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Schock für den Finanzmarkt. Die Atomkatastrophe in Fukushima löste im März 2011 ein Beben an der Börse aus. Die Energiebranche geriet weltweit in Turbulenzen. Foto: dpa

© dpa

Wirtschaft: Sicher ist nichts

Wie Sparer und Anleger ihr Geld in Zeiten großer Unsicherheit vermehren.

„Es sind nicht die Dinge, die du als gefährlich erkannt hast, die dich umbringen, sondern diejenigen, die du für sicher hältst.“ Was der Schriftsteller Mark Twain schon vor rund 150 Jahren erkannte, ist heute aktueller denn je. Denn drei Crashs in zehn Jahren, immer wildere Achterbahnfahrten in allen Anlageklassen, reale Minusverzinsung bei vielen Festgeldern und Sparbüchern, vor allem aber die Krise bei europäischen Staatsanleihen haben gezeigt: Alte ökonomische Regeln (etwa: bei fallenden Zinsen steigen die Aktienkurse) sind derzeit außer Kraft gesetzt.

Risiken verschieben sich, werden nicht als solche erkannt. Sie neutralisieren sich nicht, sondern potenzieren sich gegenseitig: Nicht nur Aktien, sondern auch Anleihen waren 2011 gleichzeitig in der Krise. Zudem häufen sich Extremereignisse wie zum Beispiel Kursstürze.

Große Geldhäuser reagieren auf die verschärften Marktbedingungen mit verbesserten Schutzmechanismen: Weil die Märkte immer globaler, schneller und komplexer geworden sind, weil Risiken immer öfter an unerwarteter Stelle auftreten, hat die Finanzwirtschaft ihr Risikomanagement aufgerüstet und ausgebaut.

Die Deutsche Bank etwa betreibt seit Mitte 2010 in Berlin ein eigenes Risikozentrum, das mit 300 Mathematikern, Physikern, Rating- und Finanzmarkt-Spezialisten die Alltagsrisiken der Bank-Aktivitäten überwachen, neue Gefahren rechtzeitig aufspüren und Methoden zur Begrenzung der Risikofolgen ausarbeiten soll. Auch die Allianz hat ihr Risikomanagement im „Risklab“ gebündelt. Dabei geht es weniger darum, Risiken am Horizont auszumachen. Denn Vorhersagen zu den Finanzmärkten, weiß Risklab-Chef Reinhold Hafner, seien nicht verlässlicher als konkrete Prognosen zum Wetter an einem bestimmten Tag in einer bestimmten Stadt. Vielmehr versuchen die Risikoforscher, durch Simulation verschiedener Szenarien Abwehrmaßnahmen zu entwickeln und damit negative Folgen für das Vermögen zu begrenzen.

Bieten komplizierte Rechenmodelle und ausgeklügelte Gegenstrategien den großen Investoren vielleicht einen gewissen Schutz, so steht der Privatanleger vor der Frage: Was kann ich tun, um an den Finanzmärkten nicht permanent Geld zu verlieren? Die überraschende Antwort der Wissenschaft: nichts anderes als bisher. „Die Finanzkrise hat uns gezeigt: Bei der Geldanlage gibt es nirgendwo absolute Sicherheit“, sagt Ursula Walther, Professorin für Financial Risk Management an der Frankfurt School of Management. Eine der bittersten Erkenntnisse sei es gewesen, zu erkennen, dass selbst der letzte Hort der Sicherheit, die Staatsanleihe, nicht risikofrei sei. Sogar Verluste mit deutschen Bonds seien inzwischen nicht mehr völlig undenkbar.

In der Tat: Zehnjährige Bundesanleihen werfen weiter weniger als zwei Prozent ab, der Anleger akzeptiert also nach Abzug der Inflation einen negativen Zins und verschenkt Geld. Für kürzere Laufzeiten gilt dies noch mehr. Doch selbst wenn die Flucht in deutsche Anleihen enden und die Preise korrigiert werden sollten, bedeutete dies nichts Gutes: Denn die Anleihekurse würden fallen, die alten Anleihen müssten unter Umständen bis zur Endfälligkeit gehalten werden, trotz der Mini-Zinsen. In jedem Fall würden dann reale Verluste entstehen.

