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Wirtschaft: Sendezeit zu gewinnen

In China können Unternehmen TV-Spots im Staatsfernsehen ersteigern. Die Bieter werden zu Stars

Von Geoffrey A. Fowler, Peking Li Jia von Monarch Lubricant Oil hebt sein Fähnchen mit der roten Zahl 111 und erhält den Zuschlag bei umgerechnet 3,2 Millionen Euro. Nun gehören ihm 15 Sekunden der begehrten Sendezeit im chinesischen Fernsehen. Zwei Monate lang wird der Werbespot seines Unternehmens gleich nach der Wettervorhersage, einer der beliebtesten Fernsehsendungen der Welt, gezeigt.

Kameraleute umschwärmen den 38jährigen Manager, als er auf ein für die Gewinner reserviertes Podium gebeten wird. Die chinesische Olympionikin Luo Xuejuan, Goldmedaillengewinnerin im 100Meter-Brustschwimmen der Frauen in Athen, überreicht Li eine Medaille und Tian Liang, Goldmedaillengewinner im Synchronspringen vom Zehn-Meter- Turm, krönt ihn mit einem Lorbeerkranz. „Ich konnte nur an eines denken – wie man unter all den Lampen schwitzen muss“, sagt ein ausgelassener Li Jia in einem Interview nach seinem Sieg.

China befindet sich in der kuriosen Situation, trotz der bestehenden Planwirtschaft manchmal krasse kapitalistische Züge aufzuweisen. Beide Gesichter zeigen sich bei der TV-Show „Wirtschaftsolympiade“, einem jährlichen Fernsehereignis, dessen Ziel es ist, die Werbezeit im staatlichen chinesischen Fernsehen meistbietend zu verkaufen. Bei der Veranstaltung bieten chinesische Geschäftsleute vor Studiopublikum auf Sendezeiten für ihre Werbung und werden im Laufe der Sendung plötzlich zu Stars.

Mit der Organisation der Feierlichkeiten, die drei Tage dauern können, beauftragt das chinesische Staatsfernsehen die Größen der Unterhaltungsbranche. Sie sollen die eigentlich schwer verkäufliche Veranstaltung in eine keine Kosten scheuende Unterhaltungssendung verwandeln. Der Werbedirektor des Staatsfernsehens, Guo Zhenxi, der bei der Sendung als Moderator fungiert, gab Mitte November den Startschuss. Ein professioneller Auktionator leitete die 13-stündige Versteigerung, die nur durch kurze Unterhaltungspausen unterbrochen wurde.

Das Staatsfernsehen platzierte Mitarbeiter im Publikum, die nach jedem Gebot jubelten. Die Produzenten spielten in dramatischen Momenten, etwa, wenn das Bieten seinen Höhepunkt erreichte, Trommelwirbel ein. „Heben Sie ihre Hände schneller und Ihre Preise höher!“, feuerte Sportreporter Zhang Bin die Bieter an. Guo erklärt: „Genau wie ein Athlet Anfeuerung braucht, um sein Bestes zu geben, brauchen auch diese Geschäftsleute unseren Applaus, um zu beweisen, dass sie die Besten sind.“

Es war die elfte Werbeauktion im chinesischen Fernsehen. In diesem Jahr wurden 632 Millionen US-Dollar (rund 470 Millionen Euro) umgesetzt, etwa die Hälfte der jährlichen Werbeeinnahmen des staatlichen Fernsehens. Im vergangenen Jahr haben die Marketingleiter 14,5 Milliarden US-Dollar für Werbung in China ausgegeben. Das ist zwar nur ein Bruchteil der 149 Milliarden Dollar, die in den USA ausgegeben werden, verleitet aber in der Werbebranche manch einen zu der Prophezeiung, dass China bis zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking der zweitgrößte Werbemarkt hinter den USA sein wird.

Li von Monarch hat ein Viertel seines Werbebudgets für die teuerste Sendezeit des chinesischen Fernsehens ausgegeben: 15 Sekunden nach der Wettervorhersage um 19.30 Uhr, die fünfmal wöchentlich nach den Nachrichten gesendet wird. Dieses Programm, offizielles Ventil für Regierungsnachrichten, muss von jedem staatlich unterstützten chinesischen Sender ausgestrahlt werden. Mit 194 Millionen Zuschauern ist die Wettervorhersage eine der am meisten gesehenen Fernsehsendungen der Welt.

Li sagt, er habe mehr gewonnen als nur eine lukrative Sendezeit. Die besten Bieter werden fotografiert und interviewt. „Der Wert dieser Veranstaltung ist nicht nur kommerzieller Art. Er hat einen Nachrichteneffekt und beeinflusst jeden“, sagt Li auf einer seiner Pressekonferenzen.

Andere chinesische staatlich geführte Medien halten die Bieter dagegen schlicht für verrückt. Die staatliche chinesische Tageszeitung, die getrennt vom Staatsfernsehen herausgegeben wird, warnte in einem Artikel, dass „die explodierenden Kosten in der Werbung Zweifel aufkommen lassen müssen, ob diese Unternehmen rational handeln“. Die Firmen „sollten ihr Augenmerk mehr auf die Qualität ihrer Produkte richten“.

Einige frühere Bieter haben in diesem Jahr bewusst auf eine Teilnahme verzichtet. „Ich habe einen Auktionsexperten konsultiert, und er hat mir geraten, keine zwanghaften Entscheidungen zu fällen und mich nicht durch den Applaus verleiten zu lassen“, sagte Su Muqing, Präsident der Guangzhou I-Stone Jewelry Co.

Auch viele multinationale Firmen haben das Ereignis, das sie nicht ganz begreifen können, lange gemieden. Nur wenige internationale Konzerne verfügen über ein so entwickeltes Vertriebsnetzwerk in China, dass sich eine Teilnahme an der Show gelohnt hätte. Aber in diesem Jahr wurde der US-Konzern Procter & Gamble „Bieterkönig“. Der Titel wird an denjenigen vergeben, der insgesamt am meisten ausgegeben hat – im Falle von P&G 46,5 Millionen US-Dollar. Das Staatsfernsehen lud den Mediendirektor von P&G, Lai Liangrui, einen Karaoke- Fan, ein, mit dem taiwanesischen Popstar Jiang Yuheng „Turning back once again“ zu singen. Ihre Darbietung im Rahmen der Feier nach der Auktion wurde landesweit übertragen. „Hunderte Millionen Menschen haben die Sendung angeschaut“, sagte Lai später. „Sie sehen, dass ich ein bisschen aufgeregt bin.“

Übersetzt und gekürzt von Tina Specht (MLPN), Svenja Weidenfeld (China), Matthias Petermann (Standort USA), Karen Wientgen (Jukos), Christian Frobenius (Frankreich).

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