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Wirtschaft: Steuerdumping oder gemeinsame Politik?

BRÜSSEL .Ist es blanker Optimismus, bewundernswerter Mut oder ist es nur Ahnungslosigkeit?

BRÜSSEL .Ist es blanker Optimismus, bewundernswerter Mut oder ist es nur Ahnungslosigkeit? Bevor er sich in den Urlaub verabschiedete, versprach Österreichs Außenminister Schüssel, der in diesem Halbjahr im EU-Ministerrat den Vorsitz führt, daß er nach der Sommerpause eines der heißesten Eisen der europäischen Politik anfassen werde: Die Angleichung der Steuern in der EU.Die EU-Neulinge aus Wien sind offenbar entschlossen, sich ausgerechnet auf dieses politisch hoch brisante Thema zu stürzen, an dem sich in den vergangen Jahren schon viele in Brüssel die Finger verbrannt haben.Wer nämlich an den Einnahmesystemen der Staaten rührt, der wagt sich an den Kern der nationalen Souveränität.Dutzende von Vorschlägen zur Steueranpassung sind bisher am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert.

Daß die Österreicher in der Zeit ihrer vermutlich ziemlich ereignislosen EU-Ratspräsidentschaft der Steuerpolitik Vorrang einräumen wollen, ist allerdings durchaus berechtigt.Denn je mehr der EU-Binnenmarkt Wirklichkeit wird, je mehr die Handelsschranken fallen und je näher die Wirtschafts- und Währungsunion rückt, desto schärfer treten die Verzerrungen zwischen den unterschiedlichen Steuersystemen zutage.Wer geschickt die Freizügigkeit des Kapitals nutzt, der kann den Fiskus ins Leere laufen lassen.Wenn keine Grenzen mehr den Warenaustausch bremsen, wächst die Gefahr, daß sich die Mitgliedstaaten gerade auf den wenigen verbleibenden Gebieten, die noch der nationalen Gestaltung unterliegen, Standortvorteile verschaffen: bei den Steuern.

Firmen verlegen ihre Sitze in die Länder mit den niedrigsten Steuern.So treibt die heimische Steuerlast immer mehr Franzosen über den Kanal nach Großbritannien.Deutsche Firmenholdings ziehen aus steuerlichen Gründen in die Niederlande um.Trotz leerer Staatskassen droht gerade bei den Unternehmenssteuern ein zerstörerischer Steuersenkungswettlauf, wenn es nicht gelingt, auch in der Steuerpolitik ein Mindestmaß an europäischer Gemeinsamkeit durchzusetzen.

Tatsächlich jedoch deutet nichts darauf hin, daß dies auch gelingen wird.Im Gegenteil: Die Unterschiede werden größer.Die nationalen Steuersysteme entwickeln sich in die falsche Richtung.Die steuerliche Belastung der Arbeit ist in den vergangenen Jahren in der EU gestiegen.Bei den anderen Produktionsfaktoren wie Kapital, selbständiger Arbeit und Energie sank sie dagegen um fast zehn Prozent.Die Überbelastung des Faktors Arbeit durch Steuern und Sozialabgaben vernichtet aber Arbeitsplätze.Wenn das Wachstum in Europa wieder gestärkt werden soll, muß der Trend umgekehrt werden.

Grundsätzlich sind auch alle mit der Entlastung der Arbeit einverstanden.Doch die Staatskassen sind überall leer.Verständlich, daß der Staat bestrebt ist, die durch Steuersenkungen verursachten Einnahmeausfälle an anderer Stelle auszugleichen.Als erstes bieten sich dazu die Erhöhung der Verbrauchssteuern an.Die Gefahr ist deshalb groß, daß sich die Mehrwertsteuersätze in der EU weiter auseinanderentwickeln.

Völlig falsch! meinen dagegen die Anhänger einer totalen Deregulierung, die besonders in Deutschland und Großbritannien ihre Stimme erheben.Statt einer von den Regierungen gemeinsam beschlossenen Angleichung der Steuern setzen sie auf den freien Steuerwettbewerb, der alles zum Wohle der Wirtschaft und des Verbrauchers von alleine regeln soll.Tatsächlich jedoch würde der Verzicht auf eine europaweite Abstimmung der Politik zu einer Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Binnemarkt und einem gefährlichen Steuerdumping führen.Diese neoliberale Vorstellung von der Rolle des Staates widerspricht aber den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft.Die Reform der Steuersysteme darf aber in seiner Konsequenz nicht zum Verzicht auf das europäische Gesellschaftsmodell führen.Die bessere Methode, um die Verzerrung des Wettbewerbs in der EU zu verhindern, aber gleichzeitig auch Freiraum für einen fairen Steuerwettbewerb zu lassen, wäre die Konkretisierung des inzwischen vereinbarten Verhaltenskodex für die Steuerpolitik der Mitgliedstaaten und zudem die allmähliche Angleichung der Steuern - unverzichtbar für faire Verhältnisse auf dem Binnenmarkt.

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