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Je besser das Hotel, desto besser das Benehmen der Gäste? Keineswegs. Unanständiges Verhalten gegenüber weiblichem Personal ist keine Frage von Bildung, Erziehung oder Status. Die Gewerkschaft NGG beobachtet Übergriffe vom allem im Gaststätten- und Hotelgewerbe.

© Reuters

Sexismus-Debatte: Eine Frage der Macht

Fast jede zweite Frau in der EU berichtet über irgendeine Form von sexueller Belästigung. Was Gewerkschafterinnen über die Ursachen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sagen - und was Unternehmen dagegen tun.

Als Michaela Rosenberger in das Hotelzimmer kommt, steht der männliche Gast nackt vor ihr. „Das passiert ständig“, sagt Rosenberger, ausgebildete Hotelfachfrau und ehemals im Zimmerservice tätig. „Zimmermädchen werden häufig sexuell belästigt.“ Heute ist Rosenberger stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), die die Interessen der Beschäftigten in Hotels und Restaurants vertritt. „Es hat sich nicht viel geändert“, sagt Rosenberger auf Anfrage, „Anzüglichkeiten durch Gäste, Kollegen und Vorgesetzte gibt es immer noch jede Menge.“

Fast jede zweite Frau in der EU berichtet über „irgendeine Form von sexueller Belästigung“ oder von „unerwünschtem sexuellen Verhalten am Arbeitsplatz“, heißt es in einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo). Die Wirtschaftskrise habe in jüngster Zeit dieses Problem noch verschärft, glauben die Forscher, denn Frauen würden verstärkt schlechtbezahlte Jobs annehmen; dort seien Übergriffe häufiger. Und die Möglichkeit zur Gegenwehr eingeschränkt.

„Die Scham der Frauen ist unwahrscheinlich groß“, sagt Rosenberger. Viele schämten sich dafür, dass sie angemacht würden. Wehrten und beschwerten sie sich, liefen sie häufig auf: „Stell dich nicht so an“, sei dann von den männlichen Vorgesetzten zu hören. Zumal im Hotel- und Gaststättengewerbe, wo die Führungsebene fast ausschließlich von Männern besetzt ist; denn in dieser Branche seien Familie und Beruf kaum zu vereinbaren und deshalb Karrieren in der Regel den Männern vorbehalten. Vor allem junge Frauen machten oft „gute Miene zum bösen Spiel“, hat Rosenberger beobachtet, weil sie Angst um ihren Job hätten. Dass Vorgesetzte einmal einen Gast oder Kunden zurechtweisen oder gar rausschmeißen, weil der sich unanständig gegenüber einer Kellnerin oder Hotelangestellten benommen habe, komme so gut wie nicht vor. „Und dabei meine ich gute Hotels und gute Restaurants.“

„Sexuelle Belästigung gibt es überall, auf jedem Bildungsniveau“, sagt Karin Schwendler, Bereichsleiterin für Frauen und Gleichstellung bei Verdi. Ihrer Einschätzung nach „hat sich schon etwas getan in den vergangenen 20 Jahren, und zwar überall dort, wo es Gleichstellungsbeauftragte gibt“. Oder für diese Fälle fest installierte Anlaufstellen wie bei der Telekom. „Unter Wahrung absoluter Anonymität haben Betroffene verschiedene Möglichkeiten, Hinweise auf mögliches sexuell belästigendes Verhalten weiterzugeben“, heißt es bei dem Bonner Konzern. Solchen Beschwerden wird dann nachgegangen.

Besonders geschützt sind offenbar die Mitarbeiterinnen von Bayer. „Bayer duldet keine Diskriminierungen oder Belästigungen von Beschäftigten oder Dritten“, heißt es auf Anfrage. Entsprechende Fälle würden je nach Schwere mit einem Eintrag in die Personalakte, mit einer Abmahnung oder schließlich auch mit einer Kündigung geahndet.

Übergriffe gibt es immer dann, wenn es ein Machtgefälle gibt, meint Christiane Benner, im Vorstand der IG Metall für Gleichstellung zuständig. Wo es eine „strukturelle Gleichberechtigung“ gebe, also Frauen ebenso bezahlt würden wie Männer und Frauen ebenso stark in Führungspositionen anzutreffen seien, relativiere sich der Charakter der Belästigung. „Es ist schon etwas anderes, wenn das auf Augenhöhe stattfindet“, sagt  Benner auf Anfrage. Und die Männer also nicht mit dem Machtgefälle „spielen“ können. Von Quoten verspricht sich Vorstandsmitglied Benner mehr Präsenz und Einfluss der Frauen auf allen Ebenen und schließlich dann auch eine „Habitusveränderung“ bei den Männer. „Aber das dauert.“

Bei der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes, bei der Frauen sexuelle Belästigungen melden können, sind bislang wenige Beschwerden eingegangen. Seit 2006 waren es gerade einmal etwas mehr als 100 Fälle. „Die eher geringen Fallzahlen entsprechen aber nicht dem realen Ausmaß des Problems“, sagt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle. „Wir gehen von einer großen Zahl von Fällen aus, die nicht gemeldet werden.“ Viele Frauen würden sich nicht trauen, gegen Kollegen oder Kunden vorzugehen. „Die Dunkelziffer ist hoch“, betonte Lüders, „dafür spricht auch, dass kaum Fälle vor Gericht landen“.

Doch seit kurzem gibt es Bewegung: Angesichts der aktuellen Sexismus-Debatte verzeichnet die Antidiskriminierungsstelle seit der vergangenen Woche ein deutliches Plus bei den Meldungen derartiger Vorfälle.

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