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Siemens-Personalvorstand Russwurm: "Wir brauchen tolle Typen"

Siemens-Personalvorstand Russwurm spricht mit dem Tagesspiegel über Ausbildung, Kurzarbeit und Krise.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist im März drastisch gestiegen. Sind die jungen Menschen die Verlierer der Krise?



Die Verlierer der Krise sind alle, die ihre Arbeit verlieren. Das hängt nicht vom Alter ab. Die schlechtesten Chancen haben Jugendliche, die im Bewerbungsgespräch kein perfektes Bild abgeben und die an der einen oder anderen Stelle ein Defizit haben. Vielleicht weil ihnen zu spät eingefallen ist, etwas für die Schule zu tun, oder weil sie zum Beispiel einen schwierigen Migrationshintergrund haben.

Was können Sie mit denen anfangen?


Wir haben die Erfahrung gemacht, dass da durchaus tolle Typen dabei sind. Die brauchen wir, deswegen wollen wir ihnen auch helfen. Häufig fallen sie den Beratern in den Arbeitsagenturen auf und werden zu uns geschickt. Aus diesen Jugendlichen kann man mit einer qualifizierten Ausbildung klasse Mitarbeiter machen.

Was zeichnet denn tolle Typen aus?


Persönlichkeit. Wenn junge Menschen motiviert sind und gut zu uns passen, dann soll es nicht allein an den Schulnoten scheitern. Dann unterstützen wir sie in der Ausbildung.

Wie denn?

Wir legen jetzt zum zweiten Mal ein Programm auf, in dem wir 250 benachteiligten Jugendlichen mit unterdurchschnittlichen Schulleistungen eine Chance geben, davon rund 40 in Berlin. Sozialpädagogen begleiten das Programm, und die Ausbilder werden auf die speziellen Bedürfnisse dieser Kandidaten vorbereitet. Manchmal geht es nur darum, Pünktlichkeit und andere Sekundärtugenden zu entwickeln. Jemand anders braucht Nachhilfe in Mathe. Wir fördern diese Jugendlichen ganz individuell.

Im Geschäftsjahr 2008 haben Sie das Programm mit ebenfalls 250 Jugendlichen gestartet. Haben sie durchgehalten?


Es gibt kaum Abbrecher. Das wäre ja auch ein schlechtes Zeugnis für die Ausbilder.

Auch bei Siemens kommt die Krise an. Wie muss Personalpolitik jetzt aussehen?


Personalpolitik - vor allem bei der Ausbildung - ist eine Investition in die Zukunft. Da orientieren wir uns nicht an Konjunkturschwankungen. Wenn jemand 20, 30 Jahre für uns arbeitet, können wir uns in der Ausbildung nicht von kurzfristigen Indikatoren leiten lassen.

Ihr Vorstandskollege Joe Kaeser sagt, die Krise dauere eher noch zwei Jahre als nur zwei Quartale.


Eine gewerbliche Ausbildung dauert drei Jahre, ein Ingenieurstudium vier bis fünf, plus Einarbeitungszeit. Wir reden bei Ausbildung und Qualifizierung also über mittelfristige Schritte, die uns langfristig helfen. Niemand kann vorhersehen, wie lange die Krise dauert. Aber ich bin sicher, dass uns der demographische Wandel Jahrzehnte beschäftigen wird, nicht nur Monate oder Jahre. Als es Technologiefirmen Ende der 90er Jahre nicht so gut ging, haben viele Unternehmen weniger Hochschulabsolventen eingestellt. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen.

Was heißt das?


Wir werden trotz der aktuell schwachen Konjunkturlage bei Ausbildung und Qualifikation nicht sparen, da ist sich unser Vorstand einig. Das gilt für die Hochschulen genauso wie für die Berufsausbildung. Wir bilden bei Siemens rund 10 000 Jugendliche aus, davon ein Drittel für externe Partner. Als einer der größten deutschen Ausbildungsbetriebe geben wir dafür ungefähr 150 Millionen Euro im Jahr aus.

Wie sieht das in Berlin aus?

Da gilt das Gleiche: An Ausbildung und Qualifikation wird nicht gespart. Berlin ist mit 1100 Azubis und Studenten der größte Ausbildungsstandort von Siemens in ganz Deutschland. 430 junge Menschen bilden wir hier für externe Partner aus.

Trotzdem spürt auch Siemens die Krise. Betriebsbedingte Kündigungen haben Sie für 2009 ausgeschlossen. Aber wie stark wird die Kurzarbeit ansteigen?


Kurzarbeit ist ein gutes Mittel, um Arbeitsplätze zu erhalten und mit Auslastungsschwankungen umzugehen. In unseren knapp 100 Betriebseinheiten in Deutschland entscheiden die jeweilige Standortleitung und der jeweilige Betriebsrat partnerschaftlich und eigenständig, wie viel Kurzarbeit sie angesichts der Auftragslage für erforderlich halten. Derzeit haben wir rund 7400 Beschäftigte in Kurzarbeit. Es lässt sich nur schwer vorhersagen, wie sich das entwickelt. Die Instrumente, die für die Mitarbeiter keine Einkommenseinbußen haben, sind langsam ausgereizt, etwa der Abbau von Überstunden oder Gleitzeit.

Sie haben jüngst gesagt, eine Ausweitung der Kurzarbeit auf rund 14 000 Beschäftigte würde Sie nicht wundern. Bisher sind vor allem die Antriebstechnik und Automatisierung sowie die Lichttechnik-Tochter Osram betroffen. Sehen Sie weitere Bereiche, auf die Kurzarbeit zukommt?

Das ist derzeit der Schwerpunkt.

Wie entwickelt sich die Mitarbeiterzahl im Inland? Sinkt sie angesichts der Krise?


Ich habe gerade die Meldung bekommen, dass wir Ende März 1500 offene Stellen in Deutschland haben. Im vergangenen Jahr haben wir in Deutschland unterm Strich 5000 Arbeitsplätze aufgebaut. In diesem Jahr werden wir wohl nicht ganz so viele neue Stellen schaffen wie in den vergangenen Jahren und auch die Fluktuation nutzen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass es bei uns strukturelle Verwerfungen geben wird.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

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