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Weniger und doch zu viel. In den vergangenen fünf Jahren sank die Arbeitslosenquote in Berlin von 17,5 auf 13,5 Prozent.

© dpa

Senat legt Bericht vor: Konjunktur gut, Arbeitsmarkt schlecht

Berlins Wirtschaft wächst 2011 um drei Prozent, erwartet der Senat. Geringverdienern hilft das wenig.

Berlin - Die Wirtschaft in der Hauptstadt ist in diesem Jahr erneut auf Wachstumskurs. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze steigt – und dennoch bleibt Berlin das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote in Deutschland. Diese zwiespältige Bilanz geht aus dem Wirtschafts- und Arbeitsmarktbericht 2010/2011 hervor, den Wirtschaftssenator Harald Wolf und Arbeitssenatorin Carola Bluhm (beide Linke) am Mittwoch vorstellten. Beide Senatoren zogen zudem ein Fazit der zu Ende gehenden fünfjährigen Legislaturperiode des rot-roten Senats. Am 18. September wird in Berlin das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Ob Wolf und Bluhm anschließend weiter dem Senat angehören werden, gilt eher als unwahrscheinlich. In den letzten Meinungsumfragen gab es keine Mehrheit mehr für eine Neuauflage der Koalition von SPD und Linke.

„Ich erwarte für dieses Jahr einen Anstieg der realen Wirtschaftsleistung um drei Prozent“, sagte Wolf. Allerdings bleibe die sich verschärfende internationale Schuldenkrise ein Risiko. Im vergangenen Jahr sei das Bruttoinlandsprodukt um 2,7 Prozent gewachsen. Seit 2005 stieg die Wirtschaftsleistung der Stadt laut Wolf insgesamt um 13 Prozent und damit doppelt so stark wie bundesweit. Besonders positiv wirkten sich die gestiegenen Auftragszahlen bei der Industrie und die Zuwächse in Einzelhandel und Tourismus aus.

Auch wenn in der Hauptstadt die meisten Erwerbslosen registriert sind, spricht Arbeitssenatorin Bluhm von einer positiven Entwicklung bei der Beschäftigung: „Die Zahl der Erwerbstätigen stieg in Berlin auch im Jahr 2010 überdurchschnittlich an.“ Erfreulich sei, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze im Mai 2011 um knapp 27 000 höher lag als im Vorjahr. Dass dennoch die Arbeitslosigkeit nicht entsprechend zurückgeht, erklärt Bluhm unter anderem mit „einem besonderen Druck“ auf den Berliner Arbeitsmarkt: Rund 103 000 Berufspendler aus Brandenburg arbeiteten in Berlin, zudem würden viele neue Arbeitsplätze von Zuzüglern besetzt. „Dies führt dazu, dass die Arbeitslosenquote langsamer sinkt, als man erwarten könnte“, sagte Bluhm. Dennoch sei die Quote seit 2006 von 17,5 auf 13,5 Prozent gesunken. Zudem wies Bluhm darauf hin, dass es in diesem Jahr rund 25 000 Arbeitsmarktmaßnahmen weniger gibt als 2010.

Selbst wer Arbeit hat, muss oft noch mit Hartz IV aufstocken. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Scharfe Kritik äußerten beide Senatoren an der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und erneuerten ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Bei rund 130 000 Menschen reiche das Einkommen aus Arbeit nicht für den Lebensunterhalt, so dass sie zusätzlich Hartz IV beziehen. „Acht Prozent davon arbeiten sogar Vollzeit“, sagte Bluhm. Den umstrittenen öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS) will die Arbeitssenatorin künftig auch dazu nutzen, um dem Fachkräftemangel bei Erziehern und in der Pflege zu begegnen. Gleichzeitig forderte sie den Bund auf, sich stärker in der Arbeitsmarktpolitik zu engagieren. „Kürzungen von 677 auf 490 Millionen Euro wie in diesem Jahr sind für ein Land mit hoher struktureller Arbeitslosigkeit nicht zu verkraften“, sagte Bluhm.

Bei der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) löste der Wirtschaftsbericht verhaltene Reaktionen aus. Das wachsende Bruttoinlandsprodukt sei zwar erfreulich. „Ein Wermutstropfen ist aber die rote Laterne bei der Arbeitslosenquote, damit können wir uns nicht zufrieden geben“, sagte IHK-Sprecher Bernhard Schodrowski. Ein Mindestlohn sei allerdings der falsche Weg, um Langzeitarbeitslose wieder im ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Diese Auffassung teilt die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB). „Arbeitslose müssen jetzt systematisch in reguläre Beschäftigung vermittelt werden“, sagte UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck. Menschen mit Qualifizierungsdefiziten sollten betriebsnah weitergebildet werden.

Die Berliner FDP sprach von einer „rot-roten Schreckensbilanz“. Sie kritisierte vor allem das Festhalten am ÖBS. „Wer seinen Tunnelblick auf zweite Arbeitsmärkte richtet, verliert reale Unternehmen, die nachhaltige Arbeitsplätze schaffen, und deren Bedürfnisse aus dem Blick“, sagte FDP-Fraktionschef Christoph Meyer.

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