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Altenpflege ist nur eine der vielen Möglichkeiten für einen Freiwilligendienst.

© picture alliance / dpa

Soziales Engagement: Freiwillig statt Arbeitslos

Die Ersatzlösung für den Zivildienst funktioniert, doch die Gewerkschaften sind misstrauisch. Aber es stimmt: Soziales Engagement stärkt Sozialkompetenz. Wir stellen Ihnen fünf junge Menschen vor, die einen sozialen Dienst absolviert haben.

Das waren noch Zeiten. 136 000 Zivildienstleistende gab es im Jahr 2002 – so viele wie nie zuvor. Und so viele sollten es nie wieder werden bis 2010, als mit der Aufgabe der Wehrpflicht auch der Zivildienst abgeschafft wurde. In jenem letzten Jahr konnten Wohlfahrtsverbände, Behinderten- oder Jugendhilfe und der Sport noch 78 000 Zivis über sechs Monate beschäftigen. Dann war Schluss. Als Ersatz erfand die Bundesregierung den Bundesfreiwilligendienst (BFD), damit den vielen gemeinnützigen Einrichtungen nicht die billigen Arbeitskräfte ausgehen. Seitdem fördert der Bund im Jahr 35 000 anerkannte Plätze mit zuletzt 167 Millionen Euro. Das Geld verwenden die Einrichtungen für Unterkunft und Verpflegung, Sozialbeiträge und ein Taschengeld: Maximal 363 Euro monatlich bekommt ein „Bufdi“, wie die Freiwilligen auch genannt werden.

Durch den Freiwilligendienst werden keine bestehenden Arbeitsplätze verdrängt

Die meisten helfen ein Jahr in Sport und Freizeit, in Kirche und Kultur, bei Pflegediensten oder der Krankenbeförderung. Hauptvoraussetzung für die Anerkennung einer Stelle: Der Träger ist gemeinnützig und der Bufdi betätigt sich „arbeitsmarktneutral“. Das heißt, durch den Freiwilligendienst werden keine bestehenden Arbeitsplätze verdrängt und das Entstehen neuer Stellen wird auch nicht blockiert. Der DGB hat erhebliche Zweifel, „ob diese Anforderung erfüllt wird“, und führt als Beleg die schulische Ganztagsbetreuung an. „Hier werden Freiwilligendienste eingesetzt, um die Entstehung neuer Arbeitsplätze zu verhindern.“

Besonders misstrauisch schauen die Gewerkschafen auf die „BFD ü27“: Denn anders als beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) können auch Personen, die älter als 27 Jahre sind, als Bufdi arbeiten. Tatsächlich sind von den 35 000 Freiwilligen rund 10 000 älter als 27, und der ganz überwiegende Teil davon sogar zwischen 40 und 55 Jahre alt.

Freiwilliges soziales Engagement stärkt die Sozialkompetenz

Vor allem in Ostdeutschland, wo es mehr ältere Arbeitslose und weniger junge Leute gibt, ist der Anteil hoch und der Verdacht des DGB naheliegend: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Bufdis als Ersatz für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingesetzt werden.“ Die Einschätzung der Arbeitgeberverbände bleibt trotzdem richtig: „Freiwilliges soziales Engagement stärkt die Sozialkompetenz und fördert die Persönlichkeitsentwicklung.“ Und selbstverständlich können die Erfahrungen für die Auswahl des Berufs und überhaupt die spätere berufliche Entwicklung von Vorteil sein. Das zeigen die Erfahrungen mit dem BFD, der ja, anders als der Zivildienst, auch für junge Frauen offen ist. Mehr als die Hälfte der 35 000 Bufdis ist weiblich, und viele davon entscheiden sich anschließend für einen „sozialen“ Beruf. Das bestätigen auch die Erfahrungen mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), das es bereits seit Jahrzehnten gibt. Die junge Frau aus gutem Hause mit Abitur war früher die klassische FSJlerin, heute sind selbstverständlich auch Hauptschul- und Realschulabsolventen dabei, deren Anteil an den sozialen Berufen relativ hoch ist.

