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Nicht nur Kleingeld: Mehr als 90 Milliarden Euro schleusen die Unternehmen am Fiskus vorbei - das geht aus der Statistik hervor.

© dpa

Steuern: Konzerne tricksen den Fiskus aus

Einer DIW-Studie zufolge rechnet sich die Wirtschaft künstlich arm. So drücken sie ihre Steuerlast um mehr als 90 Milliarden Euro. Das Problem hat sich der Staat selbst geschaffen.

Viele Firmen in Deutschland schleusen offenbar systematisch Milliardengewinne am Fiskus vorbei. 2008 entgingen dem Staat auf diese Weise Einnahmen von knapp 92 Milliarden Euro, wie aus einer neuen Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom Dienstag hervorgeht. Der tatsächliche Steuersatz vieler Firmen habe damit zuletzt nur gut 20 Prozent betragen, das wären knapp zehn Prozentpunkte weniger als eigentlich vom Gesetzgeber vorgesehen.

DIW-Forscher Stefan Bach hat für die Schätzung die in der Steuerstatistik ausgewiesenen Unternehmensgewinne mit den Gewinngrößen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) verglichen. Die jüngsten Daten dazu stammen aus dem Jahr 2008. Auf Basis der VGR wird auch das Bruttoinlandsprodukt ermittelt. In der Spitze lag die Besteuerungslücke 2007 sogar bei 120 Milliarden Euro. Danach hatte die damalige schwarz-rote Regierung eine Unternehmensteuerreform beschlossen und die Sätze gesenkt, Mithin ist auch die vom DIW berechnete Besteuerungslücke gesunken.

„Es scheint so zu sein, dass die Nutzung von Bilanzierungsspielräumen und Steuergestaltungen systematisch zugenommen hat“, vermutet Ökonom Bach. Auffällig sei in diesem Zusammenhang die Höhe der Verlustvorträge – bis Ende 2007 seien allein bei der Körperschaftsteuer 568 Milliarden Euro aufgelaufen. Das war das Dreieinhalbfache der gesamten steuerpflichtigen Gewinne in diesem Jahr.

Insgesamt tragen die Unternehmen etwa ein Fünftel zum Steueraufkommen bei. Während sie zu wenig an den Fiskus abführen, sind ihre Gewinne in den vergangenen Jahren stark gestiegen: Zwischen 1992 und 2008 kamen die Kapitalgesellschaften, also Aktiengesellschaften oder GmbHs, auf ein Plus von knapp sechs Prozentpunkten an der Wirtschaftsleistung. Der Anteil der Arbeitseinkommen am Gesamteinkommen ist in dieser Zeit um 7,3 Prozent zurückgegangen.

„Die Unternehmen können Gewinne ins Ausland oder private Ausgaben in den Betrieb verlagern“, erklärte DIW-Mann Bach. Zudem sei der Fiskus zu schlecht ausgestattet. „Aufgrund einer zu dünnen Personaldecke und der Komplexität der Materie scheinen die Finanzämter nur bedingt in der Lage zu sein, die Steuerbemessungsgrundlage effektiv festzulegen.“ Die einzelnen Länder hätten zudem wenige Anreize, mehr Steuern von den Unternehmen einzunehmen, weil ihnen das im Länderfinanzausgleich angerechnet werde.

Die DIW-Ergebnisse sind brisant angesichts der aktuellen Diskussion um Steuerhinterziehung und -vermeidung. Bis zu einer Billion Euro gehe auf diese Weise verloren, schätzt die Europäische Union für ihre Mitgliedsländer. Derzeit stehen multinationale Konzerne wie Apple, Google oder Starbucks in der Kritik, weil sie ihre hohen Gewinne oft in Länder transferieren, in denen sie nur geringe oder gar keine Steuern zahlen müssen. Die Wirtschaftsorganisation OECD hat dieser Praxis den Kampf angesagt. Allerdings: „Was die Firmen tun, ist legal“, sagte kürzlich Generalsekretär Angel Gurría im Tagesspiegel-Interview. Die OECD will im Juni einen Plan vorlegen, mit dem die Steuervermeidung der Unternehmen eingedämmt werden soll.

Auch für den Wahlkampf ist das Thema relevant – Grüne, SPD und Linke werben dafür, die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen. „Unternehmen rechnen sich künstlich arm“, twitterte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin. Die DIW-Berechnungen stießen bem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) allerdings auf Skepsis. „Falsche Thesen werden durch Wiederholung nicht richtiger“, sagte Berthold Welling, Leiter der BDI-Steuerabteilung. Damit spielte er auf eine ähnliche und umstrittene Studie des DIW von 2007 an. Die VGR, mit der die Studie arbeite, erlaube keinen Rückschluss auf die Steuerquote der Firmen. Viele Schätzungen führen zu „einer erheblichen Ungenauigkeit“.

Das DIW ist sich der Probleme bewusst, Forscher Bach räumt „gewisse Schätzrisiken“ ein. Da die Steuerstatistik nicht detailliert genug seien, könne man auch die Differenz zwischen den gesamtwirtschaftlichen und steuerlichen Gewinnbilanzen nicht aufklären. „Wir sind bei unseren Untersuchungen jedoch auf eine dauerhafte Besteuerungslücke gestoßen“, sagte er.

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