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Wirtschaft: Spekulieren mit Mohammed

Banken entwickeln immer mehr Geldanlagen nach islamischem Recht – und verdienen gut dabei

Über 20 Jahre arbeitete Mishari al-Mishari für den amerikanischen Finanzkonzern Citibank. Dann wechselte er an die Spitze der saudischen Aljazira-Bank. Er stellte ausländische Manager ein und machte hohe Gewinne. Weder Misharis lange Bankenerfahrung noch die ausländischen Spitzenkräfte sind aber der Grund seines Erfolgs, sondern eine Messingtafel, die neben den Aufzügen in der Firmenzentrale in der Küstenstadt Jidda am Roten Meer hängt. Darauf steht, dass die Bank nun im Einklang mit dem islamischen Recht (Scharia) arbeite. Die Verfasser: Eine Reihe Korangelehrter.

Schon früh sprang al-Mishari auf einen neuen Trend auf: Das „Islamic Banking“. Scharia-konforme Finanzprodukte sind im Nahen Osten und anderen arabischen Regionen auf dem Vormarsch. Islamische Banken haben findige Möglichkeiten erdacht, wie streng religiöse Muslime das Zinsverbot im Koran einhalten und dennoch in moderne Finanzprodukte wie Investmentfonds oder Anleihen investieren oder Visa-Kreditkarten erwerben können. „Risiko“, sagt al-Mishari lächelnd, „kennt keine Religion.“

In den vergangenen zehn Jahren ist damit das islamische Finanzwesen aus einer winzigen, umstrittenen Nischenexistenz zu einem wichtigen Marktsegment der internationalen Finanzbranche aufgestiegen. Grund sind nicht zuletzt die vielen Petrodollars, die der Anstieg der Ölpreise in die Golfregion gespült hat und um die nun westliche Banken buhlen. Größter Anbieter islamischer Finanzprodukte ist bislang die Citigroup. Seit 1996 hat der Bankkonzern Finanztransaktionen in Höhe von rund sechs Milliarden Dollar scharia-konform getätigt. Aber auch die Deutsche Bank, die britisch-asiatische HSBC-Gruppe, die niederländische Bank ABN Amro, die britische Standard Chartered und die französischen Banken Société Générale und BNP Paribas haben in den vergangenen Jahren islamische Geschäftszweige aufgebaut.

Selbst Sachsen-Anhalt schloss sich dem islamischen Finanz-Trend an. Im vergangenen Jahr hat das Bundesland eine Scharia-konforme Anleihe in Höhe von 100 Millionen Euro emittiert. Einer Zweckgesellschaft mit Sitz in den Niederlanden wurden befristet Nutzungsrechte an staatlichen Immobilien übertragen. Diese werden nun von den Landesbehörden zurückgeleast. Anstatt eines festen Zinses erhalten die Investoren Mieteinnahmen.

Was ein Finanzprodukt zum Koran- kompatiblen Geschäft qualifiziert, ist keinesfalls unumstritten. Vieles im islamischen Bankwesen ist neu und noch fehlt eine einheitliche Finanzaufsicht. Verschiedene, miteinander konkurrierende Institutionen in Bahrain und Malaysia sind dabei, Regeln für islamische Buchführung, Bankgeschäfte und Kredite zu erarbeiten.

Ungeachtet der unklaren Gesetzeslage boomen die islamischen Produkte. Zahlreiche Koran-konforme Investmentfonds schossen aus dem Boden. Während es 1999 nur ein Dutzend solcher speziellen Fonds gab, sind es heute weltweit mindestens 150. Und in Saudi-Arabien gerät die langjährige Dominanz von Finanzinstitutionen westlichen Stils ins Wanken. Seit die Aljazira-Bank vor drei Jahren dem konventionellen Finanzwesen abschwor und zur rein islamischen Bank konvertierte, verdoppelt sie jedes Jahr ihren Gewinn. Der Grund für die neue Ausrichtung war übrigens ein rein strategischer: Als saudische Finanziers den Banker Mishari al-Mishari 1993 an die Spitze der Aljazira-Bank holten, stand es um das Kreditinstitut schlecht.

