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Wirtschaft: Strom aus der Strömung

In Weltmeeren steckt viel Energie – doch bei „Unterwasserwindmühlen“ kommt es auf den Standort an.

Erneuerbare Energiequellen gelten als teuer. Doch ist regenerative Energie aus dem Meer tatsächlich kostspieliger Unsinn? Ihr Potenzial jedenfalls ist beachtlich. Die Schätzungen der pro Jahr gewinnbaren Menge an elektrischer Energie reichen bis zu 5500 Terawattstunden (TWh) für die global verfügbare Wellenenergie, bis zu 1000 TWh für Meeresströmungen. Konservativere Zahlen liegen grob um einen Faktor zehn darunter. Zum Vergleich: 2011 erreichte der deutsche Stromverbrauch 541 TWh. Meeresenergie könnte also allein unseren Strombedarf locker decken – theoretisch.

„Es gibt nicht eine erneuerbare Energieform, die die Energiewende alleine stemmen kann“, sagt Jochen Weilepp. Der Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Biberach leitete bis 2012 den Bereich Meeresenergie beim Wasserkraftausrüster Voith Hydro.

Der Heidenheimer Konzern lieferte die Luftturbinen für das erste kommerzielle Wellenkraftwerk in der baskischen Hafenstadt Mutriku, das seit 2011 läuft. Zudem testete er erfolgreich eine Gezeitenströmungs-Demonstrationsanlage vor der südkoreanischen Provinz Jeollanam-do. Aus solchen „Unterwasserwindmühlen“ soll dort der Seaturtle Tidal Park entstehen.

„Wind und Wasser müssen unterschiedlich betrachtet werden“, sagt Jochen Bard zu den verschiedenen Energieformen. Er leitet die Abteilung Meeresenergien am Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel. Die Offshore-Windenergie ist aus seiner Forschersicht erfolgreich kommerzialisiert, und der Streit um den deutschen Netzausbau ein regionales, mit politischem Willen lösbares Problem. In der Meeresenergie-Szene denkt man global, und mit Wellen und Meeresströmungen ist Deutschland ohnedies nicht sonderlich beglückt. „Es gibt ein gewisses Potenzial für Wellenenergie, besonders wenn man sie mit den Offshore-Windenergieanlagen kombiniert“, sagt Bard. Dann können beide Erzeugungsformen das teure Seekabel zum Land nutzen und rechnen sich.

Viel Wellenenergie gibt es in höheren Breitengraden, in Europa sind Schottlands und Irlands Küsten attraktiv. Bei Meeresströmungen, vor allem durch Ebbe und Flut, kommt die Kanalküste hinzu. Dorthin muss man gehen, und hier kommen die Deutschen ins Spiel: Überraschend viele heimische Forschungsinstitute und Unternehmen sind in der Meeresenergie aktiv. Vor allem bei den Strömungsanlagen, den „Unterwassermühlen“, tut sich aus Bards wie Weilepps Sicht erfreulich viel.

Bards Fraunhofer-Team entwickelt neue Meeresenergie-Techniken bis zur Größe von Demonstrationsanlagen. Dazu gehört die Gezeitenströmungsanlage Seagen, die bei Strangford in Nordirland mit zwei Megawatt Leistung 1500 Haushalte versorgt. Ihr Standort ist ideal, weil eine Meerenge das mit den Gezeiten strömende Wasser auf fast zehn Stundenkilometer beschleunigt. Das klingt nach wenig, doch Wasser enthält dank seiner großen Masse wesentlich mehr Energie als Luft. Deshalb dürfen Wasserrotoren viel kleiner als Windrotoren sein. Bei Seagen sorgen verstellbare Rotorblätter für eine lang anhaltend stabile Leistung, während die Strömungsgeschwindigkeit steigt oder sinkt. Nur um die Höhepunkte von Ebbe oder Flut herum muss Strom aus anderen Energiequellen ausgleichen.

Für langfristig denkende Investoren ist die perfekte Planbarkeit der Gezeitenenergie interessant, denn keine Krise kann den Mond auf seiner Bahn stören. Schon seit den 1960er-Jahren läuft das französische Gezeitenkraftwerk La Rance bei St. Malo wie ein Uhrwerk. Es sperrt den Fluss Rance mit einer Staumauer und lenkt den Gezeitenstrom durch seine Turbinen. Der massive Eingriff in die Landschaft ist ein Nachteil dieser klassischen Gezeitentechnik, weshalb die umweltschonend installierbaren Unterwassermühlen ein größeres Potenzial haben. Siemens plant vor Wales einen Gezeitenströmungspark mit fünf weiterentwickelten Seagen-S-Anlagen. Mit zehn Megawatt Gesamtleistung soll er ab 2015 zehntausend Haushalte versorgen.

Diese kleineren Projekte müssen sich erst bewähren, weshalb Bard und Weilepp den Ball flach halten. Weilepp weist zudem darauf hin, dass eine Umstellung der Fördergesetzgebung in Großbritannien bei Investoren zeitweilig für Unsicherheit gesorgt habe. Ein anderes Problem sei der oft fehlende Netzanschluss an den Küsten mit den besten Energieressourcen. Es wird wohl noch dauern, bis nennenswert Meeresenergie durch Europas Netze rauscht. Das könnte sich aber lohnen.

Roland Wengenmayr

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