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Eine neue Euro-Krise ist möglich, wenn Ratingagenturen wieder Staaten in Südeuropa abwerten, befürchtet der Anlageexperte Ulrich Stephan.

© Thilo Rückeis

Stratege der Deutschen Bank zum Brexit: "Eine Abwärtsspirale ist möglich"

Nach der Brexit-Abstimmung könnten Ratingagenturen Staaten herunterzustufen - auch in Südeuropa. Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Deutschen Bank, spricht im Interview über die Folgen des Referendums.

Von Carla Neuhaus

Herr Stephan, die Briten haben für den Brexit gestimmt und am Aktienmarkt einen Einbruch ausgelöst. Wie geht es weiter?

Die Investoren haben sich natürlich erschrocken. Die Kurse sind in den Tagen vor dem Referendum gestiegen: Das heißt, die Anleger haben mit dem Brexit zuletzt nicht mehr gerechnet. Nach diesem ersten Schreck werden die Märkte nun ein neues Gleichgewicht suchen.

Das heißt, an diesem Montag sind die schlimmsten Marktverwerfungen vorbei?
Nein, das glaube ich nicht. Die meisten Anleger werden jetzt erst mal abwarten wollen, was bei den Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien am Ende tatsächlich herauskommt.

Aber das kann dauern ...
Manche sagen, es werden zwei Jahre vergehen, bis Großbritannien austritt. Ich glaube eher, dass es länger dauern wird. Dafür gibt es zu viele Details. Nehmen Sie Grönland 1985: Da haben allein die Verhandlungen der Fischereirechte drei Jahre in Anspruch genommen. Und hier geht es um sehr viel mehr. Selbst über Pensionszahlungen britischer EU-Beamten muss jetzt verhandelt werden.

Wenn die Kurse sich einpendelt: Heißt das, man sollte schnell noch Aktien kaufen?
Ich glaube durchaus, dass es jetzt Kaufgelegenheiten gibt. Allerdings werden wir unser Kursziel für den Dax von 10 800 Punkten zum Jahresende wohl einer Überprüfung unterziehen müssen.

Ist etwa doch alles halb so schlimm?
Nein. Der Kapitalmarkt ist das eine. Das politische Problem ist das andere. Und dieses Problem erscheint mir viel größer. Nach Großbritannien wird man jetzt sehr schnell fragen: Wer tritt als Nächster aus der EU aus? In Finnland könnte das ein Thema sein. In den Niederlanden können Sie mittlerweile mit 300 000 Unterschriften ein Referendum einfordern und auch dort sehen wir politische Extreme. Geert Wilders hat schließlich bereits ein Referendum gefordert. Auch in Frankreich kann die Stimmung schnell kippen, wie man an Marine Le Pen sehen kann. Das heißt: Die Euro-Skeptiker werden jetzt mit Sicherheit Aufwind bekommen.

Kommt die Euro-Krise zurück?

Ratingagenturen könnten nun durchaus wieder anfangen, Staaten abzuwerten. Nicht nur Großbritannien dürfte davon betroffen sein, sondern auch Länder in Südeuropa. Das kann dann sehr schnell eine Abwärtsspirale auslösen. Denn im nächsten Schritt könnten auch die Banken in diesen Ländern unter Druck geraten. Das kann gerade in Südeuropa zu einem Problem werden.

Welche Auswirkungen hat der Brexit auf die deutsche Wirtschaft?
Großbritannien ist für Deutschland der drittwichtigste Handelspartner hinter den USA und den Niederlanden mit einem Handelsvolumen von 185 Milliarden Euro. Das ist schon beachtlich. Allerdings dürften die deutschen Firmen kaum den Handel mit Großbritannien sofort einstellen. Erst mal werden sie wohl die Verhandlungen mit der EU abwarten. Deshalb hoffe ich, dass die ökonomischen Folgen des Brexits nicht so groß ausfallen, wie wir heute denken. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt könnte 2017 allerdings um 0,3 Prozentpunkte geringer ausfallen.

Wie es für die Firmen weitergeht, hängt auch von der Entwicklung der Währungen ab. Verliert das Pfund weiter?
Ja, Großbritannien hat ein erhebliches Doppeldefizit, sowohl im staatlichen Haushalt als auch bei der Leistungsbilanz. Aus diesem Grund sind wir ohnehin von Druck auf das Pfund ausgegangen. Allerdings wird sich diese Entwicklung aufgrund der Entscheidung zum EU-Austritt beschleunigen. Zum US-Dollar gehen wir von 1,15 Dollar und zum Euro von 0,90 Cent aus.

Und der Euro stabilisiert sich?
Das hängt von den weiteren wirtschaftlichen und geldpolitischen Entwicklungen ab. Ich halte eine weitere Abwertung des Euro insbesondere zum US-Dollar für wahrscheinlich. Wie schnell und wie weit diese Abwertung geht, hängt davon ab, ob die amerikanische Notenbank noch einen oder sogar noch zwei Zinsschritte dieses Jahr unternimmt.

Müssen die Notenbanken jetzt eingreifen?
Die Notenbanken werden die Entwicklung sicherlich eng beobachten. Sollte es zu einer deutlichen Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen kommen, werden sie wahrscheinlich eingreifen. Ich gehe davon aus, dass die Bank auf England etwas höhere Inflation akzeptieren und den Zins noch länger niedrig belassen wird. Die EZB könnte die Geldpolitik im Herbst noch mal expansiver gestalten.

