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Burkard Ischler

© Uwe Steinert

Siemens: "Die Auftragsbücher sind voll"

Der neue Berliner Siemens-Chef Burkhard Ischler spricht im Interview über die Hauptstadt und ihre Perspektiven als Industriestandort.

Herr Ischler, was treibt Sie von München nach Berlin?

Ich habe meine alte Aufgabe zehn Jahre lang gemacht. Es war Zeit, auch mal etwas anderes zu machen. Und in Berlin konnte ich eine neue Herausforderung angehen.

Ist es nicht eine der spannendsten Aufgaben, die man sich vorstellen kann, für Fusionen und Übernahmen in der Siemens-Zentrale zuständig zu sein?

Sie haben völlig recht: eine der spannendsten Aufgaben. Aber Berlin ist auch eine überaus spannende Aufgabe. Siemens ist der größte industrielle Arbeitgeber in Berlin, Berlin ist der größte Fertigungsstandort von Siemens weltweit.

Was haben Sie sich für die ersten 100 Tage vorgenommen?

Ich will die Verhältnisse vor Ort kennen- lernen. Dafür rede ich mit möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen. Ich bin kein gelernter Berliner, aber das will ich werden. Darüber hinaus habe ich auch noch ein Team in München, da ich neben Berlin auch die Beziehungen von Siemens zu Regierungen weltweit verantworte.

Was ist das Potenzial von Berlin?

Berlin hat in den 90er Jahren einen drastischen Wandel erlebt. Früher hat der Standort viele ungelernte Arbeiter beschäftigt, heute sind es vor allem Fachkräfte, Spezialisten und Ingenieure. Hinzu kommt aber, dass wir uns künftig auf die drei Sektoren Energie, Gesundheit und Industrie konzentrieren und da Wachstumsmärkte bedienen. Das nützt auch Berlin. Wir stellen zum Beispiel hier Walzwerksmotoren und Gasturbinen her, die sehr interessante Wachstumsraten erzielen.

Was bedeutet das für die Arbeitsplätze?

In Berlin haben wir derzeit 12 500 Arbeitsplätze, und zwar ohne Beteiligungen wie Nokia-Siemens-Networks oder Bosch-Siemens-Hausgeräte, die insgesamt auf weitere 2500 Stellen kommen. Im vergangenen Geschäftsjahr – das am 30. September endete – haben wir 700 Arbeitsplätze geschaffen, in den ersten fünf Monaten des neuen Geschäftsjahres 200 weitere. So wird es hoffentlich weitergehen. Wir sind da auf gutem Weg.

Können Sie genauer werden? Wie sieht es in diesem und im nächsten Jahr aus?

Im Moment sind die Auftragsbücher voll. Die Fertigung ist voll ausgelastet, so dass wir sicher noch weitere Arbeitsplätze schaffen können. Für Aussagen über 2009 ist es noch zu früh. Ob wir weiter so wachsen können, hängt auch von der konjunkturellen Entwicklung in den USA ab.

Per Saldo schafft Siemens neue Arbeitsplätze, haben Sie gesagt. Gibt es aber auch Bereiche, in denen Sie Arbeitsplätze abbauen?

Bei Siemens Enterprise Networks ist das der Fall, betrifft aber Berlin und die neuen Bundesländer mit insgesamt bis zu 80 Mitarbeitern eher am Rande. Wir wollen natürlich versuchen, diese Mitarbeiter auf unsere offenen Stellen zu bringen. Dann gibt es den Bereich Siemens Wireless Modules, den wir gerade verkauft haben. Da ist uns um das Geschäft nicht bang, das wollen wir nur bei Siemens nicht weiter betreiben. Davon sind etwa170 Mitarbeiter in Berlin betroffen.

Sie sprachen den Fachkräftemangel an. Was muss passieren?

Das Stichwort ist: Bildung, Bildung, Bildung. Wir spüren ja die Qualität der Schulen bei einigen Bewerbern um unsere Ausbildungsplätze. Ich will es vorsichtig ausdrücken: Dem Standort täte es gut, wenn möglichst viele junge Menschen ausbildungsfähig sind und sich dann auch noch für technische Berufe begeistern und entscheiden.

Was sind die Schwerpunkte in Sachen Regierungsbeziehungen?

Wir sind eine Art verlängerter Arm des operativen Geschäfts. Wir leisten Hilfestellungen.

Was bedeutet das? Besprechen Sie hier in Berlin zum Beispiel auch eine mögliche Renaissance des Kernkraftwerksbaus?

Für diese Technologie gibt es in Deutschland eine ganz klare Sachlage. Rot-Grün hat den Atomausstieg beschlossen, der heute noch gilt. Wir als Lieferant von Technologien im Bereich Energie und Klimaschutz haben eine Klaviatur, auf der wir spielen können. Wir können Energieerzeugung mit Wind, Sonne, Wasser und über unsere gemeinsame Tochter mit Areva natürlich auch mit Nukleartechnologie anbieten. Wir sind da nicht fokussiert auf nur eine Richtung.

Das heißt, die Stimmen aus der Union, die den Atomausstieg infrage stellen, machen Ihnen nicht Hoffnung?

Angesichts der Gesetzeslage halten wir es für spekulativ, über dieses Thema jetzt nachzudenken. Wir arbeiten engagiert mit Areva zusammen. Was Deutschland angeht, müssen wir die Lösungen anbieten, die hier nachgefragt werden.

Anderes Beispiel: Die Deutsche Bahn denkt darüber nach, die nächsten ICE- Züge in Frankreich zu bestellen - was können Sie dagegen in Berlin unternehmen?

Ich glaube, das ist ganz normaler Wettbewerb, wenn sich die Bahn mit Lieferanten unterhält. Das passiert in Deutschland und passiert in Frankreich.

Sie sehen die Bundesregierung als Eigentümerin der Bahn nicht in der Pflicht, etwas für den Standort zu tun?

Was die Bundesregierung als Eigentümerin der Bahn macht, möchte ich nicht bewerten. Würde jeder nur bei einheimischen Herstellern bestellen, könnte auch Siemens nicht mehr als 80 Prozent seines Geschäftes im Ausland tätigen. Wenn ich als Lieferant auf das Thema schaue, kann ich nur sagen: Wir bewegen uns permanent im Wettbewerb. Wir in Europa sollten den eingeschlagenen Weg der Deregulierung nicht verlassen. Wettbewerb in der Marktwirtschaft ist tendenziell wohlstandsfördernd. Zum Beispiel in Berlin: Natürlich war der Anpassungsprozess in den 90er Jahren schmerzlich. Aber jetzt haben wir eine sehr gute Basis – dank des globalen Wettbewerbs, in dem wir uns behauptet haben. Wir haben in Berlin eine Exportquote von 80 bis 90 Prozent. Wenn wir anfingen, unsere Märkte dicht zu machen, täten wir uns damit gerade in Berlin langfristig keinen Gefallen.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

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