Für FSJ und Freiwilliges Ökologisches Jahr finanziert der Bund jedes Jahr auch 35 000 Stellen, hierfür werden knapp 90 Millionen Euro bereitgestellt. Alle sozialen Dienste zusammen, kommt man also auf 70 000 Jobs für Hilfskräfte, die sich der Steuerzahler rund 250 Millionen Euro kosten lässt. Erstaunlich ist die geringe Abbrecherquote von vier Prozent bei der Diakonie, die nach dem Roten Kreuz und vor der Caritas die meisten Bufdis einsetzt. Wenn es nach den Wohlfahrtsverbänden ginge, dann gäbe es noch mehr geförderte Plätze, die Nachfrage übersteige derzeit das Angebot um rund 50 Prozent. Mit der Arbeitsmarktneutralität wäre das indes kaum vereinbar.

Diese jungen Menschen haben sich für einen sozialen Dienst entschieden

Nach dem Abitur war sich Alissa Nogli noch nicht sicher, was sie studieren möchte. Um sich zu orientieren und einen Einblick in den Arbeitsalltag zu erhalten, hat sie sich für den Bundesfreiwilligendienst entschieden, den sie in einer Kita in Berlin-Friedenau absolviert hat. Genau das Richtige, weil sie gerne mit Kindern arbeiten wollte und hier Aufgaben einer Erzieherin kennenlernte. Alissa spielte und lernte mit den Kindern, sang mit ihnen, brachte sie ins Bett und wickelte die Kleinen.

Alissa Nogli hat Freiwilligendienst im Kindergarten geleistet.
Alissa Nogli hat Freiwilligendienst im Kindergarten geleistet.

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Kindergarten: „Es fühlt sich nicht wie Arbeit an“

„Eine Erzieherin kann eine ganze Kindergruppe nicht alleine betreuen. Da konnte ich gut unterstützen und mit auf die Kleinen aufpassen“, sagt Alissa. Vor allem ihr jugendliches Alter habe ihr bei der Arbeit geholfen. „Da ich einfach noch näher dran bin, kann ich mich besser in die Kinder reindenken“, meint Alissa. „Das fühlt sich gar nicht wie Arbeit an.“ 

Durch die Kita ergaben sich Beziehungen zu den Eltern – sie hat sogar außerhalb ihres Dienstes auf die Kinder aufpassen dürfen. Alissa hat die Arbeit mit kleinen Kindern so gut gefallen, dass sie Grundschullehrerin werden möchte und sich um einen Studienplatz beworben hat. „Bewegt hat mich dazu vor allem ein Moment, als eine Mutter im Kindergarten auf mich zukam und meinte, ihr Sohn würde ständig von mir erzählen. Sie sagte, ich sei ja wirklich seine große Liebe.“

Zora Alber hat einen Monat im Krankenhaus in Tansania gearbeitet.
Zora Alber hat einen Monat im Krankenhaus in Tansania gearbeitet.

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Klinik in Tansania: „Die Unterschiede sind enorm“

Einmal bis ans Ende der Welt. In eine arme Region reisen, die Menschen kennenlernen und vor Ort helfen. Das hatte sich Zora Alber vorgenommen. Im Internet stieß sie auf „Projects Abroad“. Nach eigenen Angaben ist die Privatorganisation führender Anbieter von Freiwilligenarbeit und Praktika weltweit. Geboten werden Jobs in mehr als 25 Ländern, beispielsweise in den Bereichen Naturschutz und Medizin. Die jungen Leute müssen den Auslandaufenthalt selber zahlen, ein dreimonatiges Praktikum kostet rund 2500 Euro. Darin enthalten sind Unterkunft und Verpflegung. Zora hat sich für ein einmonatiges Medizinpraktikum in einem Krankenhaus in Tansania entschieden. Sie konnte dort die verschiedenen Stationen durchlaufen. „Schnell wurden mir die Unterschiede zwischen deutschen und afrikanischen Krankenhäusern bewusst“, sagt Zora. Männer und Frauen seien separat untergebracht und die Hygienevorschriften meist nicht so streng. In Tansania lernte sie viel über ein Leben in einem völlig fremden Land, über die Arbeit im Krankenhaus und über Menschen, denen es schlecht geht. „Als ich in der Geburtenstation aushalf, drückte mir eine junge Mutter ihr Neugeborenes in den Arm und sagte, ich solle doch einen Namen aussuchen. Das war für mich ein ganz besonderer Moment.“

Sandra Hörth hat ihr FSJ im Obdachlosenrestaurant in Berlin absolviert.
Sandra Hörth hat ihr FSJ im Obdachlosenrestaurant in Berlin absolviert.

