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Wirtschaft: Streit um die Macht der Betriebe

Politiker und Betriebsräte uneins über Öffnung der Tarifverträge/Arbeitgeber wollen alles auf den Prüfstand stellen

Berlin (akz/alf). Die CDUVorsitzende Angela Merkel will den Tarifparteien per Gesetz Kompetenzen wegnehmen und auf die Betriebe verlagern. „Es muss doch möglich sein, dass sich Betriebsleitungen mit ihren Betriebsräten auf Regelungen einigen können, ohne dass zum Beispiel der Herr Peters oder der Herr Kannegiesser dabei reinreden“, sagte sie am Donnerstag in Berlin mit Verweis auf den Vorsitzenden der IG Metall und den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Merkel äußerte sich auf einer Veranstaltung der DGB-Initiative für Tarifautonomie.

Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering hält betriebliche Verabredungen für sinnvoll, doch sollten allein die Tarifparteien darüber befinden. Der FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhard schloss sich der Position von Merkel an und forderte die Öffnung der Flächentarifverträge. Immer mehr Unternehmen betrieben Tarifflucht, und auch den Gewerkschaften liefen die Leute davon. „Wenn zwei Drittel der Belegschaft in einem Unternehmen für die Abweichung vom Flächentarif sind, sollte dies auch möglich sein“, sagte er. Katrin Göring-Eckhard von den Grünen sagte, viele Grüne hätten ihre Kritik an der tariflichen Regulierung wieder zurückgenommen. „Die Tarifparteien haben viel dazu beigetragen, dass das System flexibler geworden ist.“

Die Äußerungen der Oppositionspolitiker wurden oft von Pfiffen und Buh-Rufen im Saal unterbrochen. Dagegen begrüßten die Betriebsräte die Äußerungen Münteferings und Göring-Eckhards. Einige äußerten jedoch die Befürchtung, dass die Koalition im Zuge der Durchsetzung der Agenda 2010 im Bundesrat auf die Opposition in Fragen des Tarifrechtes zugehen werde. Müntefering sagte: „Ich persönlich gehe davon aus, dass es zu dieser Situation nicht kommen wird.“

Zuvor hatte Gesamtmetall-Präsident Kannegiesser das gegenwärtige Tarifsystem einerseits verteidigt und dennoch eine Modernisierung gefordert. Die Unterscheidung in Tarifparteien und Betriebsparteien „hat viel Weisheit“, sagte der Arbeitgeberchef, und solle im Großen und Ganzen auch so bleiben. Aber in den vergangenen Jahren sei das deutsche Tarifsystem auf Grund der internationalen Verflechtung der Wirtschaft in die Krise geraten. Vor allem würden die Unterschiede zwischen den Betrieben immer größer; darauf müssten die Tarifparteien reagieren. Da „unser Land in einem schlechten Zustand ist, muss alles auf den Prüfstand“, forderte Kannegiesser. In der deutschen Metallindustrie gebe es im laufenden Jahr so viele Konkurse wie noch nie.

Kannegiesser zufolge weichen inzwischen 35 Prozent aller Betriebe vom Tarifvertrag ab, und zwar häufig illegal. Wegen dieser Realität forderte der Metallunternehmer die Tarifparteien auf, die Branchentarife mit betrieblichen Gestaltungsspielräumen zu erweitern. Und zwar, „indem sie freiwillige Optionen eröffnen, die innerhalb bestimmter Bandbreiten ausgefüllt werden können“. Als Beispiele nannte Kannegiesser Bandbreiten für die Höhe des Weihnachtsgeldes, das Arbeitszeitvolumen und Langzeitarbeitskonten. „Was es an Differenzierung gibt, wollen wir weiterentwickeln, sonst wird sich der Branchentarif in der Wüste verkrümeln“, sagte Kannegiesser und warnte die anwesenden 500 Betriebsräte vor einem schlichten „Weiter so“. In dem Fall „machen wir uns hier einen Knoten ins Bein“, sagte der Gesamtmetall-Präsident.

DGB-Chef Michael Sommer lobte Kannegiesser als „einen der Aufgeklärten im Arbeitgeberlager“, der aber auch wisse, dass es auch Nichtaufgeklärte gebe. Sommer zufolge würde eine weit reichende Öffnung des Tarifvertrags dazu führen, dass „die Angst der Menschen um den Arbeitsplatz dazu missbraucht wird, um das System kaputtzumachen“. Ein Otis-Betriebsrat meinte über sein Unternehmen, „vor drei Jahren hatten wir den höchsten Gewinn in unserer Geschichte, da haben sie uns das Weihnachtsgeld um zehn Prozent gekürzt“. Das Problem sei, dass die Unternehmen „den Hals nicht voll kriegen können“.

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