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Brigitte Ederer lehnt eine Frauenquote für Top-Positionen ab, weil sie jungen Frauen nicht hilft.

© Kai-Uwe Heinrich

Siemens-Peronalvorstand im Interview: „Wir dürfen unser Know-how nicht verlieren“

Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland setzt Siemens-Personalvorstand Brigitte Ederer unter anderem auf ältere Arbeitnehmer. Auch mehr Familienfreundlichkeit ist ein wichtiges Ziel.

Frau Ederer, Siemens zählt 2600 offene Stellen in Deutschland. Ist Ihr Unternehmen als Arbeitgeber nicht attraktiv genug?

Doch, sehr sogar. Die Zahl wirkt dramatischer als sie ist. Ein großes Unternehmen wie Siemens hat immer eine gewisse Zahl offener Stellen allein dadurch, dass Mitarbeiter in Rente gehen oder den Arbeitgeber wechseln. Allein für unsere gut 2000 Ausbildungsstellen haben wir etwa 40 000 Bewerbungen pro Jahr, insgesamt sind es gut 130 000 Bewerbungen. Unser Problem ist eher, dass wir Qualifikationen suchen, die am Markt nicht immer gleich verfügbar sind.

Die demografische Entwicklung verstärkt das Problem. Was tun Sie dagegen?

Wir müssen aufpassen, dass wir das Know-how, das wir im Unternehmen haben, nicht verlieren. Das ist eine wirkliche Herausforderung für die kommenden Jahre. Wir müssen schauen, dass ältere Menschen länger in Beschäftigung bei uns bleiben und dass sie Ihr Wissen an die jüngeren weitergeben.

Wie wollen Sie das sicherstellen?

Die Weitergabe passiert bei der Arbeit, bei gemeinsamen Projekten. Die Führungskräfte müssen das Thema bewusster im Auge haben, als das in der Vergangenheit der Fall war. Welche Schwierigkeiten es etwa bei Großprojekten wie einem Kraftwerksbau geben kann, lernt man am besten, wenn man es miterlebt.

Gibt es keine konkreten Maßnahmen, um dem demografischen Wandel zu begegnen?

Da gibt es vor allem drei Ansatzpunkte: Einmal geht es eben darum, ältere Arbeitnehmer verstärkt im Unternehmen zu halten. Der zweite ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein Schwerpunkt liegt hier auf der Betreuung von Kindern, aber auch auf der Pflege von älteren Familienangehörigen. Wir wollen unsere Mitarbeiter dabei unterstützen, sie sollen den Kopf für den Beruf frei haben. Und drittens bilden wir natürlich selber aus. Die eigene Ausbildung ist der beste Garant für qualifizierte Mitarbeiter. Insgesamt bilden wir derzeit rund 10 000 junge Leute aus – davon 7000 für uns selber und etwa 3000 für andere Firmen.

Weibliche Nachwuchskräfte fehlen Ihnen.

Gerade in den technischen Berufen hätten wir gerne mehr. Wir haben in den Führungspositionen im Unternehmen einen Frauenanteil von zehn Prozent. Bei den jüngeren liegt der Anteil sogar bei bis zu 30 Prozent. Das heißt aber, dass wir die Frauen irgendwann verlieren, so im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, wenn es um die Kindererziehung geht. Wir müssen also für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit sorgen. Zugleich bauen wir die Kinderbetreuung aus. Wir haben uns bis zum Jahr 2015 vorgenommen, die zur Verfügung stehenden Plätze in Deutschland von zuletzt 800 auf 2000 auszubauen.

Ist das alles in Sachen Frauenförderung?

Nein, wir fangen schon sehr früh an. Beim Girls’ Day versuchen wir, den Schülerinnen zu zeigen, dass Technik nicht heißt, sich täglich schmutzig zu machen. Und man muss auch keine körperlichen Kräfte haben wie ein kleiner Kran. In Berlin gibt es außerdem das Projekt Vitamint, wo wir versuchen, junge Frauen für technische Berufe zu begeistern und sie zu fördern. Und Studentinnen bieten wir das Yolante genannte Mentorenprogramm. So hoffen wir, die jungen Frauen für uns zu gewinnen.

