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Joe Kaeser reckt bei einer Rede den Daumen in die Höhe.

© dpa

Siemens plant Angebot für Alstom: Joe Kaeser wagt etwas

Der Siemens-Chef legt seinem Aufsichtsrat an diesem Sonntag ein Angebot für Alstom vor – mit weit reichenden Folgen für den Konzern.

Wie wichtig eine Sitzung wird, können Mitglieder eines Aufsichtsrats meist zuverlässig anhand der Unterlagen feststellen, die ihnen der Vorsitzende zuvor schicken lässt. Bei Angelegenheiten von geringer bis mittlerer Wichtigkeit bringen Boten meist dicke Ordner voller Zahlen und Schaubilder. Stehen aber hochgradig sensible Dinge auf der Tagesordnung, bekommen die Aufsichtsräte – nichts. Eine freundliche Einladung muss reichen, Details gibt es als Tischvorlage.

So ist es auch bei den Kontrolleuren von Siemens, die sich an diesem Sonntag um 18 Uhr in der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München einfinden sollen. Sie müssen über ein Übernahmeangebot für den französischen Rivalen Alstom entscheiden – mit ihm wollen die Münchener den US-Konkurrenten General Electric aus dem Feld schlagen, der es ebenfalls auf Alstom abgesehen hat. Das Projekt dürfte Siemens in den kommenden Jahren entscheidend verändern. Zum Guten – daran glauben Vorstandschef Joe Kaeser, 56, und sein Ober-Aufseher Gerhard Cromme, 71. Zum Schlechten – die Befürchtung hegen Investoren, aber auch viele der gut 360 000 Beschäftigten.

Dass Siemens am Montag ein Angebot vorlegen wird, ist mittlerweile klar. Über Wochen haben die Fachleute daran gearbeitet und die Alstom-Bücher geprüft. Es gehe um eine komplexe Allianz, sagte Cromme dieser Tage in einem Interview. Und die Offerte wird, so ist zu hören, nicht nur ein Feigenblatt sein, um den Preis in die Höhe zu treiben. „So ein Angebot muss besser sein als das von GE, sonst kann das kein Verwaltungsrat der Welt annehmen“, raunt ein Manager. In Summe wird Siemens also mehr bieten als die 12,35 Milliarden Euro, die GE aufruft.

Zudem bringt der Konzern Partner mit – Mitsubishi Heavy Industries, aber auch Hitachi. Die Idee dahinter: Mit mehreren Gemeinschaftsunternehmen wollen Kaeser und Co. zum einen mögliche Bedenken der Wettbewerbshüter entkräften, wenn mehrere Große des Energiegeschäftes zusammengehen. Zum anderen wäre dies ein Signal, dass Alstom nicht filetiert wird, um die Franzosen nicht in ihrem Stolz zu treffen. Siemens ist interessiert am Geschäft mit den Gasturbinen und mit der Energieverteilung, die Japaner schielen auf die Dampfturbinen etwa für Kohleraftwerke. Im Gegenzug will Siemens den Franzosen seine Bahn-Sparte überlassen, um ein starkes europäisches Zug-Unternehmen zu schmieden, das der Konkurrenz aus Asien Paroli bieten kann.

Siemens muss die französische Politik überzeugen

Kaeser und Cromme müssen mit ihrer Offerte vor allem die französische Politik überzeugen, die sich ein Vetorecht ausbedungen hat. Dabei bemühen die Manager sogar die Geopolitik: Es dürfe nicht sein, dass die Europäer Wissen über die Energieverwertung an Amerikaner wie GE abgeben – wo die doch schon bei der Fördertechnik für Öl und Gas weit vorne liegen. Ohnehin, heißt es weiter, sei GE mit Vorsicht zu genießen – dem Konzern gehe es vor allem darum, seine vielen im Ausland geparkten Milliarden anzulegen, um sie nicht in den USA versteuern zu müssen.

