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Jérôme Kerviel.

© AFP

Skandalspekulant: Jérôme Kerviel: Ein böses Genie

Drei Wochen hat das Verfahren gegen den französischen Skandalhändler Jérôme Kerviel gedauert, gut dreißig Zeugen hat das Pariser Gericht in dieser Zeit gehört. Ob Kerviel alleine schuld ist an dem Rekordverlust von 4,9 Millarden der Großbank Société Générale, war auch zum Prozessabschluss am Freitag nicht klar.

Paris - Am Ende der Verhandlungen, bevor Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Verteidiger ihre Plädoyers halten, wendet sich Gerichtspräsident Dominique Pauthe noch einmal mit einer persönlichen Frage an Jérôme Kerviel. „Wer sind Sie, Monsieur Kerviel?“, fragt er den ehemaligen Wertpapierhändler, der mit einer gigantischen Spekulation von 50 Milliarden Euro seinem Arbeitgeber, der Großbank Société Générale, einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro zugefügt haben soll.

Während der dreiwöchigen Verhandlung hatte der Richter die Persönlichkeit dieses 33-Jährigen zu erfassen versucht, der sich wegen „Fälschung, Vertrauensbruch und Manipulation eines Computersystems“ verantwortet. Und immer noch scheint ihm der Mann ein Rätsel zu sein. „Also, wer sind Sie?“, insistiert der Richter. Der Angeklagte wiederholt nur immer wieder: „Ich bin jemand, der seine Arbeit im Interesse der Bank möglichst gut zu machen suchte, der Fehler beging und sie zugibt. Ohne Stillschweigen der Bank wäre das aber alles nicht passiert.“

Einen „Täuscher und Lügner“, nennt ihn Staatsanwalt Philippe Bourion, einen „professionellen Betrüger“, der seine Vorgesetzten, seine Freunde und Kollegen hinterging und bei seinem „zynischen Vorgehen“ ein „außergewöhnliches Talent“ entfaltete. Fünf Jahre Gefängnis, davon jedoch ein Jahr zur Bewährung, fordert er. Auch Jean Veil, einer der Anwälte der Société Générale, versucht Kerviel als den allein Schuldigen hinzustellen und jeden Gedanken an eine Mitverantwortung der Bank durch eventuelle Fahrlässigkeit bei der internen Kontrolle zu entkräften.

Höhepunkt ist der Auftritt des ehemaligen Präsidenten der Société Générale, Daniel Bouton, der als Zeuge von den als Nebenklägern zugelassenen geschädigten Sparern der Bank aufgerufen wird. Ein „böses Genie“ nennt er Kerviel, der sich wie ein Raser auf der Autobahn damit entschuldige, dass keine Radarfallen aufgestellt seien. Dann aber entschlüpft ihm ein Satz, aus dem die Verteidigung ein Eingeständnis von Fehlern heraushört. „Ich glaube nicht, dass es ein Kontrollsystem gibt, das der außergewöhnlichen Qualität seiner Lügen standhält.“

Dass Kerviel gar kein Genie sein musste, um das System zu unterlaufen und seine Manipulationen zu vertuschen, legt die Aussage seines ehemaligen Vorgesetzten Eric Cordelle nahe. Er berichtet, wie seine Abteilung in Arbeit erstickte, wie ein Mitarbeiter vor Müdigkeit vom Stuhl fiel und sich die Nase brach, aber nicht zum Arzt konnte, weil kein Ersatz da war. Er selbst sei für den Posten gar nicht ausgebildet gewesen und Kontrolle habe nicht an erster Stelle gestanden.

„Dabei hätten zwei, drei Computerklicks genügt, und jeder in der Hierarchie hätte erkennen können, welche Geschäfte die Händler eingingen“, sagt Kerviels Verteidiger Olivier Metzner. Die Kontrollen hätten Lücken gehabt, der Bank sei eine Mitverantwortung zuzuweisen. Er plädiert auf Freispruch. „Es gibt kein Rätsel Kerviel, das Rätsel ist die Société Générale“, sagt er. „Wie kann sie zulassen, dass jemand mit solchen Summen spekuliert?“ Das Urteil soll im Oktober verkündet werden. Hans-Hagen Bremer

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