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Er war zu den Hochzeiten der Korruption bei Siemens der Vorstandschef, und will doch von den Machenschaften seiner Leute nichts gewusst haben: Heinrich von Pierer.

© picture-alliance/ dpa

Siemens-Schmiergeldaffäre: Ganswindt vor Gericht

In der Affäre um Bestechung und Korruption steht mit Thomas Ganswindt der erste Ex-Zentralvorstand des Konzerns vor Gericht. Damit gelangt die Aufarbeitung des 2006 aufgeflogenen Korruptionssystems auf eine neue Stufe.

Bei der Münchner Staatsanwaltschaft ist die Rede vom „Siemens-Komplex“, der den Ermittlern seit mehr als vier Jahren reichlich Arbeit macht. Bisher ist gegen rund 300 Verdächtige wegen Korruption und des ausgetüftelten Systems schwarzer Kassen ermittelt worden. Jetzt sind es noch 30, die hohe Positionen bei dem Industriekonzern besetzt hatten. Von Donnerstag an steht mit Thomas Ganswindt erstmals ein ehemaliger Top-Manager vor Gericht, er war Mitglied des Zentralvorstands und damit der höchsten Leitungsebene. Der Vorwurf der Staatsanwälte: Ganswindt (50) soll als Leiter des Telekommunikationsbereichs Steuerhinterziehung betrieben und seine Aufsichtspflichten vorsätzlich verletzt haben.

Die juristische Aufarbeitung des Skandals kommt damit auf eine neue Ebene. Denn über Ganswindt stand bis Herbst 2006, als der Skandal aufflog, nur der damalige Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer. Der wird rechtlich nicht mehr belangt, Pierer hatte einen Bußgeldbescheid in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren akzeptiert wegen Verletzung seiner Aufsichtspflichten. Die Rede ist von 250 000 Euro. Ferner hat der frühere Konzernchef an Siemens fünf Millionen Euro Schadenersatz gezahlt.

Bestechung und Korruption hatten sich etwa vom Jahr 2000 an sehr tief in das Auslandsgeschäft des Konzerns hineingefressen – vor allem in der Telekommunikationsbranche. Das wird mit der 39-seitigen Anklageschrift im Fall Ganswindt nur allzu deutlich. Es ging etwa um Handys und um den harten Kampf mit Konkurrenten wie Nokia oder Motorola.

Im Oktober 2004 war Thomas Ganswindt, der sich über 15 Jahre hinweg bei Siemens hochgearbeitet hatte, in den Konzernvorstand aufgerückt. Er galt sogar als möglicher Nachfolger Pierers. Bestechung war seit 1998 auch im Ausland verboten, und doch war der Kommunikationsbereich regelrecht korruptionsverseucht. Akribisch listen die Staatsanwälte Siemens-Projekte etwa in Kasachstan, der Türkei, Nigeria, Russland oder Vietnam auf. Sie beschreiben, wie die Siemens-Leute, von denen einige schon zu Bewährungsstrafen verurteilt worden sind, systematisch schwarze Kassen und ausländische Briefkastenfirmen zur Abwicklung von Bestechung errichteten. Diese trugen klangvolle Fantasienamen wie „Eagle Invest & Finance S.A.“, gegründet auf den British Virgin Islands. Zugleich stellte Siemens Anfang der 2000er Jahre konzerninterne sogenannte Compliance-Grundsätze auf. Die Mitarbeiter verpflichteten sich, gemäß dem Gesetz zu arbeiten und keine Korruption vorzunehmen. Einige Ganswindt unterstellte Angestellte weigerten sich aber, die Erklärung zu unterschreiben. Einer sagte, er habe es als schizophren empfunden, selbst Verstöße gegen die Verpflichtung zu begehen und dennoch die Erklärung zu unterzeichnen.

Die Ermittlungen ergeben nicht, dass Ganswindt selbst Korruption begangen oder bei den schwarzen Kassen mitgemischt hat. Er hat das System allerdings geduldet, so die Ankläger, wusste davon oder hätte es zumindest wissen müssen. Und seine Pflicht wäre es gewesen, einzuschreiten. Offenbar ist Ganswindt dem aber aus dem Weg gegangen. Als der Top-Manager etwa dienstlich in Thailand war, bekam er Bestechungsgerüchte zu hören, so die Staatsanwaltschaft. Für ein Kasachstan-Projekt, das er genehmigt hatte, waren hohe Sonderzahlungen aufgestellt worden. Ganswindt soll erfahren haben, dass man die Beträge „zum Anschieben“ brauche. Auch sei ihm von Korruptionsvorwürfen in der Türkei erzählt worden und von Durchsuchungen der Siemens-Geschäftsräume in Bozen wegen Bestechungsvorwürfen bei einem Nigeria-„Beratervertrag“.

Auf ähnliche Weise hat er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bei einem Russland-Geschäft die Augen verschlossen, als er erfuhr, dass die russische Seite „Geschenke“ für den Projektzuschlag verlange. Schließlich erhielten die Partner die gewünschte Neuausstattung eines Museums mit PCs gratis.

Auch hätte Ganswindt hellhörig werden müssen, meinen die Ankläger, als Mitarbeiter die Compliance-Verpflichtung nicht unterschreiben wollten. Er aber habe nicht einmal gefragt, wer konkret die Unterschrift verweigert und aus welchen Gründen. Ebenso habe er sich nur wenig um einen Mitarbeiter gekümmert, der einerseits „Compliance Officer“ war – also zuständig für sauberes Unternehmenshandeln – und andererseits Kollegen bei der Abwicklung „vertraulicher Zahlungen“ half. Mit ihm habe es nur kurze Gespräche gegeben.

Am Ende wurde die Siemens-Affäre zum bisher größten deutschen Schmiergeldskandal. 2007 gab der Konzern bekannt, dass es insgesamt „zweifelhafte Zahlungen“ in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gegeben hat. Der Gesamtschaden – Bußgelder, Anwaltskosten, Ausgaben für interne Ermittlungen – wird auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Thomas Ganswindt dürfte nicht der letzte einstige Vorstand auf der Anklagebank sein. Verfahren gegen den Ex-Zentralvorstand Uriel Sharef und seinen damals für die Finanzen zuständigen Kollegen Heinz-Joachim Neubürger dürften folgen.

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