Vorstand und Aufsichtsrat von Siemens haben – auch auf Drängen der Politik – beschlossen, die Zahl junger Frauen in Führungspositionen bis zum Jahr 2015 um rund 500 zu steigern. Kommen Sie voran?

Im Moment kann ich sagen, dass wir gut im Rennen liegen und unser Etappenziel erfüllt haben. Aber wir dürfen jetzt nicht an Elan verlieren. Wir müssen weiter daran arbeiten, Frauen das Zurückkommen nach der Babypause zu erleichtern. Manchmal sind es banale Dinge, auf die man achten muss – etwa, dass Vorgesetzte eine Sitzung nicht für 18 Uhr ansetzen.

An den heilsamen Druck durch eine gesetzliche Quote glauben Sie nicht?

Wir haben jetzt einen klaren Vorstands- und Aufsichtsratsbeschluss. Diese Ziele gelten also! Im Übrigen denke ich, dass eine starre Quote für die Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen vor allem jüngeren Frauen zunächst einmal nichts nützt.

"Ich glaube, dass Ausbildung immer vor Übernahme gehen muss."

"Wir übernehmen bereits rund 85 Prozent der jungen Leute, die wir ausbilden", sagt Siemens-Personalvorstand Brigitte Ederer.
"Wir übernehmen bereits rund 85 Prozent der jungen Leute, die wir ausbilden", sagt Siemens-Personalvorstand Brigitte Ederer.

© Kai-Uwe Heinrich

Sie haben erwähnt, wie wichtig es ist, selbst auszubilden. Wie finden Sie die Tarifforderung der IG Metall, die Übernahme von Azubis zur Pflicht zu machen?

Wir übernehmen bereits rund 85 Prozent der jungen Leute, die wir ausbilden. Der Rest geht zu anderen Unternehmen oder hat eine andere Lebensplanung, zum Beispiel eine weiterführende Ausbildung. Nur sehr wenige gehen leer aus. Uns trifft die Forderung der IG Metall also nicht. Man darf aber nicht vergessen, dass es in Deutschland nicht nur Großunternehmen gibt. Ich befürchte, dass Mittelständler, die zur Übernahme verpflichtet werden, sich entscheiden, lieber weniger junge Menschen auszubilden.

Die Forderung der IG Metall halten Sie also für kontraproduktiv?

Ich glaube, dass Ausbildung immer vor Übernahme gehen muss. Wenn man in jungen Jahren eine solide Ausbildung bekommt und einen strukturierten Lebensablauf hat, dann ist man gut gerüstet.

Was tun Sie, damit ältere Mitarbeiter länger im Unternehmen bleiben?

Wir investieren zum Beispiel in die Weiterbildung. Von den insgesamt 280 Millionen Euro, die wir jährlich für Aus- und Weiterbildung in Deutschland ausgeben, sind rund 100 Millionen für die Weiterbildung. Das tun wir, um unsere Beschäftigten auf dem Stand des Wissens zu halten.

Bei der Anbindung der Windparks in der Nordsee ans Stromnetz fehlte es offenbar an der Qualifikation der Mitarbeiter. Sie mussten 500 Millionen Euro abschreiben.

Nein, an der Qualifikation unserer Mitarbeiter hat es nicht gefehlt. Aber wir haben unterschätzt, wie komplex die Probleme sind. Wir hatten zuvor keine Erfahrung mit Plattformen auf hoher See gemacht. Es geht um Plattformen, die fünfmal weiter vom Festland entfernt sind, doppelt so leistungsfähig und fünfmal so schwer wie die bisher vor den Küsten von Großbritannien errichteten Plattformen. Aber wir sind ein Unternehmen, das Pionierarbeit leistet, und Unternehmertum hat immer etwas mit Risiko zu tun.

Mussten Sie dann gleich so viele Aufträge annehmen?

Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber ich muss unsere Leute in Schutz nehmen. Wir wollen Weltmarktführer bei grüner Umwelttechnik sein. Jetzt stellen Sie sich vor, wir hätten nur einen Auftrag bekommen und unsere Wettbewerber vier oder fünf. Ganz ehrlich: Da hätten Sie sicher als Erstes gefragt, warum wir das alles der Konkurrenz überlassen.

Wie hart ist der Konkurrenzkampf der Konzerne um den besten Nachwuchs?

