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Wirtschaft: Spitzen der Wirtschaft zieht es an die Spree

Sogwirkung Berlins wird stärker / Kohl zu Gast bei der Grundsteinlegung des gemeinsamen VerbandshausesVON DANIEL WETZELBerlin wächst in eine neue Rolle hinein: Die Stadt mit der wackeligen industriellen Basis wird das wirtschaftspolitische Entscheidungszentrum Deutschlands.Augenfällig wird das zum ersten Mal am kommenden Mittwoch: Bundeskanzler Helmut Kohl legt zusammen mit Hans-Olaf Henkel (BDI), Dieter Hundt (BDA) und Hans Peter Stihl (DIHT) am Berliner Mühlendamm den Grundstein für das gemeinsame neue Domizil der mächtigen Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft.

Sogwirkung Berlins wird stärker / Kohl zu Gast bei der Grundsteinlegung des gemeinsamen VerbandshausesVON DANIEL WETZEL

Berlin wächst in eine neue Rolle hinein: Die Stadt mit der wackeligen industriellen Basis wird das wirtschaftspolitische Entscheidungszentrum Deutschlands.Augenfällig wird das zum ersten Mal am kommenden Mittwoch: Bundeskanzler Helmut Kohl legt zusammen mit Hans-Olaf Henkel (BDI), Dieter Hundt (BDA) und Hans Peter Stihl (DIHT) am Berliner Mühlendamm den Grundstein für das gemeinsame neue Domizil der mächtigen Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft.Das 150-Millionen-Projekt ist für Senator Elmar Pieroth "die bisher deutlichste Demonstration der deutschen Wirtschaft für Berlin." Sie krönt eine Umzugswelle, die nun immer schneller auf Berlin zuschwappt: Nach der jüngsten Zählung der Senatskanzlei haben bereits 39 Wirtschaftsorganisationen ihr Kommen angesagt. Tatsächlich werden es noch viel mehr: Wie der Tagesspiegel jetzt erfuhr, soll an der Chausseestraße in Mitte ein Gebäudekomplex für 15 weitere Wirtschaftsverbände und Kammern entstehen.Der Bundesverband der Freien Berufe will auf dem 11 000 Quadratmeter großen Areal den Hauptteil seiner bislang noch im Rheinland residierenden Mitgliedsverbände unterbringen: Vom Bundesverband der Steuerberater über den Verband beratender Ingenieure bis hin zu den Wirtschaftsprüfer- und Bundesanwaltskammern.Adlon-Architekt Patzschke soll in dem 60-Millionen DM teuren Komplex mindestens 500 Arbeitsplätze unterbringen. Noch prüfen die einzelnen Freiberufler-Organisationen das Bauprojekt ihres Dachverbandes.Doch Hauptgeschäftsführer Arno Metzler ist zuversichtlich, daß der erste Spatenstich schon im Frühjahr nächsten Jahres erfolgen kann und das "Haus der Freien Berufe" parallel zum Regierungsumzug im Januar 2000 einzugsbereit ist."Für erfolgreiche Lobbyarbeit ist die Nähe zur Regierung unverzichtbar", weiß Metzler. Das sehen offenbar nicht alle so: Nach einer aktuellen Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagement "sitzt die überwältigende Mehrheit der Verbände im Köln-Bonner Raum keineswegs auf gepackten Koffern." Von den 97 befragten Organisationen haben nur 20 Prozent den Umzug beschlossen.21 Prozent der Verbände sind noch unentschieden, doch ganze 57 Prozent wissen schon, daß sie in Bonn bleiben wollen.Neben dem Kostenargument nannten die Umzugsverweigerer vor allem die zentrale Lage Bonns zu den westeuropäischen Hauptstädten, namentlich zu Brüssel. Für Holger Wenzel vom Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE) ist die Aussage der Studie jedoch zu undifferenziert.Es gebe viele Verbände, die lediglich Service-Funktionen für ihre Mitglieder übernehmen.Für die sei "die Nähe zu Bundeskanzleramt, Parlament und Ministerien nicht so dramatisch wichtig." Der Deutsche Journalistenverband (DJV) sieht aus diesem Grunde ebensowenig Umzugsbedarf wie der Verband deutscher Papierfabriken.Für die eigentlichen Lobby-Organisationen mit politischem Anspruch, betont HDE-Hauptgeschäftsführer Wenzel, gehe "an Berlin natürlich kein Weg vorbei." Auch bei dem mächtigen Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA), der sich bisher unlustig zeigte, aus Frankfurt (Main) wegzuziehen, ist der formale Umzugsbeschluß wohl nur noch eine Frage der Zeit. So haben sich denn die wichtigsten Wirtschaftsverbände der Republik rechtzeitig auf Filetgrundstücken in Berlins Mitte positioniert.Was früher über die Rheinschiene Bonn, Köln und Düsseldorf verteilt war, ballt sich jetzt auf kaum 10 Quadratkilometern: Kein Verbändehaus liegt weiter als drei Kilometer Luftlinie von Kanzleramt und Parlament entfernt.Der Hauptverband des deutsche Einzelhandels (HDE) bildet am Weidendamm eine Wohngemeinschaft mit Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), Groß- und Außenhandelsverband (GBA) sowie dem Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft.Am Gendarmenmarkt richten sich die Zentralverbände des Deutschen Handwerks (ZDH) und des Baugewerbes (ZDB) ihre Häuser her.Die Vertreter des Finanzwesens haben rund um die Friedrichstraße das zweite große Bankenzentrum nach der Frankfurter City etabliert: Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) - Dachorganisation für alle deutschen Sparkassen mit ihren rund 330 000 Angestellten - richtet sich für rund 100 Millionen DM an der Behrenstraße ein.Martin Kohlhaussen, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), wird im April 1999 mit seiner Organisation einen Neubau an der Burgstraße beziehen.Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft nimmt schon Anfang nächsten Jahres an der Friedrichstraße Quartier. Der Einzug der Bundesverbände wirkt sich für die Berliner Wirtschaft wie eine Frischzellenkur aus.Zwar bleiben die direkten Folgen für den Arbeitsmarkt zunächst kaum spürbar: Die Organisationen bringen schließlich den Hauptteil ihrer Mitarbeiter aus dem Rheinland mit.Dennoch profitiert der Standort von den indirekten Folgen der Umzugswelle: So ist die Anwesenheit der Branchenverbände zum Beispiel für Daimler-Benz ausschlaggebend dafür, die gesamte Mercedes-Vertriebsmannschaft mit gut 550 Mitarbeitern von Stuttgart nach Berlin zu verlagern."Es ist wichtig, rechtzeitig dort zu sein, wo politische und Investitionsentscheidungen getroffen werden, die den Standort Deutschland und damit die Rahmenbedingungen der Mercedes-Benz-Kunden betreffen", erklärte Mercedes-Vorstandsmitglied Dieter Zetsche: "Berlin entfaltet schon heute eine Sogwirkung für Interessenverbände wie Güterverkehr- und Speditionsverbände oder Taxi- und Autovermietungsverbände, die die Belange unser Nutzfahrzeug- und Pkw-Kunden vertreten." Beispiele wie diese machen den Politikern Hoffnung.Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen wagte in der vergangenen Woche "die vorsichtige und optimistische Prognose", daß die Stadt den Turnaround von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole noch in diesem Jahr bewältigt: "Mit Ablauf dieses Jahres wird der Dienstleistungssektor in Berlin per saldo erstmals mehr Arbeitsplätze schaffen, als im industriellen Bereich verloren gehen."

DANIEL WETZEL

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