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Stellenanzeigen: "Deutscher Muttersprachler" gilt als Diskriminierung

Eine Bewerberin wurde abgelehnt, weil Deutsch nicht ihre Muttersprache war. Sie klagte. Das Gericht gab ihr Recht - "deutscher Muttersprachler" sei eine indirekte ethnische Diskriminierung.

Berlin - Auf so ein Angebot hatte Alanna Lockward jahrelang gewartet. Das Stellengesuch der Berliner Kunst-Werke war geradezu perfekt für die Medienwissenschaftlerin und Kuratorin. Die Berliner Einrichtung suchte eine Mitarbeiterin für den Infopoint. Die nötige Erfahrung brachte Lockward mit. Doch sie wurde abgelehnt. „Leider richtet sich die Position an deutsche Muttersprachler, daher können wir Ihre Bewerbung leider nicht berücksichtigen“, lautete die Begründung in einer E-Mail. Lockward, die aus der Dominikanischen Republik stammt, fühlte sich diskriminiert. Sie klagte. Jetzt bekam sie recht.

„Deutscher Muttersprachler“ sei in diesem Fall keine zulässige Voraussetzung und eine indirekte ethnische Diskriminierung, entschied das Landesarbeitgericht Berlin in erster Instanz. Es berief sich dabei auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Die Bestimmung verbietet es, dass Menschen aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität, ihrer Behinderung, ihrer Religion oder wegen ihrer Herkunft benachteiligt werden. Drei Monatsgehälter oder knapp 4000 Euro müssen die KunstWerke Lockward nun zahlen. Damit könnte der Fall ein Präzedenzfall werden, denn bisher ist kein Urteil mit dem Streitgegenstand „Deutsch als Muttersprache“ bekannt. „Ich hatte immer die Vermutung, dass ich diskriminiert werde“, sagt die Dominikanerin, die trotz Berufserfahrung in Mexiko, Spanien und Deutschland und eines Aufbaustudiums an der Freien Universität der Künste seit Jahren Absagen sammelt. „Jetzt weiß ich es endlich.“

Lockwards Fall zeigt, dass das gemeinhin als Antidiskriminierungsgesetz bezeichnete AGG zunehmend Wirkung zeigt. Als es 2006 eingeführt wurde, beschimpften es Arbeitnehmervertreter noch als zahnlosen Tiger. Arbeitgeber dagegen warnten vor einer Klageflut und teurem bürokratischen Aufwand. Zwar ist alles nicht ganz so schlimm gekommen, räumt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) heute ein. Aber „solche Urteile haben wir immer befürchtet, als das Gesetz eingeführt wurde“, sagt Jürgen Möllering, Leiter der Rechtsabteilung beim DIHK. Denn nur weil ein Unternehmen – wie im Fall der Kunst-Werke – einen „ungeschickten“ Fehler mache, könne es verklagt werden, sagt Möllering. „Das AGG führt zu Verlogenheit bei den Unternehmen. Sie werden in Zukunft immer seltener ehrliche Gründe für eine Absage nennen.“

Davon geht auch Stefan Lingemann, Arbeitsrechtler in der Kanzlei Gleiss Lutz in Berlin, aus. „Nicht nur bei Arbeitnehmern, sondern auch bei Arbeitgebern wächst das Bewusstsein für das Gesetz.“ Das heiße, dass die Klagebereitschaft bei Arbeitnehmern zunehme, die Unternehmen sich zugleich aber besser absicherten. Lingemann sagt, dass es in den USA fünf Jahre dauerte, bis sich das dortige Antidiskriminierungsgesetz in den Köpfen der Allgemeinheit festgesetzt habe.

Erste Anzeichen für eine stärkere Wahrnehmung sieht das Landesarbeitsgericht Berlin bereits heute. Die Klagen mit AGG-Bezug nähmen zu, sagt ein Sprecher. Eine genaue Größe nennt er jedoch nicht. Meistens gehe es um Geschlechter- oder Altersdiskriminierung.

DIHK-Experte Möllering betont, dass das AGG auch sein Gutes habe, etwa wenn Arbeitnehmern wirklich Unrecht getan worden sei. Zudem hätten sich die meisten Großunternehmen längst auf das Gesetz eingestellt. „Die größte Gefahr besteht für kleinere Firmen, die sich eine eigene Personalabteilung und teure AGG-Schulungen für ihre Mitarbeiter nicht leisten können“, sagt er.

So wie bei den Kunst-Werken. Für die Institution mit rund 15 Mitarbeitern kommt so etwas wie eine eigene Rechtsabteilung gar nicht in Frage. „Deshalb ist uns auch so ein verhängnisvoller Fehler passiert“, erklärt Direktorin Gabriele Horn. „Ich kann nicht von jedem Mitarbeiter erwarten, dass er das AGG ,en detail‘ kennt.“ Mit Blick auf Lockward zeigt sich Horn versöhnlich. „Wir bedauern sehr, was passiert ist.“ In Berufung werde man daher vermutlich nicht gehen. Allerdings warte man noch die schriftliche Urteilsbegründung ab.

Lockward kämpft weiter, aber nicht mehr vor Gericht. „Ich bewerbe mich weiter, ich habe doch nichts zu verlieren“, sagt sie. Und fügt mit etwas Bitterkeit hinzu: „Vielleicht versteht die deutsche Kunstszene ja eines Tages, dass sie sich in einem Einwanderungsland befindet.“ Ferda Ataman/Yasmin El-Sharif

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