Wie geht es nach dem Brexit für die Bundesanleihen weiter? Dreht die Durchschnittsrendite noch weiter ins Minus?
Ich rechne damit, dass die Risikoprämien aufgrund der politischen Unsicherheiten steigen werden. Diese Risikoaversion kann dann zusammen mit dem Kaufprogramm der EZB die Zinssätze auch noch weiter drücken. Trotz der bereits extremen Zinssätze sind daher zumindest vorübergehend noch niedrigere Renditen nicht auszuschließen.

Anleger sind am Freitag prompt ins Gold geflohen. Setzt sich der Preisanstieg fort?
Nachdem Gold in den letzten Jahren kaum als sicherer Hafen gegolten hat, hat das Edelmetall in diesem Jahr diese Funktion wieder übernommen. Sicherlich sind auch die niedrigen Zinsen ein Argument für Gold. In diesen unsicheren Zeiten ist eine kleine Allokation sicher kein schlechter Gedanke, auch wenn ich glaube, dass es bessere Investments gibt.

Was sollten Anleger tun?
Anleger müssen sich mehr denn je an den Gedanken gewöhnen, dass es Renditen ohne Risiko schlichtweg nicht gibt. Wer ihnen heute ein oder zwei Prozent für eine vermeintlich sichere Anlage verspricht, der ist ein Scharlatan. Das Prinzip: Ich lege mein Geld an und dann nehme ich eine Schlaftablette – das funktioniert einfach nicht mehr. Anleger müssen aktiver werden.

Wieso Anleger jetzt in den USA investieren sollten

Eine neue Euro-Krise ist möglich, wenn Ratingagenturen wieder Staaten in Südeuropa abwerten, befürchtet der Anlageexperte Ulrich Stephan.
Eine neue Euro-Krise ist möglich, wenn Ratingagenturen wieder Staaten in Südeuropa abwerten, befürchtet der Anlageexperte Ulrich Stephan.

© Thilo Rückeis

Ist die Dividende der neue Zins?
Das würde ich so nicht unterschreiben. Auch Dividenden können stark schwanken oder ganz ausfallen – mit zum Teil erheblichen Auswirkungen auf die Aktienkurse. Und man muss auch darauf achten, wie hoch der Ausschüttungsanteil ist. Wenn ein Unternehmen 90 Prozent seines Cashflows an Aktionäre ausschüttet, dann ist das nicht nachhaltig.

Viele stecken ihr Geld mittlerweile in Immobilien. Gerade in Ballungszentren wie Berlin steigen die Preise. Entsteht da eine Blase?
Das Problem ist, dass zu wenig gebaut wird. Das Angebot an Wohnungen kommt mit der Nachfrage nicht mit. Das sehen Sie auch in Berlin: Es ziehen mehr Menschen in die Stadt, als an neuen Wohnungen dazukommen. Natürlich treibt das die Preise nach oben. Solange es diesen Nachfrageüberhang gibt, wird das so weitergehen. Wenn die Preise zu sehr steigen und die Menschen sich für den Immobilienkauf zu stark verschulden, dürfte die Bundesbank eingreifen. Noch sehe ich das aber nicht.

Wo kann man denn noch investieren – wenn nicht am Immobilienmarkt?
Anleger sollten ihr Geld weiterhin möglichst breit streuen: Sie können zum Beispiel ein Stück weit in Unternehmensanleihen investieren, ein Stück weit in Staatsanleihen. Auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern kann eine Anlage noch Sinn machen. Und wer auf Währungen setzen will: Der Dollar dürfte weiter steigen. So kann derzeit zum Beispiel der Kauf amerikanischer Unternehmensanleihen Sinn machen: Die werfen immer noch 3,5 Prozent Rendite ab und im besten Fall profitiert man noch vom steigenden Dollar. Auch amerikanische Aktien können als Anlage sinnvoll sein: Die schwanken derzeit weniger stark als europäische Titel.

Sie sind sehr optimistisch, was die Entwicklung in den USA angeht. Könnten dort die Zinsen also bald weiter steigen?
Ja, das glaube ich schon. Die Notenbank Fed könnte in diesem Jahr durchaus noch ein oder sogar zwei Mal die Zinsen anheben. Die Vorzeichen dafür sind da: Es gibt in den USA Vollbeschäftigung, die Löhne steigen, der Konsum legt zu, die Immobilienpreise ziehen an.

Die Geldpolitik in Europa ist dagegen eine andere. Die EZB kauft nah jetzigem Stand bis März 2017 monatlich Anleihen für 80 Milliarden Euro. Gehen Sie davon aus, dass sie ihr Anleiheprogrammm weiter verlängert?
Das will ich nicht ausschließen, weil sich sonst wenig bewegt. Eigentlich bräuchten wir dringend Strukturreformen in Europa – doch das passiert nicht. Draghi könnte daher am Ende gezwungen sein, noch einmal nachlegen zu müssen. So hat er auf Nachfrage hin ja zum Beispiel sogar Helikoptergeld nicht mehr kategorisch ausgeschlossen.

Das hieße, Bürger bekämen Geld geschenkt. Können Sie sich das vorstellen?
Es hat in den letzten Jahren zu viele Sachen gegeben, die ich mir nicht hätte vorstellen können. Von daher will ich auch das Helikoptergeld nicht ausschließen.

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