Weil niemand die Zukunft kenne, gehe der das größte Risiko ein, der sich auf Vorhersagen verlasse oder einseitig alles in einen Korb lege, warnt Walther. Dabei brauche der Anleger auch kein ausgeklügeltes Verteilungssystem, um sein Risiko niedrig zu halten. „Keep it simple“ , also ganz elementares Diversifizieren, sei auch in schwerem Gewässer am ehesten erfolgreich: ein Drittel Aktien, ein Drittel Anleihen, dazu Rohstoffe, Bares, Währungen. Die genaue Aufteilung müsse jeder mit sich selbst ausmachen, sie sei auch davon abhängig, wann das Geld wieder zur Verfügung stehen müsse. Walther rät außerdem: „Ruhe im Portfolio, Gelassenheit und eine gesunde Portion Misstrauen gegenüber dem Anlageberater.“ Denn anders als vielfach behauptet, sei der Faktor Timing völlig irrelevant. Die Strategie von Börsenaltmeister André Kostolany (Kaufen und lange liegen lassen) sei zwar von vielen schon für tot erklärt worden, behalte dennoch langfristig unverändert ihre Gültigkeit – „auch wenn die Finanzindustrie eher vom häufigem Umschichten profitiert“.

Auch für Finanzwissenschaftler Martin Weber, Professor an der Universität Mannheim, ist weder taktisches noch technisches Handeln der Königsweg, der Risikoschutz und Rendite sinnvoll verbindet. Ob der Anleger nach günstigen Papieren oder sinnvollen Ein- und Ausstiegszeitpunkten fahndet, ob er Charts durchforstet oder auf Ratschläge der Bank hört: Es bringe ihm nichts, es sei denn zufällig. Denn niemand weiß heute, welche Anlageklasse oder welche Branche künftig die größten Risiken in sich birgt oder welche Trends wann kippen. Strategien könnten aufgehen, manchmal eben aber auch nicht.

Weber hat die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Sachen Risikoabwehr und Rendite in einem Fonds umgesetzt, dem Arero, den die Fondstochter der Deutschen Bank, der DWS, verwaltet. Beworben wird er nicht, denn die Kosten von 0,5 Prozent pro Jahr gestatten dies nicht. Der Fonds setzt passiv auf Aktien weltweit, europäische Staatsanleihen und Rohstoffe. Die Aufteilung auf die drei Anlageklassen wird von Zeit zu Zeit neu ausbalanciert, so dass bei Kursrückgängen einer Anlageklasse gekauft, bei Kurszuwächsen verkauft wird, womit eine antizyklische Komponente ins Spiel kommt. Seit seiner Auflegung vor drei Jahren hat das Papier ein Plus von 28,4 Prozent eingefahren.

Alle Risikoforscher müssen einräumen: Der Traum von 60 bis 80 Prozent der Deutschen, ihr Geld risikolos oder zumindest risikoarm anzulegen, ist nicht erfüllbar. „Auch das Diversifizieren kann schief gehen, absolute Sicherheit gibt es einfach nicht“, sagt Ursula Walther. Zwar bewahre eine breite Streuung ein Depot in 90 bis 95 Prozent der Fälle vor Unbill, sagt Risklab-Chef Hafner. Doch ein Risiko, das stets auftreten kann, sei ein „schwarzer Schwan“, also ein unerwartetes, bis dahin undenkbares und urplötzlich kommendes Negativereignis mit massiven systemischen Wirkungen.

Dagegen ist jedes Risikomanagement im Vorfeld machtlos. So lag etwa das Risiko, dass der Dow Jones 1987 an einem Tag um 30 Prozent einknickt, bei eins zu zehn hoch 50, war also extrem unwahrscheinlich. Dennoch geschah es. Doch selbst hier zeigt der Rückblick: Man hätte mit dem Verkauf aller Aktien reagieren können – oder mit sturem Halten. 15 Monate später hatte der Index die herben Verluste wieder eingespielt. Heute, 24 Jahre später, notiert er 800 Prozent höher.

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