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Wirtschaft: So ein hübsches Ding

Sexuelle Andeutungen am Arbeitsplatz kennen viele Frauen. Wie sie sich wehren können.

Es war an einem Freitagabend und eine gute Stunde nach ihrem offiziellen Feierabend, als Ariane Friedrich (Name geändert) noch an ihrem Schreibtisch saß. Die Kollegin, mit der sie sich das Büro in einer Firma für Werbemittel teilte, war bereits gegangen. Doch Ariane Friedrich wollte unbedingt noch ein Angebot für einen Kunden fertig stellen. Plötzlich stand ihr Chef in der Tür. „Was machen Sie denn so spät noch hier?“, sagte er. „Wartet denn Zuhause niemand auf Sie?“ Dann stellte er sich hinter sie und begann, ihre Schultern zu massieren. „Ganz schön verspannt. Vielleicht sollten wir zur Entspannung gleich noch einen Feierabend-Drink nehmen?“ Die 32-Jährige erinnert sich: „Mir war die Situation extrem unangenehm. Unter einem Vorwand schlug ich seine Einladung aus, beendete schnell meine Arbeit und verließ sofort das Büro.“

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kennen viele Frauen. Laut einer Studie des Familienministeriums aus dem Jahr 2004 geben 58 Prozent der Befragten an, mindestens einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden zu sein, davon 42 Prozent am Arbeitsplatz.

ZWISCHEN CHEFS UND ANGESTELLTEN

Professor Rolf Pohl von der Universität Hannover beschäftigt sich als Sozialpsychologe mit dem Phänomen Sexismus. Er schrieb unter anderem das Buch „Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen“. Geht es bei den plumpen Annäherungen des Chefs nur um Sex oder haben sie auch etwas mit Macht zu tun?

„Ein Flirt lebt von einer erotischen Spannung und findet auf Augenhöhe statt“, stellt Rolf Pohl klar. „Wenn es ein Machtgefälle gibt wie zwischen dem Chef und der Angestellten und die Zuneigung nicht auf Gegenseitigkeit beruht, dann geht es ganz schnell in Richtung sexuelle Belästigung. Viele Chefs denken leider noch, sie haben nach Gutsherrenrecht einen Anspruch auf ihre Untergebenen.“ Das gleiche gelte für Professoren und Studentinnen. Aus dem Hochschulbetrieb kennt er Gerüchte über „Bett-Scheine“, die für sexuelle Gefälligkeiten vergeben werden. „Zum Glück trauen sich jetzt immer mehr Frauen, mit solchen Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen und über ihre Erlebnisse zu sprechen“, sagt Rolf Pohl. Oft würden Scham und die Angst, lächerlich gemacht zu werden, sie daran hindern, den Personalrat oder den Gleichstellungsbeauftragten im Betrieb einschalten – ein Schritt, zu dem er jeder betroffenen Frau rät.

BEIM GESCHÄFTSTERMIN

Die Kommunikationstrainerin und Buchautorin Cornelia Topf, die Frauen in Sachen Smalltalk, Schlagfertigkeit und Führungsstrategien coacht, hört von ihren Klientinnen öfters Geschichten über sexuelle Anmachen. Dabei drehe es sich nicht nur um Vorgesetzte, sondern auch um Kontakte mit Kunden. So erzählte ihr eine Frau, die in einer kleinen Werbeagentur arbeitet, wie sie mit zwei männlichen Kollegen zu einem Kunden ging. Der war allerdings weniger an der Präsentation als viel mehr an Topfs Klientin interessiert. „Die Kollegen berichteten anschließend von anzüglichen Kommentaren des Kunden“, sagt die Trainerin. Als der Kunde sie wenig später zu einem Gespräch unter vier Augen einladen wollte, lehnte sie empört ab, auch wenn sie damit den Auftrag für die Firma gefährdete.

„Ich denke, man sollte solche Situationen nicht zu verbissen sehen. Mit einer Portion Humor und Augenzwinkern kann man sie oft entschärfen“, sagt Cornelia Topf. „Solche Situationen kann man im Coaching durchspielen, um beim nächsten Mal schneller und besser zu reagieren.“ Wenn Männer zudringlich werden, rät sie dazu, verbal und mit einer klaren Körpersprache Grenzen zu setzen. Das falle vielen Frauen schwer, sei aber sehr wirksam.

DIE GEGENWEHR

Sarah Elsuni forscht an der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Gender-Themen und dem Antidiskriminierungsrecht. Sie sieht im Arbeitsalltag die Gefahr, dass die Problematik vor allem bei sexueller Belästigung individualisiert wird. „Indem der Mann die Bemerkung als Kompliment und die Situation als Missverständnis darstellt, hat die Frau kaum eine Chance, dagegen vorzugehen“, sagt sie. Wenn dazu noch ein Machtgefälle vorliegt, sei das fast unmöglich.

Trotzdem rät sie Frauen, solche Vorfälle auf keinen Fall hinzunehmen, sondern öffentlich zu machen. „Es ist immer gut, sich dabei Verbündete zu suchen“, sagt Sarah Elsuni. Vielleicht haben Kolleginnen ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch eine juristische Beratung könne hilfreich sein, eine Klage dabei oft die Ultima Ratio. „Zuvor kann es sinnvoll sein, sich um eine innerbetriebliche Lösung zu bemühen, zum Beispiel durch eine neutrale Beschwerdestelle, die auch vertrauensvoll mit dem Anliegen umgeht.“ Sarah Elsuni hält Sexismus für ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft. „Es geht nicht um den Flirt am Arbeitsplatz, sondern darum, diese Einzelakte in einen breiten Kontext zu stellen“, sagt sie.

Ariane Friedrich vermeidet es bis heute, mit ihrem zudringlichen Chef allein zu sein. „Wenn andere dabei sind, verhält er sich korrekt“, sagt sie. Das mache es auch so schwierig, sein Verhalten anzuprangern. Sie möchte sich mittelfristig nach einem neuen Job umschauen – am liebsten mit einer Frau als Vorgesetzter.

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