Nicht alle Dax-Unternehmen haben einen so starken Akzent auf technischen Berufen wie wir. Aber einen gewissen Wettbewerb um kluge Köpfe gibt es natürlich.

"Der Preis für die Karriere ist, dass ich keine Kinder habe."

Brigitte Ederer ist Personalvorstand von mehr als 360.000 Mitarbeitern weltweit.
Brigitte Ederer ist Personalvorstand von mehr als 360.000 Mitarbeitern weltweit.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Autokonzerne haben ihren Mitarbeitern hohe Prämien gezahlt. Siemens nicht.

Wir zahlen weniger spektakuläre Prämien, sondern setzen auf viele andere Leistungen, von Mitarbeiteraktienprogramm bis Betriebsrente. Im vergangenen Jahr haben wir allein in Deutschland 787 Millionen Euro an freiwilligen Leistungen an unsere Mitarbeiter gezahlt.

Berlin ist der größte Produktionsstandort von Siemens weltweit. Wie sehen die Zukunftschancen des Standorts im internationalen Wettbewerb aus?

Die Produktion in Europa ist wichtig. Wir haben 40 Prozent unserer Forschungs- und Entwicklungsmitarbeiter in Deutschland – rund 1400 davon übrigens in Berlin. Um deren Ergebnisse erfolgreich umzusetzen, brauchen wir eine enge Verbindung zur Produktion. Natürlich gibt es einen internationalen Wettbewerb. Da kann man nicht sagen, alles ist sicher. Aber wir haben in Deutschland und auch in Berlin große Vorteile in der Produktivität. Und dass wir an den Standort glauben, zeigen wir ja mit unseren Investitionen, etwa den 100 Millionen Euro für das Schaltwerk oder den rund 66 Millionen Euro für das neue Gasturbinen-Testzentrum in Ludwigsfelde.

Welche Faktoren haben Ihnen Ihre Karriere ermöglicht?

Glück, Zufall, hohes Engagement und Bereitschaft zur zeitlichen Verfügbarkeit. Der Preis dafür ist, dass ich keine Kinder habe.

Haben Sie erreicht, was Sie sich vorgenommen haben?

Ich habe in meinem ganzen Leben nie eine Position geplant.

Haben Sie ein Vorbild im Beruf?

Ich habe mir immer bei meinen jeweiligen Chefs Dinge abgeschaut, die ich bewundernswert fand. Ich habe zum Beispiel sehr eng mit dem früheren österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky zusammengearbeitet. Ich konnte immer kaum glauben, wie unaufgeregt er war, wenn ich das Gefühl hatte, die Welt stürzt gleich ein. Diese Ruhe fehlt mir.

Und Ihre Stärke?

Ich glaube, ich kann gut auf Leute zugehen und mit ihnen reden – egal in welcher Position sie sind.

Brigitte Ederer stammt aus Wien. In Österreich machte sie zunächst als Politikerin Karriere, bevor sie 2001 zu Siemens kam.
Brigitte Ederer stammt aus Wien. In Österreich machte sie zunächst als Politikerin Karriere, bevor sie 2001 zu Siemens kam.

© Kai-Uwe Heinrich

ZUR PERSON

Die Politikerin

Brigitte Ederer (56) in Wien geboren, wuchs im Arbeiterviertel Floridsdorf auf. Bereits 1970 war sie in der sozialistischen Jugend aktiv, 1983 zog sie für die sozialdemokratische SPÖ ins österreichische Parlament ein. Viele Jahre beriet die „Rote Gitte“ den österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky. Als Staatssekretärin gelang es ihr, die skeptische Bevölkerung vom EU-Beitritt zu überzeugen.

Die Managerin

Als Stadträtin in Wien (ab 1997) war sie unter anderem für die Stadtwerke zuständig. Mit den Straßenbahnen, die Siemens an die Stadt lieferte, war sie nicht zufrieden. Ihr Verhandlungsgeschick jedoch beeindruckte die Siemens-Manager. 2001 wechselte Ederer von der Politik in den Vorstand von Siemens Österreich. Ende 2005 übernahm sie den Vorsitz. Im Juli 2010 ging Ederer nach München und übernahm im Konzernvorstand die weltweite Verantwortung für das Personal.

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