Ob dies bei der französischen Regierung verfängt, wird sich in den kommenden Tagen entscheiden. Vor allem Cromme gilt als gut vernetzt in Frankreich, er war lange Zeit Manager beim Mischkonzern Saint Gobain. Man bevorzuge in Paris stets eher europäische Lösungen, sagt ein Vertrauter von Präsident François Hollande. In Berlin ist Ähnliches zu hören.

Doch auch GE buhlt geschickt um die Gunst der französischen Regierung: Wie Siemens wollen die Amerikaner Alstom möglichst nicht zerschlagen. Viele Entscheidungszentren, etwa für die Nuklearsparte und die Gesundheitstechnik, sollen im Land bleiben. Ohnehin hat sich Alstom-Chef Patrick Kron längst auf die Seite von GE gestellt. Hinzu kommen die 1000 neuen Stellen, die GE in Frankreich zu schaffen versprochen hat. Siemens konnte sich bislang nur zu einer dreijährigen Jobgarantie durchringen.

Gegen Kaesers Strategie gibt es Bedenken

Kommt Siemens dennoch zum Zuge, wäre dies ein erster großer Coup für Kaeser – er hätte dem Dauer-Rivalen GE endlich einmal Paroli geboten, zumal vor der eigenen Haustür, und er würde im Konzern so etwas wie Aufbruchstimmung auslösen. Doch es gibt auch eine Reihe von Bedenken gegen das Vorhaben. Beispielsweise von der Fondsgesellschaft Union Investment, die etwa ein Prozent der Siemens-Aktien besitzt. „Wir als Investoren würden ein weiteres Siemens-Engagement im Kraftwerksbereich ungern sehen“, sagte Portfoliomanager Christoph Niesel dem Tagesspiegel. In dem Geschäft würden die Renditen künftig eher zurückgehen. Ohnehin dürfte es Siemens am Ende schwerfallen, beim Preis mit den Amerikanern mitzuziehen. „Ob die zwei oder drei Milliarden mehr zahlen müssen, macht ihnen am Ende nicht viel aus“, gibt Niesel zu bedenken. „Siemens hingegen kann sein Geld deutlich besser anlegen als bei Alstom.“

Vor allem aber hat Siemens derzeit viel mit sich selbst zu tun – das ist der womöglich gewichtigste Einwand. „Eine Alstom-Übernahme würde für lange Zeit Management-Kapazitäten binden, es geht um eine Mammut-Aufgabe“, warnt Niesel. Und das in einer Phase, in der Kaeser den Konzern wieder einmal grundlegend neu aufstellen will. Eine Milliarde Euro wolle er bis 2016/17 einsparen und die vier Großsektoren – Industrie, Energietechnik, Medizin sowie Infrastruktur und Städte – wieder auflösen, ebenso die Regionalorganisation. Fast 12 000 Stellen könnten davon betroffen sein. Die Arbeitnehmer sind elektrisiert – und warnen ebenfalls das Management davor, zu viel auf einmal zu wollen. „Es besteht die Sorge, dass Siemens sich übernimmt“, sagte ein Mitglied des Aufsichtsrats von der Arbeitnehmerseite. Sowohl die Münchener als auch GE müssten bei Alstom vieles verändern – geräusch- und kostenlos dürfte dies kaum über die Bühne gehen. Dabei gibt es im Siemens-Reich genügend Baustellen – Sparten, bei denen die Rendite nicht stimmt oder das Angebot.

Die Franzosen wollen ihre Industrie schützen

Womöglich kommt am Ende noch eine dritte Variante ins Spiel: Wenn sich Paris für keines der beiden Offerten begeistern kann, schmiedet es eben eine französische Lösung für Alstom mit einer Beteiligung des Staates. Ein ähnliches Modell hat schließlich schon einmal funktioniert. Und die Siemens-Aufsichtsräte könnten sich bei ihren nächsten Treffen wieder anderen wichtigen Problemen widmen. Daran mangelt es schließlich nicht.

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