Auf der Suche nach neuen Geschäftschancen kam der neue Bankchef auf das islamische Finanzwesen. „In Saudi-Arabien gab es damals nur eine Bank, die auf Scharia-konforme Finanzprodukte spezialisiert war“, sagt al-Mishari, ein Absolvent der University of Oregon. „Wir sahen wenig Innovatives.“ Gleichzeitig erkannten al-Mishari und seine Mitarbeiter aber auch, welch großes Potenzial die islamische Geldanlage bot. Mit den richtigen Produkten ließe sich eine neue wohlhabende Zielgruppe erschließen – die saudi-arabische Mittelschicht. Die Mittelklasse verband bis dahin islamisches Bankwesen mit null Rendite und einfallslosen, altmodischen Finanzprodukten für tiefreligiöse Muslime. Vor allem in Saudi-Arabien rechneten sich al-Mishari und sein Team gute Chancen aus: Fast die Hälfte der Bankeinlagen befand sich auf zinslosen Konten.

Nach gründlichen Marktstudien entschied die Aljazira-Bank 1998, eine rein islamische Bank für gehobene Bevölkerungsschichten zu werden. Dennoch wollte sich al-Mishari nicht von den westlichen Anzug-und-Krawatten-Trägern trennen, die er selbst angeheuert hatte. Noch immer tauchen die ausländischen Banker an prominenter Stelle im Jahresbericht der Bank auf. Gerade bei Feinheiten des islamischen Finanzwesens wendet sich al-Mishari – der selbst das traditionelle Saudi-Gewand nebst Kopfbedeckung trägt – gern an die ausländischen Banker.

Wie wurde die Bank nun islamisch? Als Erstes richtete al-Mishari ein Scharia-Board mit religiösen Autoritäten ein. Aufgabe der drei bis fünf Korangelehrten ist es, die Finanzprodukte der Bank zu prüfen und ihnen gegebenenfalls zu bescheinigen, dass sie im Einklang mit dem islamischen Gesetz stehen.

Zunächst legte al-Misharis Team dem religiösen Board ein spezielles Modell für den Aktienhandel zur Prüfung vor. Dem Konstrukt zufolge darf ein Bankkunde mit Wertpapieren bis zum zweieinhalbfachen Wert seiner Depot-Aktien handeln. Mit diesem neuen Finanzprodukt – einem islamischen Pendant zum so genannten „margin-trading“ – stieg die Bank Aljazira im Jahr 2000 zur Nummer eins im Aktienhandel auf. „Die Leute sagen, es bringe Glück, zu Aljazira zu gehen“, sagte Saud Mira, ein 42-jähriger Professor für Ingenieurwissenschaften, der nach der Arbeit bei einer vornehmen, neuen Filiale der Bank Aljazira gern spekuliert.

Als Nächstes entwickelte die Bank ein islamisches Pendant zur westlichen Lebensversicherung. Versicherungen sind für islamische Banken ein heißes Eisen. Mancher Muslim sieht Versicherungen als Wette gegen den Willen Gottes an – und damit als Mangel an Gottvertrauen. Das Problem war schnell überwunden. „Die Gelehrten teilen unsere Meinung, dass wir mit einem freien Willen auf die Erde gekommen sind“, erklärte Dawood Taylor, ein zum Islam konvertierter Brite, der das Versicherungsprojekt bei der Aljazira-Bank leitet. „Als wir sie fragten ,Soll ich mein Kamel anbinden oder sein Schicksal dem Willen Allahs überlassen?’ antworteten sie: ,Binde Dein Kamel an und frage dann nach dem Willen Allahs’“.

Die islamische Versicherung wurde nach einigen Modifikationen zum Hit: Die Aljazira-Bank gewann für das Produkt 2500 Privatkunden und 12500 institutionelle Kunden. Der Erfolg hat das Interesse traditioneller Versicherungskonzerne wie der französischen Axa geweckt. „Bisher ist unser Geschäft in Saudi-Arabien minimal. Wenn wir auf dem Markt bleiben wollen, müssen wir uns etwas in der Richtung überlegen“, sagte eine Axa-Sprecherin.

Hugh Pope[Jidda]

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