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Gibt es auch noch: Eine Frau wartet in einem Job-Center auf ein Beratungsgespräch.

© dapd

Starkes Plus bei Teilzeitjobs und befristeten Stellen: Forscher sehen tiefe Kluft auf dem Arbeitsmarkt

Die Zahl der Jobsuchenden sinkt und sinkt - scheinbar ist am Arbeitsmarkt alles so rosig wie lange nicht mehr. Dabei boomen vor allem befristete und Leiharbeitsverhältnisse.

Wenn Arbeitsmarkt-Leute aus Nürnberg dieser Tage das Wort ergreifen, haben sie meistens nur gute Nachrichten im Gepäck: Bald wird die Zahl der Jobsuchenden unter die Drei-Millionen-Marke sinken, sagen sie, noch nie seit der Wende hatten so viele Menschen hierzulande eine Stelle, und selbst Alte und Langzeitarbeitslose bekommen wieder eine Chance.

Das ist die eine, die rosige Seite. Die andere sieht ein bisschen düsterer aus. „Wir haben mehr Leiharbeiter, mehr Teilzeit, mehr befristet Beschäftigte als früher“, sagte Joachim Möller am Donnerstag in Berlin. Er gehört auch zu den Arbeitsmarkt-Leuten aus Nürnberg – Möller leitet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), eine Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit. Mit seinen Leuten beobachtet er die langfristigen Veränderungen auf dem Jobmarkt. Ihre Erkenntnisse sind bedrückend: „Die Arbeitswelt driftet auseinander“, konstatiert Möller. „An den Rändern bröckelt es.“

Beispiel Leiharbeit: Sie hat sich seit 1994 mehr als verfünffacht. Damals gab es 140 000, heute fast eine Million Menschen, die von Unternehmen auf die Schnelle angeheuert werden können und deutlich weniger verdienen als eine Stammkraft. Beispiel Teilzeitbeschäftigung: Sie hat sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten auf 8,7 Millionen verdoppelt. Beispiel Minijobs: Seit 1999 ist ihre Zahl um 1,1 Millionen auf 4,8 Millionen in die Höhe geschnellt. Beispiel Selbstständige: Seit 1994 ist diese Gruppe um eine Million gewachsen, vor allem wegen des Anstiegs der Ein-Mann-Betriebe.

Überdies ist der Berufseinstieg für junge Leute heute wesentlich schwieriger als früher. Früher arbeiteten Berufseinsteiger unter 30 im Schnitt 800 Tage in ihrem ersten Job, heute sind es nur noch 600 Tage. Überhaupt ist fast jede zweite Neueinstellung befristet. Vor zehn Jahren war es weniger als jede dritte, sagen die IAB-Leute. Insgesamt haben 2,7 Millionen Beschäftigte einen Job nur auf Zeit, das ist eine Million mehr als Mitte der neunziger Jahre.

Diese Zahlen sind das Ergebnis der zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, etwa durch die Hartz-Gesetze der Regierung Gerhard Schröder. Möller warnte allerdings davor, dies per se zu verteufeln. „Man darf den Rückgang des Normarbeitsverhältnisses nicht mit Prekarisierung gleichsetzen.“ Oft wollten vor allem Frauen ausdrücklich in Teilzeitjobs arbeiten. Der durchschnittliche, unbefristete Vollzeitjob sei ohnehin nicht Geschichte – 60 Prozent der Erwerbstätigen arbeiteten in einem solchen Job, vor 15 Jahren waren es 66 Prozent.

Trotzdem hat der Trend zum gespalteten Arbeitsmarkt bedenkliche Folgen: Leiharbeiter und befristet Beschäftigte fühlen sich nach einer IAB-Studie weniger in die Gesellschaft integriert als Festangestellte. Institutschef Möller hält dies für gefährlich. „Wenn man nicht aufpasst, kommt es zu einer noch stärkeren Segmentierung des Arbeitsmarktes: Auf der einen Seite herrscht Fachkräftemangel, auf der anderen stehen die Geringverdiener.“ Die Politik sei dagegen nicht machtlos – um normale Arbeitsverhältnisse zu stärken, könne sie Minijobs weniger attraktiv machen, einen gemäßigten Mindestlohn einführen oder die Sozialabgaben senken.

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