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Sind die mageren Jahre für die Arbeitnehmer vorbei? Die IG Metall fordert 6,5 Prozent mehr Lohn.

© ddp

Tarifverhandlungen: Mehr Lohn!

In der kommenden Woche beschließen die großen Gewerkschaften ihre Tarifforderung. Die IG Metall setzt den Trend.

Ob 2012 ein gutes Jahr für die Arbeitnehmer wird, entscheidet sich nach Ostern. Zwar starten schon in der kommenden Woche die beiden Dickschiffe IG Metall und Verdi die diesjährige Tarifauseinandersetzung, doch richtig verhandelt wird erst im März, und ein Kompromiss kommt vermutlich frühestens Ende April in Sicht. Wieder einmal wird also zäh gerungen um ein paar Prozentpunkte. Das scheint wie gehabt und ist diesmal doch anders: Weil der Aufschwung der vergangenen zwei Jahre an vielen Arbeitnehmern vorbeiging, ist der Nachholbedarf jetzt groß; weil es neben der reinen Geldforderung noch andere Punkte gibt und weil schließlich das Bedürfnis der Unternehmen nach Flexibilität und betrieblichen Spielräumen immer größer wird. Und dann gibt es auch noch den Abschwung, wie bestellt von den Arbeitgebern.

Nach starken Jahren – 2010 wuchs die Wirtschaft um 3,6 und 2011 um 3,0 Prozent – fällt die Tarifrunde jetzt in eine leichte Schwächephase. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nutzt die Gelegenheit denn auch und warnt vor einer „beschleunigten Abschwächung“ der Konjunktur, wenn die Löhne zu stark steigen. Aber was stark und schwach, angemessen und übertrieben ist, entscheiden dann in den langen Nächten die Tarifprofis. Martin Kannegiesser zum Beispiel.

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall muss sich erstmals seit gut zwei Jahren wieder mit der IG Metall rumschlagen. Die will 6,5 Prozent für 3,6 Millionen Metaller, Kannegiesser kann sich allerhöchstens drei Prozent vorstellen. Das ist verständlich, denn jeder Prozentpunkt kostet viel Geld: 1,9 Milliarden Euro für die Metall- und Elektrobetriebe, wie Kannegiesser vorrechnet. Eine Tariferhöhung um 6,5 Prozent würde das Personal also um mehr als zwölf Milliarden Euro verteuern. Das können selbst die Autokonzerne mit ihren Rekordgewinnen kaum verkraften. Und dennoch: Die Gewerkschaften machen Nachholbedarf geltend.

2011 stiegen die Tarifeinkommen im Schnitt um zwei Prozent, die Verbraucherpreise aber um 2,3 Prozent. Besonders schwach erhöhten sich mit gerade mal ein Prozent nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Tarifeinkommen in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen und den Bereichen Erziehung und Unterricht. Daran wird Verdi-Chef Frank Bsirske erinnern, wenn er am kommenden Donnerstag gemeinsam mit Beamtenbund und den Gewerkschaften der Polizisten und der Lehrer die Forderung für den öffentlichen Dienst in den Kommunen und beim Bund präsentiert, wahrscheinlich ebenfalls 6,5 Prozent. Das ist unvorstellbar für die Kommunen mit ihren leeren Kassen. Ein Prozent kostet sie nach eigenen Angaben 760 Millionen Euro – und dieses Geld ist nicht da. Verdi argumentiert dagegen mit einer angeblich verfehlten Steuerpolitik und regt eine höhere Belastung von Gutverdienern und Vermögenden zugunsten der öffentlichen Haushalte an.

Was am Ende rauskommt, hängt vor allem von der Zahl und der Konfliktbereitschaft der Gewerkschaftsmitglieder ab, wie das Beispiel Post zeigt. Fast 80 Prozent der 130 000 Postler sind Mitglied der Gewerkschaft, und mit diesen Truppen im Rücken konnte Verdi für die ersten drei Monate dieses Jahres einen Pauschalbetrag von 400 Euro für jeden Beschäftigten vereinbaren. Ab April steigen dann die Tarifeinkommen der Postler um vier Prozent. Die Post kann sich das Leisten, der Logistikkonzern hat zuletzt sehr gut verdient.

Das gilt aber auch für weite Teile der Metall- und Elektroindustrie und damit den Kern der deutschen Wirtschaft. Kannegiesser selbst spricht von „brillanten“ Ergebniszahlen der Autohersteller. Und wie die Dinge liegen, wird sich daran auch in diesem Jahr nicht viel ändern. Jedenfalls, wenn man der jüngsten Branchenumfrage des arbeitgebernahen IW glaubt. Da heißt es über den Maschinenbau, die Stimmung sei in den meisten Firmen „ausgesprochen gut“, ebenso wie in der Autoindustrie würden auch 2012 Produktion und Umsatz zulegen. Das gilt sowieso für die Chemie, die in diesem Frühjahr kurz nach den Metallern über neue Tarife verhandelt. „Die aktuelle Geschäftslage wird ebenso positiv eingeschätzt wie in den starken Jahren 2006/2007.“ Dazu passen die Maßhalteappelle, mit denen Arbeitgeber gerne Tarifrunden garnieren, eher schlecht.

Halten die Arbeitgeber die Drei oder müssen sie eine Vier vor dem Komma hinnehmen – das ist die große Frage in diesem Tariffrühjahr. Die Post hat einen ersten Hinweis gegeben, doch der wirkliche Trendsetter ist die IG Metall, die größte und schlagkräftigste Gewerkschaft weit und breit. Und die weiß ganz genau, was sie will und was sie erreichen kann: Mehr Geld, weniger Leiharbeit und eine Übernahmeverpflichtung für Azubis. Dass sie zahlen müssen, wissen die Arbeitgeber. Aber sie wollen sich keineswegs abfinden mit mehr Mitbestimmung für die Betriebsräte beim Einsatz von Leiharbeit und mit der zwingenden Azubiübernahme. Das geht ihnen zu sehr an die unternehmerische Selbstbestimmung.

Am Ende wird es einen Kompromiss geben, mit dem die Arbeitgeber leben können. Zumal wieder die Baden-Württemberger Metaller den Pilotabschluss aushandeln – und die sind ebenso konfliktstark wie pragmatisch. Bei der Leiharbeit zeichnet sich schon eine Lösung ab: Als Ersatz für eine stärkere Regulierung der „externen Flexibilität“ (Leiharbeit) könnte die „interne Flexibilität“ (Arbeitszeit) erweitert werden. Indem mehr Abweichungen von der 35-Stunden-Woche zugelassen sind. Nichts ist von Dauer, auch nicht die Fixierung der Gewerkschaft auf die 35-Stunden-Woche.

Im öffentlichen Dienst ist ein Abschluss schwieriger und kommt wohl kaum ohne die Schlichter Georg Milbradt und Herbert Schmalstieg zustande. Die Ex-Politiker, der eine war CDU-Ministerpräsident in Sachsen, der andere SPD- Bürgermeister in Hannover, kommen voraussichtlich Ende April zum Zug. Wenn bis dahin die Metaller durch sind – umso besser. Doch wahrscheinlich ist das nicht: Die Friedenspflicht in der Metallindustrie läuft erst Ende April aus, und in der Regel brauchen die Arbeitgeber ein paar Streiktage, bis sie die Taschen auf- machen. So dürfte es Mai werden, bis die Arbeitnehmer tatsächlich wissen, wie- viel sie in diesem Jahr zusätzlich verdienen.

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