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Obdachlosenhilfe: „Das war ein Weltenwechsel“

Nur ein paar Meter vom Ku’damm entfernt befindet sich das Obdachlosenrestaurant „City Station“. Eigentlich kein Ort, wo junge Menschen freiwillig hingehen. Die 18-jährige Sandra Hörth hat dort ein Jahr gearbeitet und ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Dafür ist sie aus einer schwäbischen Kleinstadt nach Berlin gezogen. „Das war natürlich ein Weltenwechsel für mich“, sagt Sandra. „Vor allem die Kommunikation mit den Leuten, die zum großen Teil aus Osteuropa kommen, war schwierig.“ Aber sie arbeitete sich schnell ein, weil sie den Wunsch hatte, den Menschen zu helfen. Es habe für sie viele tolle Momente in der City Station gegeben, etwa, „wenn einer der Besucher einen neuen Job bekommen hat“.

Wichtig sei für die Obdachlosen, eine feste Struktur im Alltag zu erhalten. Teil des Programms waren deshalb Kochkurse, einen davon hat Sandra geleitet. „Wir haben auf Pünktlichkeit geachtet und gezeigt, was man aus einfachen Lebensmitteln zaubern kann.“ Sandra hat auch bei der täglichen Essensausgabe geholfen und den Ablauf in der Station koordiniert. Durch die Arbeit kam sie ins Gespräch mit den Bedürftigen. „Die Gründe für Obdachlosigkeit sind meist Beziehungen, die kaputtgegangen sind. Durch den Dienst habe ich viel über das Leben auf der Straße gelernt.“

Seniorenheim: „Die größte Motivation ist es, wenn die Patienten Danke sagen“

Funda Paker wollte gleich nach der Schulzeit unbedingt arbeiten. Das Seniorenheim Grüntal bot ihr einen Bundesfreiwilligendienst als „Schnupperjahr“ in der Altenpflegebranche an. Sie nahm das Angebot an und hat jetzt sogar Übernahmechancen: Wenn Funda ihren Dienst im August beendet hat, kann sie eine Ausbildung anschließen.

„Ich wollte unbedingt mein eigenes Geld verdienen, um auch meine Eltern zu entlasten“, erklärt Funda ihre Motivation zum Freiwilligendienst. Sie arbeitet im Schichtdienst, vor allem die Frühschicht ab 7 Uhr sei anstrengend, da die älteren Menschen morgens gewaschen und sehr Pflegebedürftige gefüttert werden müssten. „Vor allem das Heben der Menschen geht auf meine Gesundheit. Die Patienten haben mit uns Pflegern aber Mitgefühl und helfen, wo sie nur können.“

Sie und ihre Bufdi-Kolleginnen seien eine große Unterstützung für die vollen Pflegekräfte, die die Arbeit ohne die jungen Leute meist gar nicht bewerkstelligen könnten. „Die größte Motivation ist es, wenn ich helfen kann und die Patienten Danke sagen“, sagt Funda. Sie wollte schon immer mit älteren Menschen zusammenarbeiten. Lange Zeit war sie Einzelkind und könne sich deshalb gut in Erwachsene hineindenken. „Es ist spannend, wenn die Bewohner über ihre Vergangenheit sprechen. Eine alte Dame beschreibt mir immer, wie es war, früher in Berlins Bädern schwimmen zu gehen.“

Ein großes Problem für Funda und die anderen Beschäftigten ist es, wenn ein älterer Mensch stirbt. „Das erste Mal hatte ich Tränen in den Augen, die Traurigkeit habe ich mit nach Hause getragen“, sagt Funda. Das gehöre leider zum Alltag, aber die Kollegen hätten immer ein offenes Ohr, man könne miteinander reden und sich damit gegenseitig helfen.

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