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EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso spricht am 22.02.2013 bei einer Pressekonferenz in Brüssel.

© dpa

Seitenwechsel: Von der Spitzenpolitik in die Wirtschaft

Die Kritik an José Manuel Barroso, der zu Goldman Sachs geht, ebbt in Brüssel nicht ab. Ein Vorwurf lautet: Der Wechsel beschädige das Ansehen der EU.

Die Frage war spitz formuliert: Ob José Manuel Barroso bei seinem nächsten Besuch denn nun als Ex-Präsident der EU-Kommission begrüßt werde oder als Lobbyist für die US-amerikanische Investmentbank Goldman Sachs. Das wollte ein französischer Journalist in der täglichen Pressekonferenz der EU-Kommission wissen. Der Sprecher von Barrosos Nachfolger Jean- Claude Juncker antwortete sichtlich genervt: Selbstverständlich würde er nicht mehr als Ex-EU-Kommissionspräsident empfangen. Die Frage und die verdruckste Antwort veranschaulichen das Unbehagen, das sich in Brüssel breitmacht, seitdem Goldman Sachs die Personalie Barroso öffentlich gemacht hat.

Der 60-jährige Portugiese stand von 2004 bis 2014, also zwei Amtszeiten, an der Spitze der EU-Kommission. Davor war er zwei Jahre lang Ministerpräsident von Portugal. 20 Monate nachdem er seinen Schreibtisch im 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes am Schuman-Platz in Brüssel geräumt hat, vollzieht er jetzt den so berüchtigten Seitenwechsel von der Politik in die Wirtschaft, der so häufig für Ärger sorgt.

Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat ihn zum einen als Berater verpflichtet. Zum anderen wird er Mitglied im Verwaltungsrat der Tochter Goldman Sachs International, die ihren Sitz in London hat. London dient der Bank als Zentrale für das wichtige Europageschäft. Mehr als 6000 Mitarbeiter sind bei der Bank in Europa beschäftigt, das sind 4,4 Prozent der gesamten Belegschaft.

Neuer Job hat Bezug zum Brexit

Die Aufgabe, die Barroso dort schultern soll, hat einen direkten Bezug zum Brexit-Referendum der Briten. Der Ko-Chef von Goldman Sachs International, Michael Sherwood, formuliert es so: Barroso solle helfen, die Kunden des Instituts durch „das herausfordernde und unsichere wirtschaftliche Marktumfeld“ zu steuern. In einem Interview wurde Barroso selbst noch konkreter: Er wolle alles tun, was in seiner Macht stehe, sagte er der „Financial Times“, um die negativen Folgen des Brexit-Referendums abzufedern. Bei den EU-Austrittsverhandlungen ist das die spannendste Frage aus Sicht der Banker: Behält die Finanzindustrie mit Sitz in London den Zugang zum Binnenmarkt? Das Augenmerk von Barroso wird künftig vor allem auf diese Frage gerichtet sein. Im Interview fügte er wörtlich hinzu: „Keiner hat etwas an einer Konfrontation zu gewinnen.“

In den Wochen vor dem Volksentscheid im Vereinigten Königreich hatte sich Goldman Sachs wiederholt für den Verbleib der Briten in der EU eingesetzt. Andernfalls drohten Jobverlagerungen. Mit einer Bilanzsumme von 700 Milliarden Euro ist Goldman Sachs die fünftgrößte Bank der USA. Seit der Finanzkrise hat die Bank zwar Strahlkraft eingebüßt und verdient wegen der Börsenturbulenzen auch nicht ausgezeichnet, kommt aber immer noch auf einen Milliarden-Gewinn von zuletzt 1,2 Milliarden Dollar im Quartal.

Wechsel beschädige das Ansehen der EU

Formell ist an der Sache nichts auszusetzen. Die Regeln sehen vor, dass Kommissare innerhalb von 18 Monaten nach ihrem Ausscheiden einen Wechsel in die Privatwirtschaft anzeigen müssen. Im Fall Barroso sind 20 Monate vergangen. Wie ein Kommissionssprecher mitteilte, habe Barroso Juncker vorab informiert. Die Kommission verwies darauf, dass es in Brüssel strenge Regeln gebe. Der Sprecher von Juncker erlaubte sich noch einen Seitenhieb: Alle erinnerten sich doch gut an Wechsel „von Regierungschefs, die direkt in den privaten Sektor gewechselt sind ohne Prüfung möglicher Interessenkonflikte.“ Dies wird als Anspielung auf Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein Engagement für die Wirtschaft verstanden.

Der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Rainer Wieland (CDU), verteidigt den Wechsel: „Ich halte die Kritik für überzogen.“ Die 18-monatige Abklingphase, die für Kommissare gelte, sei ohnehin schon recht lang. Der Grünen-Politiker Sven Giegold widerspricht Wieland energisch. „Diese elendigen Seitenwechsel von der Politik in die Wirtschaft nähren die Zweifel an der Gemeinwohlorientierung der Politik.“ Der Grüne befürchtet, dass die Personalie das Ansehen der EU noch weiter beschädigen könne. „Die Bürger verlieren das Vertrauen.“ Er wolle Barroso gar nicht unterstellen, dass er in seiner neuen Funktion etwas mache, was Europa schade. „So ein Seitenwechsel befeuert aber die Unsicherheit der Bürger, was hinterher mit dem Wissen und den Kontakten eines Politikers passiert.“

Forderung: Karenzzeit auf drei Jahre verlängern

Giegold setzt sich in Brüssel für strengere Regeln bei einem Wechsel dieser Art ein. Er hat dazu einen Bericht geschrieben, über den das Europaparlament im Herbst abstimmt. Giegold fordert darin, dass die Karenzzeit für EU-Kommissare und den Kommissionspräsidenten auf drei Jahre verlängert wird. Auch Bedienstete der Kommission, die an Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind, sollen für zwei Jahre nicht in die Wirtschaft wechseln dürfen. Für EU-Abgeordnete will er ebenfalls einen Wechsel, bei dem es zu Interessenkonflikten kommen kann, für drei Jahre verbieten. „Außerdem müssen wir sicherstellen, dass Ex-Abgeordnete nicht zweimal zulangen, also Übergangsgeld vom Steuerzahler kassieren und Lohn von ihrem neuen Arbeitgeber bekommen.“ Dies ist bislang nicht ausgeschlossen.

Im Fall von Kommissaren gibt es bereits eine Regelung, die eine Anrechnung vorsieht. Drei Jahre nach dem Ausscheiden haben sie Anspruch auf Übergangsgeld. Das Übergangsgeld macht je nach Länge ihrer Beschäftigung zwischen 40 und 65 Prozent des ehemaligen Festgehaltes eines Kommissars aus. Die Regelung besagt: Übergangsgeld und Bezüge im neuen Job dürfen zusammen nicht höher sein als das ehemalige Festgehalt als Kommissar. Andernfalls wird das Übergangsgeld entsprechend gekürzt. Da der Vertrag von José Manuel Barroso nicht öffentlich ist, kann man über die Verrechnung der Bezüge im Fall Goldman Sachs nur spekulieren.

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