftreue-Erklärung.Das Land Berlin dürfe nicht in den Wettbewerb eingreifen, um politischen Ziele wie den Erhalt von Arbeitsplätzen und Unternehmen zu verwirklichen.Die Vergabe öffentlicher Aufträge dürfe nur nach Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bewerber erfolgen, nicht aber nach anderen Kriterien, etwa der Tariftreue.Diese widerspreche im übrigen auch dem Europa-Recht, sagte Stockmann.

Der Vertreter Berlins, Rechtsanwalt Fedor Seifert, argumentierte, das Land habe keine marktbeherrschende Stellung, sondern würde weniger als ein Drittel aller Aufträge im Straßenbau vergeben.Bei Aufträgen, die das Land für den Bund vergibt, werde keine Tariftreue-Erklärung verlangt.Auf einen vom Gericht vorgeschlagenen Kompromiß wollten sich die Vertreter des Landes nicht einlassen.Jalowietzki hatte angeboten, das Verfahren bei sofortiger Aufhebung der Tariftreue-Erklärung bis zur Verabschiedung der Novelle des Vergaberechts in Bonn auszusetzen.

Der Senat wird voraussichtlich vor den Bundesgerichtshof ziehen.Zunächst müsse man aber die Begründung des Kammergerichts abwarten, die noch nicht vorliege, sagte Senatssprecherin Petra Reetz dem Tagesspiegel.Bis zu einer endgültigen Entscheidung gelte die Tariftreue-Erklärung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Berlin weiter.

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